Nur die Spitze des Abfallbergs
Bald kosten Raschelsäckli an der Ladenkasse überall fünf Rappen. Dabei wäre der Handlungsbedarf anderswo viel grösser.
Veröffentlicht am 21. November 2016 - 16:57 Uhr
Gratis ist fast nichts mehr – nicht einmal das Raschelsäckli an der Kasse. In der Migros kostet es seit kurzem ein goldenes Fünfrappenstück. «Viele Kunden stutzen zuerst, dann zahlen sie aber anstandslos», sagt eine Kassierin in Luzern. Die Migros ist Vorläuferin beim Säckli-Verkauf. Coop führt die Gebühr nächsten Frühling landesweit ein, andere Grossisten wollen folgen.
Der symbolische Preis entstand auf Druck des Parlaments und will genau das: die Kunden stutzig machen, sie zum Verzicht anregen. Tatsächlich zeigen erste Tests, dass Kunden dadurch 80 Prozent weniger Raschelsäckli benötigen. Hochgerechnet hätte dies zur Folge, dass jährlich nur noch 700 statt 3500 Tonnen verbraucht würden. Klingt nach Erfolg. Aber der Schweizer Plastikmüll von 780'000 Tonnen pro Jahr schrumpft damit kaum.
Die meisten Kunststoffe sind nicht abbaubar und schaden deshalb der Umwelt. Die Plastikmüllschwemme in den Weltmeeren nimmt stetig zu, mit verheerenden Folgen für Tiere, Pflanzen – und letztlich für uns Menschen. Doch die Nachfrage nach Plastik steigt und steigt.
Umso wichtiger ist Recycling. Obwohl ein Teil des Plastiks in der Schweiz gesammelt und wiederverwertet wird, landen immer noch 650'000 Tonnen pro Jahr in Kehrichtverbrennungsanlagen. Für Markus Tonner «ein massiver Verschleiss an Ressourcen». Sein Betrieb Innorecycling in Eschlikon TG ist landesweit führend bei der Verwertung von industriellem Plastikabfall. Daraus entsteht Granulat für neue Kunststoffsäcke, für Baufolien, Elektro- und Kabelschutzrohre. Ein wichtiger Kreislauf, denn Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft produzieren mit 415'000 Tonnen am meisten Plastikmüll. Doch nur rund 10 Prozent davon landen im Recyclingwerk in Eschlikon. «Das Potenzial ist noch sehr gross», sagt Tonner.
Angefangen bei Gärtnereien, die gebrauchte Plastiktöpfe wegwerfen, bis zu Bauern, die Folien für Silofutter und Gemüsefelder in die Kehrichtverbrennungsanlage bringen. Allein bei Silofolien könnten jährlich 10'000 bis 15'000 Tonnen wiederverwertet werden. 2015 gelangten aber nur 1300 Tonnen zu Innorecycling.
Dass der Gesetzgeber nicht eingreift, ärgert Recycling-Experte Tonner. Seit Anfang Jahr ist die neue nationale Abfallverordnung in Kraft. Sie sah ursprünglich vor, dass Landwirtschaftsfolien rezykliert werden müssen. Doch auf Druck der Betreiber von Kehrichtverbrennungsanlagen wurde der entsprechende Artikel ersatzlos gestrichen. «Der Grundtenor war: Macht keine neuen Regeln, lasst Handel und Industrie selber wirksame Massnahmen ergreifen», sagt Marco Buletti, Sektionschef Abfallbewirtschaftung beim Bundesamt für Umwelt.
Die Konsumenten produzieren einen Plastikabfallberg von 365'000 Tonnen im Jahr. Dass er sich abbauen lassen könnte, zeigt das Paradebeispiel PET: Die Rückgabequote liegt bei über 80 Prozent. Aus diesen 40'000 Tonnen entstehen grösstenteils wieder neue PET-Flaschen.
Seit zwei, drei Jahren kann man bei Grossverteilern zudem Kunststoffflaschen für Milch und Putzmittel zurückbringen. Das geschätzte Sammelpotenzial: 12'000 Tonnen pro Jahr. Migros und Coop verzeichneten für 2015 bereits 5000 Tonnen. Mehr Recycling und weniger Müll wären also möglich.
4 Kommentare
Das Argument für die Müllverbrennungsanlagen, die durch immer weniger Plastik mehr Oel verbrennen müssen, halte ich für ein stichhaltiges Gegenargument. Also diese Raschelsäckli machen den Braten nicht heiss und man sollte in grösseren Zusammenhängen denken und nicht nur an einzelnen Schräubchen drehen, die dann mehr Probleme schaffen.