So schaffen wirs ohne AKWs
Der Ausstieg aus der Atomenergie ist möglich – wir müssen nur die vorhandenen Technologien konsequent nutzen.
Diese Folie präsentierte Giovanni Leonardi besonders gern: vier grosse Nullen, dazwischen ein Komma. Damit symbolisierte der Chef des grössten Schweizer Stromkonzerns, Alpiq, was er über erneuerbare Energien denkt. Um dann doch nicht zu behaupten, Wind und Sonne trügen künftig gar nichts zur Stromversorgung bei, sagte er, der Anteil erneuerbarer Energien liege nur hinter dem Komma. Also unter einem Prozent und ohne Zukunft. Diese Behauptung war schon vor der Katastrophe in Japan grundfalsch. Seit am 12. März im AKW Fukushima eine erste Wasserstoffexplosion ein Reaktordach weggerissen hat, ist sie Makulatur.
Praktisch alle Exponenten der Energiewirtschaft und der meisten bürgerlichen Parteien haben inzwischen einen energiestrategischen Wandel vollzogen. Axpo-Chef Heinz Karrer, der gerne in Beznau ein neues, leistungsstärkeres AKW bauen möchte, sagt: «In nächster Zeit denkt niemand daran, die Planung für Ersatzkernkraftwerke wieder aufzunehmen.» Und BDP-Präsident Hans Grunder will den Ausstieg – «ohne Wenn und Aber».
Die Stromwirtschaft hat seit Tschernobyl 1986 systematisch das Terrain geebnet, um dereinst neue AKWs zu bauen. Mit geballter PR-Kraft erstickten die Stromkonzerne in den vergangenen Jahren Strategien für eine alternative Stromversorgung. Dazu konstruierten sie ein Argumentarium, in dem die Atomenergie zur natürlichen Energiequelle mutierte und keine Alternative zuliess ausser Lichterlöschen. Rudolf Rechsteiner, Ex-SP-Nationalrat und seit Jahren Prediger wider die Atomkraft: «Die erneuerbaren Energien wurden von den Stromkonzernen jahrelang unterschätzt und teils gezielt diffamiert.»
Jetzt werden plötzlich jene Analysen aktuell, die von Strombaronen jahrelang lächerlich gemacht wurden. Dank gewaltigen technologischen Fortschritten sind sie heute auf besondere Art veraltet. Fachleute, die dachten, 2050 liesse sich ein Grossteil des Strombedarfs mit erneuerbaren Energien decken, galten als Optimisten. Nun zeigt sich: Ihre Annahmen waren viel zu pessimistisch. Wirtschaftsprofessor Rolf Wüstenhagen ist überzeugt, dass der Wandel viel schneller möglich ist: «Ich gehe davon aus, dass mit verstärkten Anstrengungen ein kompletter Ersatz der Kernenergie durch erneuerbare Energien bereits 2030 gelingen kann.»
Wie rasant die Entwicklung verlaufen kann, zeigt Deutschland. Dort wurde bereits letztes Jahr so viel Solarstrom produziert, wie man es für 2050 prognostiziert hatte. Die Hälfte davon – zehn Prozent des schweizerischen Landesverbrauchs – kam allein 2010 neu dazu.
Wie einfach ein AKW zu ersetzen ist, zeigen ein paar beharrlich ignorierte Zahlen. Rund 170'000 Wohnungen werden nach wie vor mit Strom geheizt, dazu kommen etwa 70'000 Ferienwohnungen. In den sechziger und siebziger Jahren predigten viele Elektrizitätswerke die Elektrospeicherheizungen als umweltfreundliche Alternative zu Ölheizungen. Der Mythos, dass Heizen mit der hochwertigen und aufwendig produzierten Energieform Strom sinnvoll sei, hält sich bis heute. Ernsthafte Bemühungen, die Anzahl der Elektrospeicherheizungen im grossen Stil zu reduzieren, gibt es bislang nicht. Im Gegenteil: Im Tessin stieg der Anteil Wohnungen mit Elektroheizungen zwischen 1990 und 2008 um über 100 Prozent auf rund 51'000 Wohnungen.
Ein Drittel weniger Verbrauch
Dabei sind Elektroheizungen primär eines: Stromfresser. Sie verbrauchen zusammen ein- bis anderthalbmal die vom AKW Mühleberg produzierte Strommenge. In der Heizperiode von Oktober bis März werden bis zu 16 Prozent des in der Schweiz produzierten Stroms verheizt. Das lässt die Klage der Atomlobby, im Winter müsse bereits heute zum Teil Strom importiert werden, in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Würden die Elektroheizungen durch Wärmepumpen ersetzt, könnten nach Schätzung der Schweizerischen Agentur für Energieeffizienz (SAFE) rund 2,3 Milliarden Kilowattstunden Strom eingespart werden. Das gesamte «Effizienzpotential» dürfte ein Vielfaches betragen. Die SAFE-Experten gehen davon aus, dass innert zehn bis fünfzehn Jahren 18,2 Milliarden Kilowattstunden eingespart werden können. Das ist knapp ein Drittel des jährlich in der Schweiz verbrauchten Stroms. Würden beispielsweise bei der Beleuchtung Energiespar- und LED-Lampen eingesetzt, könnte allein in diesem Bereich 60 Prozent des Stromverbrauchs eingespart werden.
Richtige Geräte statt Verzicht
Effizienz allein reiche jedoch nicht, sagt Conrad U. Brunner von SAFE: «Es braucht auch Suffizienz.» Sprich: Genügsamkeit. Ist der neue Kühlschrank zwar effizienter, aber auch grösser, so ist ein Teil der Einsparung gleich wieder zunichte. Es ist das alte Problem, gegen das die Prediger von mehr Energieeffizienz seit Jahren kämpfen: Die Geräte werden zwar sparsamer, aber auch zahlreicher: Computer, Handys und alle möglichen Haushaltgeräte fressen mindestens einen Teil der Effizienzgewinne gleich wieder auf.
Dabei liegt die Lösung für einen effizienten Umgang mit Strom paradoxerweise nicht zwingend in weniger Geräten – sondern in den richtigen. Die Abteilung Gebäudeautomation bei Siemens Schweiz etwa arbeitet seit Jahren an Lösungen mit intelligenter Haustechnik. Früher, so erzählt Siemens-Experte Jürgen Baumann, habe man «einfach alle Anlagen mal auf Verdacht hin eingeschaltet und gehofft, dass sie dann einer nutzt. Heute schauen wir erst einmal, ob überhaupt jemand da ist und was er benötigt.»
Energieverbrauch halbiert – ohne Isolation
Der Effekt ist erstaunlich, wie Siemens an einem firmeneigenen Bürogebäude im zugerischen Steinhausen demonstriert. In einigen Räumen messen Infrarotsensoren, ob sich jemand dort befindet, und schalten entsprechend das Licht ein und aus. CO2-Sensoren bestimmen, wann die Lüftung anspringt und wann sie wieder ausgeschaltet werden kann. Geheizt wird nur noch nach Bedarf. Jedes Grad, um das die Temperatur ausserhalb der Bürozeiten abgesenkt wird, bringe eine Energieersparnis von sechs Prozent, sagt Baumann.
Ohne einen Rappen in die Isolation des 1990 errichteten Hauses gesteckt zu haben, sank der Heizenergieverbrauch innert vier Jahren um fast die Hälfte. Beim Strom resultierte immerhin eine Reduktion um 16 Prozent, wobei Baumann noch Verbesserungspotential ortet. So wird rund die Hälfte des Stroms ausserhalb der Bürozeit verbraucht, insbesondere durch die Netzteile von elektronischen Geräten. «Es ist unglaublich, wie effizient man Energie verschleudern kann, wenn man nicht hinschaut», sagt er.
Kühl gerechnet: Bessere Beleuchtung
Wer kalkuliert, investiert schon heute in die Effizienz. Der Detailhändler Coop hat auf Anfang 2010 den Ausstieg aus der Atomenergie vollzogen. Nun werden Filialen fortlaufend nach Minergie-Standard umgebaut. Wo immer möglich, setzt man LED-Leuchten ein. Die mittelgrosse Filiale in Pfäffikon ZH etwa verbraucht so für die Beleuchtung 60'000 Kilowattstunden weniger Strom als vor dem Umbau. Das entspricht dem durchschnittlichen jährlichen Stromverbrauch von 15 Vierpersonenhaushalten. Der willkommene Nebenfeffekt: Im Gegensatz zu konventionellen Glühbirnen geben LED-Leuchten praktisch keine Wärme ab, die beleuchteten Produkte in Kühltruhen müssen weniger stark gekühlt werden – der Spareffekt verdoppelt sich quasi von allein.
Seit Jahrzehnten ist die Strategie der Elektrizitätswerke unverändert geblieben: Die Schweizer Atomkraftwerke sorgen im Verbund mit zahlreichen Wasserkraftwerken für die sogenannte Bandenergie. Für die Verbrauchsspitzen nutzt man Strom aus Pumpspeicherwerken. Damit versorgen Axpo und Co. nicht nur die Bevölkerung, sondern verdienen sich mit dem Stromhandel eine goldene Nase. In der Nacht kaufen sie in Europa günstigen Strom aus Kohle- und Atommeilern und pumpen damit Wasser in die Stauseen hoch. Tagsüber, wenn die Nachfrage gross ist, exportieren sie den Strom teuer ins Ausland. Längst ist die Schweiz also keine Strominsel mehr (siehe Grafik oben). Die Stromkonzerne würden dieses lukrative Modell gerne weiterführen. Doch die Zeiten der Grosskraftwerke sind nach Fukushima wohl endgültig vorbei.
Ins Zentrum rücken Szenarien mit einer dezentralen Stromproduktion, die zu einem guten Teil aus erneuerbaren Energien stammt – vor allem aus Windkraft. Über das Potential in der Schweiz gibt es unterschiedliche Vorstellungen. In Europa aber hat der Neubau von Windkraftwerken in den letzten zwei, drei Jahren ein unglaubliches Tempo angenommen. Allein 2010 kamen Turbinen mit einer Leistung von fast 10'000 Megawatt hinzu. Das entspricht 30 AKWs der Grösse von Mühleberg. Kombiniert mit Speicherwerken in den Schweizer Alpen, könnten Windparks im Norden Europas eine wichtige Stütze der Schweizer Stromversorgung bilden. Die Industriellen Werke Basel machen es vor. Sie sind zurzeit mit daran, in der Nordsee Windanlagen für eine halbe Milliarde Franken zu bauen.
Heizen und zugleich Strom produzieren
Dezentrale Stromanlagen könnten bei uns bald einen wichtigen Beitrag leisten. Ein gutes Beispiel sind die Mini-Blockheizkraftwerke namens Ecopower, die derzeit in Deutschland Furore machen. Die Gasheizung für das Einfamilienhaus produziert zugleich Strom und erreicht so einen Wirkungsgrad von über 90 Prozent. Wer eine Ecopower-Heizung einbaut, erhält nicht nur Geld für den eingespeisten Strom, sondern zudem einen Förderbeitrag an die Investition.Deutschlands grösster Ökostromanbieter Lichtblick geht gar noch einen Schritt weiter. Er installiert die stromproduzierenden Heizungen unter dem Begriff «Zuhausekraftwerk» auf eigene Kosten in Privathäusern und verbindet sie zu einem «Schwarm», einer Art virtuellem Kraftwerk. Dereinst sollen 100'000 dieser Heizungen zusammengeschaltet eine Leistung von 2000 Megawatt erreichen – und doppelt so viel Strom produzieren wie ein AKW der Grösse von Gösgen. Für die Schweiz, wo das Bundesamt für Energie noch nicht mal eine Strategie für derartige Wärmekraftkopplungsanlagen hat, ist das noch reine Zukunftsmusik.
Ein Schattendasein fristet hierzulande auch – immer noch – die Fotovoltaik. Zu Unrecht, sagt Markus Gisler. Der Chef der 120-köpfigen Aarwanger Firma Megasol rechnete im Januar dem Berner Energiekonzern BKW vor, dass man auf ein neues AKW in Mühleberg verzichten könne, wenn man 13,6 Milliarden Franken in Fotovoltaikanlagen investiere. Je nach Quelle würde «Mühleberg II» etwa gleichviel kosten. Gislers Vorschlag mutet utopisch an. Er beruht aber auf nüchternen Zahlen, etwa den vom BFE angestrebten Zubauraten oder den Erfahrungen aus Deutschland. Für sein Projekt benötigt er 48 Quadratkilometer Dachfläche. Auf jedem dritten ideal besonnten Dach käme eine Anlage zu stehen. «Es würde kein Quadratmeter Grünfläche überbaut», so Gisler. Die Hausbesitzer würden nach seinem Plan ihre Dächer für 25 Jahre an die BKW abtreten, welche darauf Strom produziert. Wenn die Anlage nach dieser Zeit amortisiert ist, geht sie an die Hausbesitzer über, die damit gratis Strom erhalten.
Die künftigen Gestehungskosten für Solarstrom gibt Gisler mit elf Rappen pro Kilowattstunde an – derzeit liefern die effizientesten Anlagen Strom für 20 Rappen. «Noch vor einigen Jahren kostete die Kilowattstunde Fr. 1.20», sagt Gisler.
Dass ihm die BKW auch nach Fukushima die kalte Schulter zeigt, überrascht den 25-Jährigen nicht speziell. Gislers Hoffnungen ruhen nun auf der Liberalisierung des Strommarkts für Kleinkunden, die dann ihren Anbieter frei wählen können: «Es gibt eine stattliche Anzahl von kleineren Stromanbietern, die in unserem Vorschlag ein künftiges Geschäftsmodell sehen», sagt er.
Wasserkraft: Alte Kraftwerke aufmöbeln
Ausbaupotential hat aber auch die Wasserkraft – ohne die letzten naturnahen Bäche zu verbauen. Alleine mit der Optimierung der bestehenden Werke liessen sich je nach Sichtweise der Fachleute vier bis sieben Prozent mehr Strom erzeugen.
Jetzt fordern die Stromunternehmen von den Umweltverbänden, bei einem Ausstieg aus der Atomkraft ihre Opposition gegen neue Wasserkraftwerke aufzugeben. Dabei vergisst die Energiebranche, dass sie Projekte in bisher unverbautem Gebiet geradezu auf Vorrat eingereicht hat.
Kostenwahrheit: Aussteigen ist teuer, AKWs bauen auch
Billig wird die Abkehr von der Atomkraft nicht. «Der Ausstieg wird kein Spaziergang», warnt der frühere Preisüberwacher und SP-Nationalrat Rudolf Strahm: «Die Kosten für den Ausstieg werden meist unterschätzt.»
Allerdings wird es auch teuer, wenn die Schweiz weiter auf die Atomtechnologie setzt. Das Beratungsbüro Prognos schätzt die gesamtwirtschaftlichen Kosten für ein einziges neues AKW auf 35 Milliarden Franken – bei einer Lauf- und Amortisationsdauer von 60 Jahren. Eingerechnet sind dabei Kosten für Investition, Betrieb, Brennstoff, Stilllegung, Nachrüsten und Bauzinsen. Verzichtet die Schweiz auf den Bau zweier neuer Atomkraftwerke, könnten gegen 70 Milliarden Franken in den Umbau der Stromversorgung investiert werden.
2000 Arbeitsplätze dazugewinnen
Die Atomkraftwerke sind finanziell nicht so attraktiv, wie ihre Betreiber sie gerne gegen aussen darstellen. Kaspar Müller, Präsident der Anlagestiftung Ethos, kam in einer Studie schon 2008 zum Fazit: «Die Kernkraftwerke decken ihre Kapitalkosten nicht und vernichten finanzielle Werte.» Bei den heutigen Kernkraftwerken bestünden «erhebliche Eigenkapitallücken, in Milliardenhöhe». Und: «Tragbare Kapitalkosten sind nur mit staatlicher Hilfe möglich.»
Ähnlich sieht das der Zürcher Ökonom Rolf Iten vom Beratungsbüro Infras. Er hat 2010 im Auftrag von Umweltverbänden und mehreren Städten die Kosten für die künftige Energieversorgung durchgerechnet. Die notwendigen Investitionen für die Weiterführung der bisherigen Politik schätzt er auf 39 Milliarden Franken. Das Szenario «Stromeffizienz und erneuerbare Energien» würde nach seinen Berechnungen Investitionen in der Grössenordnung von 57 bis 65 Milliarden bedingen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht schneide aber das Szenario «Grosskraftwerke» deutlich schlechter ab: «Mit dem Szenario ‹Stromeffizienz und Erneuerbare› könnten wir im Inland rund 5300 Vollzeitstellen schaffen, gegenüber 3300 mit Grosskraftwerken.»
Auch Rudolf Strahm erwartet positive Auswirkungen von einer Förderung von erneuerbaren Energien. Er will ihnen mit einem «langjährigen gewaltigen Impulsprogramm» zum Durchbruch verhelfen.
Mehr Geld und grünes Licht für gute Pläne
Die heutigen Förderprogramme stammen noch aus einer Zeit der energiepolitischen Grabenkämpfe. Bestes Beispiel ist die kostendeckende Einspeisevergütung. Sie war der kleinste gemeinsame Nenner von National- und Ständerat. Eigentlich sollte das Förderprogramm Bevölkerung und Unternehmen motivieren, Solaranlagen zu montieren, Kleinwasserkraftwerke, Biogasanlagen und Windturbinen zu bauen.
Tatsächlich hält es aber Tausende davon ab, in erneuerbare Energien zu investieren. Weil die Fördergelder absichtlich limitiert wurden, müssen über 8000 Gesuchsteller warten. Diese Projekte könnten zusammen pro Jahr 3,7 Milliarden Kilowattstunden Strom produzieren. Das ist weit mehr, als das AKW Mühleberg liefern kann.
Das Ende realistisch planen: Ein Ausstiegsgesetz muss her
«Der sofortige Ausstieg ist eine Illusion.» Das sagt kein Vertreter der Atomlobby, sondern Jürg Buri, Geschäftsführer der atomkritischen Schweizerischen Energie-Stiftung. Für ihn ist aber ein Ausstieg aus der Atomenergie nach der Katastrophe in Japan nur eine Frage der Zeit: «Nun müssen wir schnell politische Entscheide für einen geordneten Abschied von der Atomkraft treffen.» Der ehemalige SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner doppelt nach: «Bis in zehn Jahren können sämtliche Atomkraftwerke der Schweiz ersetzt sein – wenn man dies politisch will.»
Weil eine Reihe bürgerliche Exponenten ihre Meinung zur langfristigen Energiepolitik geändert haben, kommt Bewegung in die Diskussion. Grüne und Linke reichen politische Vorstösse im Multipack ein, gar der Bundesrat will im Juni verschiedene mögliche Ausstiegsszenarien vorlegen.
Der St. Galler Wirtschaftsprofessor Rolf Wüstenhagen plädiert für ein ganz anderes Vorgehen: Es sei zwar tatsächlich an der Zeit, neue Szenarien auszuarbeiten. Aber: «Besser wäre, man würde einen wünschenswerten Endzustand der Energieversorgung definieren und daraus ableiten, was es braucht, um dieses Ziel zu erreichen.»
Ein Weg dahin könnte ein Gesetz sein, das das politische Ende der Atomkraft definiert. Ein solches Ausstiegsgesetz wäre auch im Sinn der Stromkonzerne. Sie sind auf Planungssicherheit angewiesen und müssen Klarheit haben, wie lange sie ihre Werke noch betreiben können.
Tschernobyl hat die Atomdiskussion verändert, Fukushima wird die Debatte beenden. Es ist nicht mehr eine Frage, ob wir noch weiterhin auf Nukleartechnologie setzen. Sondern: wie lange noch.
Ein Atomausstieg würde die Landschaft verändern, befürchtet Landschaftsschützer Raimund Rodewald. Er fordert von der Politik einen klaren Aktionsplan.
Interview: Thomas Angeli
Beobachter: Seit der Atomausstieg ein Thema ist, hört man immer wieder, nun müssten Natur- und Landschaftsschützer von ihrer Verhinderungspolitik abrücken. Sind Sie dazu bereit?
Raimund Rodewald: Von Verhinderungspolitik kann keine Rede sein. Wir kämpfen lediglich dafür, dass die heutigen Gesetze im Natur- und Heimatschutz respektiert werden. Zudem setzen wir uns seit Jahren für den Atomausstieg ein. Der Unfall in Japan hat uns in dieser Haltung bestätigt.
Beobachter: Die Stiftung Landschaftsschutz gilt ja als erklärte Gegnerin von Windkraftanlagen. Werden Sie diese Position überdenken?
Rodewald: Wir werden darüber reden müssen. Meiner Meinung nach braucht es einen Aktionsplan für den Ausstieg. Wir wollen vom Bund wissen, wo Windparks in der Schweiz möglich und sinnvoll sind, denn mit einzelnen Windrädern irgendwo in der Landschaft löst man das Energieproblem nicht. Wir setzen primär auf Fotovoltaik, Biomasse und Geothermie, aber durchaus auch auf Wasserkraft.
Beobachter: Wird das Umdenken, das gerade stattfindet, die Landschaft verändern?
Rodewald: Ich denke schon, denn anders ist die Energiewende gar nicht machbar. Wir brauchen einen Zubau von erneuerbaren Energien, auch wenn man durch Effizienzmassnahmen viel Atomstrom einsparen könnte. Um diesen Zubau in geordnete Bahnen zu lenken, brauchen wir jedoch mehr Vorschriften und eine klare Politik in Sachen erneuerbare Energien.
Raimund Rodewald ist Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz.