Streikt mit, ihr Eltern!
Schülerinnen und Schüler streiken gegen den Klimawandel, die ältere Generation reibt sich die Augen. Da wächst gerade eine neue Jugendbewegung heran. Gott sei Dank, meint Beobachter-Redaktor Thomas Angeli. Ein Kommentar.
Veröffentlicht am 1. März 2019 - 17:22 Uhr,
aktualisiert am 28. Februar 2019 - 11:45 Uhr
Erderwärmung? Schmelzende Gletscher und steigende Meeresspiegel? Zu hohe CO2-Emissionen? Wir älteren Semester haben uns an die Warnungen und Katastrophenmeldungen gewöhnt. Wir hören davon in den Nachrichten, wir lesen darüber in der Zeitung – und vergessen es so schnell als möglich.
Und dann stehen plötzlich unsere Kinder und Enkel auf der Strasse, schwänzen Schulstunden, rufen «Klimastreik» und verlangen lautstark, dass endlich etwas passiert. Sie malen Schilder («There is no planet B»), skandieren «Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut» und stellen Forderungen: null CO2-Emissionen ab 2030 etwa, eine CO2-Abgabe auf Flugreisen und ganz generell ein bewussterer Umgang mit Ressourcen.
«Wer, wenn nicht wir, hat ihnen vorgelebt, dass jeder Punkt der Erde per Flugzeug erreichbar ist?»
Thomas Angeli, Beobachter-Redaktor
Die Proteste sind friedlich, laut und fantasievoll, und die Demonstrierenden können auf eine stetig wachsende Zahl von Unterstützern zählen. Da wächst praktisch aus dem Nichts eine neue Jugendbewegung heran – und wir Eltern und Grosseltern wundern uns. Haben wir nicht bis vor kurzem noch kritisiert, dass Jugendliche bloss aufs Handy starren und sich sonst für nichts interessieren? Jetzt merken wir: Sie kümmern sich sehr wohl um ihre Umwelt – und so schnell werden sie nicht Ruhe geben.
Natürlich gibt es kritische Stimmen. Die Jugendlichen hätten bloss einen neuen Weg gefunden, die Schule zu schwänzen, stänkern Rechtsbürgerliche, sie würden von links-grünen Kreisen instrumentalisiert. Ihre Forderungen seien wirtschaftsfeindlich und unrealistisch. Bloss: Auch wer vor 20 Jahren gesagt hätte, dass man heute für deutlich weniger als 50 Franken von Zürich nach Berlin und zurück fliegen kann (und damit kiloweise klimaschädigendes CO2 produziert), wäre als Spinner bezeichnet worden. Warum also soll das Gegenteil, eine CO2-Reduktion auf netto null, unrealistisch sein?
Apropos Fliegen: Eine Lieblingsaussage der Klimastreik-Gegner lautet, die Schülerinnen und Schüler würden zwar jetzt gegen den Klimawandel demonstrieren, aber spätestens im Sommer dann mit den Eltern in die Ferien fliegen. Wer so argumentiert, hat etwas ganz gründlich nicht begriffen: Wer, wenn nicht wir Babyboomer, hat den Jugendlichen vorgelebt, dass jeder halbwegs zivilisierte Punkt der Erde innert weniger Stunden per Flugzeug erreichbar ist? Und wo, wenn nicht im Elternhaus, lernen Kinder, dass aus der halben Welt eingeflogene Tomaten und Erdbeeren mitten im Winter quasi ein Menschenrecht sind? Eben.
Wir Mittvierziger, Überfünfziger und Babyboomer tun gut daran, die Moralkeule («Die Schule schwänzen? Gehts eigentlich noch?») und unsere «Das ist sowieso unrealistisch»-Haltung abzulegen und stattdessen einfach einmal zuzuhören, was Jugendliche zum Klimawandel, unserer Lebensweise und ihren Zukunftsängsten zu sagen haben.
Und wir sollten dankbar sein: dass da eine Generation heranwächst, die nicht mehr länger zusehen, sondern endlich handeln will. Vor allem aber sollten wir diese Generation unterstützen, indem wir uns mit ihr solidarisieren. Es gibt einen ganz einfachen Weg dazu: mitstreiken , aber bloss in der zweiten Reihe. Denn die Jugendlichen wissen, was zu tun ist.
Der nächste grosse Aktionstag findet am 15. März statt. Das ist ein Freitag. Aber die Solidarität mit den Jugendlichen sollte uns etwas Ärger mit dem Chef wert sein.
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