Der Irrsinn mit den Cashewnüssen
Cashewnüsse wachsen in Afrika, werden in Vietnam verarbeitet und in der Schweiz verpackt. Von diesem ökologischen Unsinn erfahren die Konsumenten nichts.
Veröffentlicht am 31. Juli 2018 - 16:12 Uhr,
aktualisiert am 2. August 2018 - 15:37 Uhr
Der Cashewkönig Dang Hoang Giap sieht das Desaster kommen. Er versuche alles, um das Unabänderliche noch abzuwenden und Cashews weiter in Vietnam zu verarbeiten. Doch «der Tag wird kommen, an dem afrikanische Staaten übernehmen», klagte er kürzlich dem «Wall Street Journal».
Die Aussage kam überraschend. Denn bisher verlief die Geschichte genau umgekehrt. Vietnam krallte sich das Geschäft und ist in den letzten fünf Jahren zum weltweit führenden Cashewexporteur aufgestiegen. Im Land wächst zwar nur ein Viertel der Weltproduktion, es verarbeitet aber jede zweite rohe Nuss.
Dass es so weit kam, wurde 1995 hinter verschlossenen Türen in Hanoi beschlossen. Die Regierung bat Giaps Kollegen Nguyen Van Lang, eine nationale Verarbeitungsindustrie auf die Beine zu stellen. Das tat er so vorzüglich, dass die Nachbeben noch heute in Afrika zu spüren sind. Die lokale Verarbeitungsindustrie brach zusammen, Tausende Arbeiter landeten auf der Strasse.
95 Prozent der rohen Nüsse aus Afrika werden in Fernost verarbeitet.
Heute ist Afrika zwar der grösste Cashewproduzent der Welt, aber nur ein kleiner Teil wird vor Ort verarbeitet. 95 Prozent der rohen Nüsse gehen dafür nach Fernost. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit konstatierte kürzlich: «Die Möglichkeiten für Arbeitsplatzschaffung, lokale Wertschöpfung und Armutsreduzierung bleiben grösstenteils ungenutzt.» Ein erschütternder Befund.
Cashews sind das heimliche Symbol des globalen Zeitalters geworden. Die Zulieferketten verlaufen kreuz und quer über den Planeten. Der Wettbewerb ist international, der Handel reagiert auf kleinste Veränderungen. Zwischen Glück und Verderben liegen oft nur eine Handvoll Dollar. Länder können sich aus ärgster Not befreien – oder in den Abgrund stürzen.
Dass die Produktion globalisiert werden konnte, liegt in der besonderen Natur der nierenförmigen Nuss. Cashews zu verarbeiten ist komplex und teuer. Bevor sie getrocknet, die Häutchen entfernt und die Kerne geröstet werden, muss man die harte Schale knacken, ohne dass das Schalenöl den Nusskern angreift. Dazu werden die Nüsse in heisse Bäder getaucht. Bei 190 Grad tritt das toxische Cardol aus – ein begehrter Stoff für die Farben- und Kunststoffindustrie.
Selbst kleinste Spritzer des Schalenöls führen zu starken Verätzungen. Es greift die Fingerkuppen der Arbeiterinnen an und kann den Fingerabdruck wegradieren. Für die vielen Analphabeten eine Katastrophe: Sie werden praktisch geschäftsunfähig. Viele Rechtshändel können sie nur per Fingerabdruck besiegeln. Noch schlimmer ist es, wenn die Säure in den Körper eindringt. Dort löst sie schwere Stoffwechsel- und Nervenerkrankungen aus.
Dang Hoang Giap hat die Verarbeitung weiter automatisiert und verfeinert. Um pro Tag 66'000 Pfund Rohnüsse zu verarbeiten, brauchte es früher 2000 Arbeiterinnen, heute noch 170. Protektionistische Zölle und Subventionen machen Giap unantastbar. Eine Tonne rohe Cashews in Vietnam zu verarbeiten kostet 217 bis 254 Dollar – in Afrika 309 bis 704 Dollar. Das holländische Aussenministerium sagt: «Wer in Afrika ein Projekt zur Verarbeitung von Cashews startet, muss eine Antwort auf diese Herausforderung finden.»
Alle Versuche, Westafrika zurück ins Geschäft zu bringen, sind genau daran gescheitert. Die Wende bringen sollte eine 2009 gegründete Initiative. Darin haben sich über 100 Partner zusammengeschlossen, darunter die deutsche Entwicklungshilfeorganisation, die Bill & Melinda Gates Foundation und Produzenten wie Kraft Heinz Foods.
Tausende Bauern wurden geschult, der Anbau professionalisiert. Die Kapazitäten für die Verarbeitung der Nüsse wurden von 9000 auf 25'000 Tonnen hochgefahren. Die Hoffnungen waren immens. Aber auch diese Initiative scheiterte an der wirtschaftlichen Realität.
Erste Schweizer Detailhändler wie Gebana und Coop geben sich damit nicht zufrieden. Sie haben umgestellt und verkaufen nur noch Cashews, die vor Ort in Afrika verarbeitet wurden. Auch aus ökologischen Gründen: Wird ein Kilo westafrikanische Rohnüsse in Vietnam verarbeitet, fallen beim Transport so viel Emissionen an, wie wenn man die gerösteten Nüsse zweieinhalb Mal um den Globus schippern würde. Denn eine rohe Nuss samt Schale wiegt fünfmal so viel wie die geröstete.
Was Adrian Wiedmer, Geschäftsführer der grössten Schweizer Fairtrade -Firma Gebana, besonders aufregt: «Nicht einmal Bio und Fairtrade verbieten diesen Unsinn.» Man müsse sich vom hyperglobalisierten Handel verabschieden und Wertschöpfungsketten aufbauen, die den Bauernfamilien helfen, der lokalen Wirtschaft nützen und die Umwelt möglichst wenig belasten. Ein grosses Ziel.
Gebana wählte letzten Winter dafür einen neuen Ansatz: Crowdfunding. Kunden kaufen Cashews und getrocknete Mangos, die sie erst in fünf Jahren geliefert bekommen. 3000 machten mit und zahlten eine Dreiviertelmillion Franken. Sie nehmen Risiken in Kauf. Klappt der Aufbau in Burkina Faso nicht, gibts nichts – keine Cashews, keine Mangos, kein Geld zurück. Erwirtschaftet Gebana Gewinn, werden die Kunden am Erfolg beteiligt.
Dank der Aktion geht Gebana-Chef Wiedmer das Versprechen «Wir investieren langfristig und bleiben, bis wir Erfolg haben» nun leichter über die Lippen. Es brauche beides: den gemeinsamen Einsatz der lokalen Verarbeiter und loyale Kunden in der Schweiz.
«Wer will eine Bio-Fairtrade-Nuss von einem Konzern kaufen, der in Skandale verwickelt ist?»
Adrian Wiedmer, Chef von Gebana
Wiedmer stört sich auch daran, wie Fairtrade-Label bei der Wahl der Händler vorgehen. Er fordert von ihnen mehr Vorsicht. Sie arbeiteten selbst mit Branchenriesen wie Olam zusammen, der den Löwenanteil der Rohnuss-Exporte nach Asien verantwortet. Ein Problem. Denn Olam trickst bei der Herkunft. Gemäss Isotopenanalysen stammt ein Teil der angeblich in Afrika gewachsenen Bio- und Fairtrade-Cashews aus Asien. Umweltgruppen kritisieren zudem, dass Olam zum Beispiel im afrikanischen Gabun oder in Indonesien Urwald für die Produktion von Palmöl abgeholzt hat. Wiedmer fragt sich deshalb: «Welcher Konsument möchte schon eine afrikanische Bio-Fairtrade-Nuss von einem Milliardenkonzern aus Singapur kaufen, der in verschiedene Nachhaltigkeitsskandale verwickelt ist?»
Olam International bestreitet die Vorwürfe. «Wir mischen keine in Asien hergestellten zertifizierten Cashews mit in Afrika hergestellen Nüssen und verkaufen sie dann als afrikanische», erklärt Sprecherin Nikki Barber. Alle Biosuisse- und Fairtrade-Cashews aus der Elfenbeinküste würden auch dort verarbeitet. Zudem habe Olam «stark in den Aufbau einer Verarbeitungsindustrie» in der Elfenbeinküste, in Nigeria, Tansania und Mosambik investiert.
Max Havelaar nimmt die Kritik ernst. «Wir weisen unsere Geschäftspartner darauf hin, dass auch die Verarbeitung fair und ökologisch erfolgen soll», sagt Patricio Frei, Sprecher des Fairtrade-Labels. Aber: «Uns geht es in erster Linie um die Bauern. Wir tun unser Bestes, um ihnen den Marktzugang zu ermöglichen, damit möglichst viele Fairtrade-Produkte in den Handel gelangen und so viele Bauern wie möglich profitieren.» Dies gehe nur, wenn man Herstellern und Händlern nicht zu viele Auflagen mache. «Die gesamte Lieferkette im Detail zu kontrollieren, wäre enorm aufwendig. Das würde die Zertifizierung stark verteuern.» Für die Bauern wäre das kontraproduktiv.
Nur bei wenigen Produkten wie Kaffee, wo die ersten Verarbeitungsschritte vor Ort gemacht werden, kontrolliert Max Havelaar durchgehend. Ansonsten gelten Händlerstandards für Preis, Zahlung der Fairtrade-Prämie und Rückverfolgbarkeit. Bei Olam handle es sich um einen zugelassenen Händler und Verarbeiter, sagt Frei. «Wir zertifizieren Produkte und nicht Händler.» Bei Fairtrade ist die Verarbeitung nicht immer genauso fair wie der Anbau.
Coop geht weiter als Max Havelaar und verkauft seit Anfang Jahr fast nur noch Cashews, die in Afrika verarbeitet wurden. Man lege grossen Wert auf faire Arbeitsbedingungen entlang der ganzen Wertschöpfungskette, sagt der Detailhändler. Auch für die Verarbeitung gälten Mindestanforderungen: der Industriestandard BSCI, der sozialverträgliche Arbeitsbedingungen in Risikoländern sicherstellen soll.
«Wir mussten garantieren können, dass es nach der Umstellung zu keinen Lieferunterbrüchen kommt», sagt Carola Riedel, Hauptverantwortliche für den Einkauf von Nüssen bei Coop. Da war vor allem die harte Konkurrenz aus Fernost. Weil der Cashewpreis stark gestiegen ist, traten asiatische Händler noch aggressiver auf und «kauften den Markt regelrecht leer». Probleme bereitete zudem die Bio-Zertifizierung. Viele Bauern fielen aus dem Programm, weil sie auf ihren Höfen weiterhin Pestizide spritzten. Das Fehlen einer Verarbeitungsindustrie war das kleinere Problem. «Wir kennen Produzenten und Verarbeiter vor Ort seit Jahren und wissen genau, wenn sich etwas ändert», sagt Riedel.
Die Umstellung schlägt nicht auf den Preis durch. Die Nüsse kosten gleich viel wie vorher. Das Verarbeiten in Westafrika sei nur minim teurer als in Fernost, sagt Riedel. Dies werde aber «durch den Mehrwert der Produktion vor Ort mehr als ausgeglichen». Welchen Effekt Coops Initiative hat, zeigen die Zahlen von Max Havelaar für das erste Quartal: Der Umsatz von Fairtrade-Cashews verdreifachte sich auf 141 Tonnen.
Die anderen Detailhändler hinken hinterher. Migros versucht, «möglichst alle Cashews direkt aus dem Anbaugebiet beschaffen zu können». Die Verarbeitungskapazitäten liessen das nur bei Bio-Fairtrade-Cashews zu. Die gerösteten Nüsse, die man in Asien einkaufe, stammten aus Indien, Vietnam – oder aus Afrika.
Bei Aldi variiert die Herkunft. Nur für einen «Naturnussmix» gibt es die Garantie, dass «die ganze Wertschöpfung in Vietnam und der Elfenbeinküste» erfolgt. Lidl schreibt: «Da die Herkunft der Nüsse stark schwankt, ist es für uns in der Praxis nicht umsetzbar, dies auf der Verpackung laufend nachzuführen.» Lidl halte sich an die BSCI-Standards, wechselt offenbar aber ständig die Lieferanten.
Von all dem erfahren die Konsumenten nichts. Die Detailhändler verschanzen sich hinter dem Buchstaben des Gesetzes. «Die Lebensmittelverordnung hält fest, dass die Herkunft nur angegeben werden muss, wenn die Aufmachung des Produkts täuschend wäre, was bei unserem Produkt nicht der Fall ist», schreibt Lidl stellvertretend.
Bis auf weiteres wird auf der Etikette nur vermerkt sein, wo die Nüsse angebaut – und wo sie verpackt wurden. Zum Beispiel im Kanton Baselland. Man könnte fast meinen, Cashews seien made in Switzerland.