«China will grüner werden»
Li Lin vom WWF China über die umweltpolitischen Herausforderungen des Riesenlandes, bedrohte Pandas, verschmutzte Flüsse und die Hoffnung auf eine nachhaltigere Zukunft.
aktualisiert am 24. Mai 2011 - 15:33 Uhr
BeobachterNatur: Wie geht es dem Grossen Panda, dem Wappentier des WWF?
Li Lin: Der Bestand von 1600 Tieren in freier Wildbahn ist seit 1980, als der WWF in China aktiv wurde, klein, aber stabil. Neuerdings lassen sich einzelne Tiere auch ausserhalb der Schutzgebiete beobachten, in von uns eingerichteten Waldkorridoren. Das stimmt uns zuversichtlich. Für die Chinesen haben Grosse Pandas einen hohen emotionalen Wert, sie sind Teil der nationalen Identität. Deshalb wird unser Logo auch ständig kopiert (lacht).
BeobachterNatur: Wie steht es um den Stellenwert der Umwelt in China?
Lin: Das Umweltbewusstsein nimmt zu, es entstehen neue Öko- und Klimabewegungen. Die Atomkatastrophe in Fukushima hat dieser Entwicklung einen kräftigen Schub verliehen.
BeobachterNatur: Doch die Zentralregierung in Peking scheint weiterhin unbeirrt auf den Ausbau der Atomkraft zu setzen.
Lin: Es gibt Anzeichen dafür, dass sich auch die Parteileitung kritisch mit dem Thema auseinandersetzt. Gleich nach der Katastrophe bekannte man sich noch uneingeschränkt zur Atomkraft. Seither werden die offiziellen Verlautbarungen immer vorsichtiger. Man ist sich der Risiken dieser Form der Energiegewinnung durchaus bewusst.
BeobachterNatur: 2025 wird China weltweit am meisten Treibhausgase ausstossen. Tut man etwas dagegen?
Lin: Die Regierung hat die CO2- und Energieproblematik lange Zeit versucht zu ignorieren. Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass die USA noch weit mehr Energie verbraucht. Aber jetzt sind Anzeichen für einen Meinungsumschwung sichtbar. Im neuen Fünfjahresplan kommt zum ersten Mal überhaupt das Wort «Kohlendioxid» vor. Sechs von 24 Zielen betreffen die Umwelt. Man will den C02-Ausstoss reduzieren, Biotreibstoffe fördern und die Waldflächen erhöhen – all das ist sehr erfreulich.
BeobachterNatur: Die globale Wahrnehmung ist jedoch eine andere. Peking tritt eher als Verhinderer von Klimaschutzmassnahmen auf.
Lin: China hat seit der Konferenz in Kopenhagen, wo es stark kritisiert worden ist, dazugelernt. Nun versucht Peking, die globale Kommunikationsstrategie zu verbessern, auch mit der Hilfe von Nichtregierungsorganisationen wie dem WWF. Früher hat uns Peking argwöhnisch kontrolliert, heute hat es eingesehen, dass wir eine wichtige kritische Stimme sind. Ohne Dialog können wir keine der anstehenden globalen Umweltprobleme lösen.
BeobachterNatur: China scheint die Lösung in der Technik zu sehen, in Riesenprojekten wie Staudämmen.
Lin: China geht es nicht primär um die Umwelt, sondern vor allem um die Sicherheit der Energieversorgung. Diese Denkweis ist Teil unserer Geschichte: Der erste Damm wurde vor 2500 Jahren gebaut – und er steht heute noch. Viele Parteimitglieder sind Ingenieure, wie auch ich eine bin. Aber ich habe gelernt, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen. Der WWF zeigt, wie wir die Auswirkungen solcher Riesenbauten auf die Ökosysteme und die Bevölkerung abmildern können und dass es auch ohne den Neubau solcher Riesendämme geht.
BeobachterNatur: Welches sind die grössten Herausforderungen, die auf China zukommen?
Lin: Unsere Ressourcen, etwa Wasser, sind knapper als im globalen Durchschnitt. Flüsse und Seen trocknen aus, und dort, wo es noch Wasser hat, ist dieses verschmutzt. Mit einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden und einer schnell wachsenden Wirtschaft müssen wir neue Wege finden, um nachhaltig mit unseren Ressourcen umzugehen. Ansonsten ist nicht nur die Umwelt sondern auch die soziale Stabilität bedroht.
BeobachterNatur: Es gibt auch in China Umweltgesetze. Trotzdem fliessen Abwässer nach wie vor ungefiltert in die Flüsse. Woran liegt das?
Lin: Das hat viele Gründe. Erstens hat das Umweltministerium wenig politische Macht. Es kann nicht eingreifen, höchstens präventiv tätig sein. Zweitens sind Kontrollen vor Ort kaum durchführbar. Drittens werden Umweltstandards von der Industrie umgangen, weil man damit Kosten sparen kann – und eine allfällige Busse viel günstiger ausfällt. Aber es gibt auch Fortschritte: Vor wenigen Jahren noch wurden 80 Prozent der Abwässer ungefiltert abgeleitet, heute werden immerhin 60 Prozent gereinigt.
BeobachterNatur: Derzeit herrscht im Norden Chinas eine extreme Dürre. Die ersten Anzeichen des Klimawandels?
Lin: Ja, sicher, China bekommt den Klimawandel besonders intensiv zu spüren. Auch die Häufigkeit von Schneestürmen hat zugenommen. Mit einer nationalen Strategie versucht die Regierung, die Auswirkungen der Klimaerwärmung abzuschwächen.
BeobachterNatur: Wie sieht die künftige Rolle Chinas aus? Wird es Leader in der globalen Energierevolution?
Lin: Vorhersagen in Bezug auf China sind äusserst schwierig. Vor dreissig Jahren hätte niemand die heutige Situation für möglich gehalten. Tatsache ist, dass China auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft und grüne Technologien setzt. Die Branche hat um 77 Prozent zugelegt, wie ein neuer WWF-Report zeigt. China könnte der Welt ein Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit sein. Wir brauchen diesen Wandel. Wenn wir ihn nicht schaffen, sehe ich schwarz.
- China ist flächenmässig das drittgrösste Land der Welt und mit seinen rund 1,3 Milliarden Einwohnern der bevölkerungsreichste Staat überhaupt.
- China ist der grösste Emittent des Treibhausgases Kohlendioxid.
- Mehr als 30 der weltweit schmutzigsten 50 Städte befinden sich in China.
- China ist der weltgrösste Produzent erneuerbarer Energien.
- Rund zwei Drittel der weltweit produzierten Solarkollektoren stammen aus China.
- Rund 40 Prozent von Chinas Wirtschaftsförderungspakets wird in grüne Technologien investiert.
(Quelle: WWF)
China gilt in Umweltkreisen nicht gerade als Ökovorbild, denn der Gigant im Osten hat einen gewaltigen Energiebedarf und ist dabei, die USA als grössten CO2-Verursacher zu überholen. Keine Sympathien holt sich das Land auch mit seinen AKW-Plänen, denn der Nuklearpark soll in Zukunft um 50 bis 100 Anlagen erweitert werden.
Und doch: China hat auch eine grüne Seite: Kein Land investiert derart massiv in Wind- und Solarenergie und Wasserkraft wie das Land der Mitte. Bis ins Jahr 2020 sollen knapp zehn Prozent der Energie durch neue erneuerbare Energien gedeckt werden. China baut gegenwärtig High-Tech Stromnetze zur verlustfreien Übertragung und liefert Photovoltaik-Zellen in die ganze Welt. Im Gespräch mit BeobachterNatur äussert sich WWF-Vertreterin Li Lin vorsichtig optimistisch über die umweltpolitischen Herausforderungen des Riesenlandes. (Stefan Stöcklin)