Sorgen ums Trinkwasser
Das Pestizid Chlorothalonil ist neu verboten – und mit ihm gewisse Abbauprodukte. Deswegen droht jetzt das Wasser knapp zu werden.
Veröffentlicht am 23. Dezember 2019 - 11:56 Uhr
Glück klingt anders: «Einen Brunnen haben wir bereits geschlossen. Vier weitere werden folgen, da sie die Trinkwasserqualität nicht mehr erfüllen», sagt Roman Wiget. Dabei sollte sich der Geschäftsführer der Seeländischen Wasserversorgung in Worben BE eigentlich freuen.
Mitte Dezember hat das Bundesamt für Landwirtschaft das Fungizid Chlorothalonil verboten; ein Stoff, der Wasserfachleuten schon seit Jahren Sorgen bereitet. Ab dem 1. Januar 2020 darf das Mittel, das vor allem im Ackerbau zum Einsatz kommt, nicht mehr angewendet werden.
Der Druck, das Fungizid zu verbieten, war gewachsen, seit die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit im letzten Frühling Chlorothalonil als «möglicherweise krebserregend » eingestuft hatte. Dennoch dauerte es lange neun Monate, bis die Schweiz nachzog.
Dass der Entscheid den Wasserversorgern nun ebenso viel Freude wie Sorgen bereitet, hat mit den Abbauprodukten von Chlorothalonil zu tun, den sogenannten Metaboliten.
Neu sind alle Chlorothalonil-Metaboliten als «relevant» eingestuft. Sprich: Weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch die Abbauprodukte Krebs verursachen können, gilt für sie ab dem 1. Januar ein Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser.
Doch damit nicht genug: In einer im Herbst publizierten Studie hatte das Forschungsinstitut Eawag neben dem bereits bekannten und als relevant eingestuften Abbauprodukt Chlorothalonil-Sulfonsäure einen weiteren Metaboliten gefunden, der in einer noch viel höheren Konzentration im Grundwasser vorkommt: der Stoff mit der Bezeichnung R471811.
Es ist dieser Metabolit, der Wiget Sorgen macht. R471811 findet sich im Grundwasser des Seelands in einer Konzentration von 1,5 Mikrogramm pro Liter, 15 Mal höher als der Grenzwert. «Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Versorgern im Mittelland können wir zwar weiterhin einwandfreies Trinkwasser liefern. Aber die eine Fassung, die uns noch bleibt, reicht weder für die sommerlichen Bedarfsspitzen noch zur Abdeckung eines allfälligen Störfalls», sagt Wiget.
Eine neue Umkehrosmose-Anlage befindet sich erst im Testbetrieb. Die Forschenden der Eawag warnen aber in einem Bericht vor zu hohen Erwartungen. «Die Eliminierung von R471811 bei der Trinkwasserproduktion dürfte eine Herausforderung werden.»
Das Problem beschränkt sich nicht auf das Berner Seeland. Bei Messungen kamen die Schweizer Kantonschemiker letzten Sommer auf fast 170'000 Personen, die zu stark belastetes Trinkwasser konsumieren müssen. Das war vor der Einführung des Grenzwerts für R471811.
Der Schaffhauser Kantonschemiker Kurt Seiler, einer der führenden Trinkwasser-Spezialisten, mag sich nicht auf eine genau Zahl festlegen. Aber aufgrund der höheren Konzentration von R471811 liege die Betroffenheit jetzt deutlich höher. Mit anderen Worten: Die Zahl der Menschen, die gezwungenermassen Wasser mit zu hohen Konzentrationen an Chlorothalonil-Metaboliten trinken, dürfte eine halbe Million übersteigen.
Der Basler Agrochemie-Multi Syngenta, der das Fungizid
herstellt, will den Spiess umdrehen. Neue Studien zeigten, «dass die Abbauprodukte von Chlorothalonil nicht relevant und damit für Mensch und Umwelt ungefährlich sind», schreibt die Firma auf Anfrage. «Das heisst, dass die Zulassung von Chlorothalonil gemäss Auffassung der betroffenen Firmen aufgrund dieser wissenschaftlichen Belege hätte verlängert werden müssen. Diese Studien standen den europäischen Behörden noch nicht zur Verfügung.» Syngenta werde nun den Entscheid des Bundesamts für Landwirtschaft analysieren und dann über weitere Schritte entscheiden.
2 Kommentare
Wasserknappheit: Strikte Rahmenbedingungen für die Wasserwirtschaft durchsetzen
Grundsätzlich ist es zu begrüssen, wenn private Kapitalgesellschaften in die Wasserwirtschaft investieren. In vielen Ländern fehlen dafür die notwendigen öffentlichen Mittel. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Wassernutzung müssen aber so abgefasst sein, dass sie die allgemeine Wassernutzung vor Ort nicht beeinträchtigen und der Gewinn aus der Privatinvestition im Produktionsland besteuert wird. Da aber in vielen Ländern die institutionellen und rechtlichen Voraussetzungen für den Wasserschutz und die Wassernutzung fehlen, müssen die internationalen Konzerne in die Verantwortung genommen werden. Das wurde unter anderem mit der Konzernverantwortungs-Initiative angestrebt.
Unverständlich, weshalb das Bundesamt den Weiterbetrieb dieser Giftfabrik Syngenta nicht schon lange verboten hat.