«Wer auf Atomkraft setzt, tut sich Böses an»
In einem Husarenstreich übernahmen Aktivisten um Ursula Sladek 1997 das Stromnetz der süddeutschen Stadt Schönau. Seither verkauft das Werk nur noch Ökostrom. Für die Stromrebellin ist der Kampf jedoch nicht beendet.
Veröffentlicht am 5. Februar 2010 - 09:12 Uhr
BeobachterNatur: Frau Sladek, kämpfen Sie gerne gegen übermächtige Gegner?
Ursula Sladek: Ich glaube schon. Das muss ein bisschen in einem stecken. Schon als kleines Mädchen habe ich immer geguckt, mit welchen Jungs ich Kräfte messen konnte. Ich war damals oft die Stärkere – das hat mich schon immer gefreut (lacht).
BeobachterNatur: Der Kampf gegen den übermächtigen Gegner führen Sie ja auch als Geschäftsführerin der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).
Sladek: In der Energiewirtschaft sind fast alle Gegner übermächtig. Wenn man Angst hat und nicht bereit ist, sich dieser Auseinandersetzung zu stellen, erreicht man nichts. Da muss man auch ein wenig pfiffig sein.
BeobachterNatur: Schönau hat dank den EWS eine Art Asterix-Image. Mögen Sie dieses Bild vom kleinen Schwarzwälder Dorf, das nicht aufhört, Widerstand zu leisten?
Sladek: Es ist ein Klischee. Am Anfang fand ich es ganz lustig, aber inzwischen stört es mich eigentlich. Da ziehe ich das Etikett «Stromrebellen» vor. Das wurde uns auch von den Medien angehängt, aber es trifft viel eher zu, denn rebellisch waren wir, sind wir und werden wir künftig sein. Schliesslich gibt es noch einiges zu verändern.
BeobachterNatur: Bleiben wir kurz in der Vergangenheit. Sie haben mit Ihrem Mann nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986) in einem jahrelangen Kampf erreicht, dass das Stromnetz von Schönau an Ihre Bürgerinitiative verkauft und so quasi zum ersten «Öko-EW» Deutschlands wurde. Trauern Sie diesen Zeiten des Kampfs manchmal nach?
Sladek: Nein, denn das war nicht immer schön, sondern zum Teil ganz harte Arbeit. Wir mussten zwei Bürgerentscheide (Referenden, d. Red.) gewinnen. Wir organisierten Konzerte und Diskussionsveranstaltungen und gingen von Haus zu Haus, um die Leute zu überzeugen. Abends traf sich dann die ganze Truppe bei uns zu Hause. So kamen wir wochenlang erst nachts um drei Uhr ins Bett. Ich sass am Morgen oft auf meiner Bettkante und hätte heulen können, weil ich so kaputt war. Aber ich hatte fünf Kinder und musste aufstehen.
BeobachterNatur: Damals spaltete Ihr Engagement die Stadt, und Sie konnten die EWS nur dank einer hauchdünnen Mehrheit gründen. Wie viele Schönauer beziehen denn heute ihren Strom von den EWS?
Sladek: Etwas mehr als 95 Prozent werden es schon sein. Wir haben bei der Öffnung des Strommarkts für Private fast keine Kunden verloren.
BeobachterNatur: Ganz ohne bange Momente kann die Marktöffnung für Sie nicht abgelaufen sein, oder?
Sladek: Klar, als da plötzlich Billigstromanbieter auf dem Markt waren, machten wir uns schon unsere Gedanken. Schliesslich ist «billig» ein Wort, bei dem die Leute unruhig werden. Aber wir haben uns dann für die Flucht nach vorn entschieden und uns gesagt: Für jeden Kunden, den die uns wegnehmen, nehmen wir ihnen drei weg. Das hat funktioniert und tut es immer noch.
BeobachterNatur: Wie viele Kunden haben Sie denn heute?
Sladek: Zurzeit sind es etwas über 90'000. Wir hoffen, bis Ende Jahr die 100'000er-Grenze zu knacken.
BeobachterNatur: Dafür haben Sie ja noch elf Monate Zeit. Aber selbst mit dieser Zahl können Sie den grossen Stromkonzernen letztlich nur Nadelstiche zufügen.
Sladek: Da bin ich mir nicht so sicher. Gerade in Süddeutschland gibt es eine Bewegung von Gemeinden, die ihre Unabhängigkeit gegenüber den grossen Energieversorgern erreichen wollen. Wenn man sieht, wie Vertreter der Atomwirtschaft in den Landen umherreisen und mit Zähnen und Klauen und den abenteuerlichsten Argumenten die Kommunen zu halten versuchen, dann denke ich schon, dass es anfängt, wehzutun. Nach unserem Vorbild haben sich etwa am Bodensee mehrere Gemeinden zusammengeschlossen und ihre Stromversorgung unabhängig gemacht, und auch um Stuttgart herum denken verschiedene Kommunen über die Übernahme ihres Stromnetzes nach. Nein, ich denke nicht, dass das spurlos an den Stromkonzernen vorübergeht.
BeobachterNatur: Können Sie bei den Preisen denn mit den grossen Anbietern mithalten?
Sladek: Wir sind durchaus konkurrenzfähig, obschon die meisten unserer Mitbewerber nur Schrottstrom anbieten.
BeobachterNatur: «Schrottstrom»?
Sladek: Ist eine Erfindung von mir, man nennt das auch Atom- und Kohlestrom. Natürlich gibt es unter den rund 1000 Stromlieferanten in Deutschland welche, die deutlich billiger sind als wir, aber ich denke, dass keiner derart strenge Qualitätskriterien erfüllt wie wir.
BeobachterNatur: Was heisst das genau?
Sladek: Das heisst erstens, dass wir unseren Strom nicht bei Anbietern kaufen, die irgendwie mit der Atom- und Kohlewirtschaft verbunden sind. Letztlich mache ich ja eine politische Aussage, wenn ich zu einem Ökostromanbieter wechsle. Ich sage meinem bisherigen Lieferanten damit, dass mir seine Politik nicht gefällt und ich nicht will, dass die Atomkraftwerke länger laufen oder dass neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Und dass ich mehr erneuerbare Energien will und mehr Ökologie in der Stromversorgung.
BeobachterNatur: Haben Sie neben diesem politischen noch andere Kriterien?
Sladek: Natürlich. Der grösste Teil unseres Stroms stammt aus Wasserkraft. Dabei legen wir grossen Wert darauf, möglichst Strom aus neuen Anlagen zu kaufen. Wenn er nämlich aus alten Anlagen stammt, die längst abgeschrieben sind, dann rechtfertigt sich ein höherer Preis nicht. Das Geld braucht es für die neuen Anlagen, und da ist es sinnvoll, als Ökostromlieferant einen etwas höheren Preis zu zahlen, als man an der Börse erzielen würde. Den Strom kaufen wir zurzeit übrigens grösstenteils in Norwegen ein. In Frage kommt auch Österreich.
BeobachterNatur: Und die Schweiz?
Sladek: Das ist ganz schwierig. In der Schweiz kaufe ich nicht ein, weil es kaum Anbieter gibt, die nicht mit der Atomwirtschaft verbandelt sind. Und die paar wenigen kommunalen Wasserkraftwerke können nur so kleine Mengen liefern, dass es sich nicht lohnt.
BeobachterNatur: Sie bieten auch noch Strom aus Blockheizkraftwerken an. Weshalb?
Sladek: Wir sind der Meinung, dass die Kraftwärmekopplung für den Übergang zu einer Stromproduktion aus 100 Prozent erneuerbaren Energien eine sehr wichtige Technologie ist. Denn wir können damit immer garantieren, dass die Kundinnen und Kunden keine einzige Kilowattstunde Atom- oder Kohlestrom erhalten – auch dann, wenn der Stromverbrauch nicht exakt so ausfällt, wie wir das für einen bestimmten Zeitpunkt prognostiziert haben.
BeobachterNatur: Nun sagen Kritiker, mit Ökostrom verkaufe man eine Illusion, weil auch ökologisch produzierter Strom aus dem einen grossen «Stromsee» stamme, in den auch Atom- und Kohlestrom fliessen.
Sladek: Aus der Steckdose kommt immer eine Mischung, das ist klar. Aber der Ökostromkunde bestimmt, welcher Strom für ihn in diesen Stromsee eingespeist werden darf. Und ganz wichtig: Er bestimmt auch, wohin sein Geld für die Stromproduktion wandert. Er gibt sein Geld also nicht mehr einem grossen Konzern, der gleichzeitig Atom- und Kohlekraftwerke betreibt, sondern unabhängigen Produzenten, die mit diesem Geld wieder neue, ökologische Kraftwerke bauen, ihre alten erneuern und damit die Ökostromproduktion steigern.
BeobachterNatur: In Deutschland spricht man vom «Ausstieg aus dem Atomausstieg», und in der Schweiz plant man neue Atomkraftwerke: Wie erleben Sie diese Renaissance der Atomkraft?
Sladek: Nennen wir es Renaissance der Atomphantasien, das stimmt eher. Schauen Sie: Für die rund 430 Atomkraftwerke, die es heute weltweit gibt, reicht das Uran noch für etwa 70 Jahre. Das kann doch keine Lösung sein. Jeder, der heute noch auf Atomkraft setzt, tut sich selbst Böses an. In Deutschland sieht man das bei den Kohlekraftwerken. Da wurden in den letzten Jahren viele Projekte aufgegeben – nicht etwa aus Vernunft, sondern weil die Wirtschaftlichkeitsrechnungen zeigten, dass es nicht aufgeht: Damit ein Kohlekraftwerk wirtschaftlich betrieben werden kann, muss es 6000 Stunden im Jahr laufen. Weil aber die erneuerbaren Energien bei der Einspeisung ins Stromnetz Vorrang haben, wird diese minimale Laufzeit oft nicht erreicht, deshalb rechnen sich die Investitionen nicht. So einfach ist das.
BeobachterNatur: Das klingt ein klein wenig schadenfreudig.
Sladek: Ist es auch.
Manchmal beginnen grosse Ideen mit einem kleinen Inserat. «Wer hat nach Tschernobyl Angst um die Zukunft seiner Kinder und Enkel?», schreiben Sabine und Wolf-Dieter Drescher im Sommer 1986 im «Schönauer Anzeiger». «Wer möchte etwas tun und weiss nicht, wie?»
Die wenigen Zeilen sind der Anfang einer Erfolgsgeschichte im Südschwarzwald (D), in deren Verlauf selbst gestandene Manager von Stromversorgern sich oftmals erstaunt die Augen reiben.
Auf das Inserat hin trifft sich eine Gruppe von Leuten, die sich schon nach wenigen Monaten einen Namen und ein Ziel gibt: «EfaZ» – «Eltern für eine atomfreie Zukunft». Sie beschliessen, fortan «Massnahmen zu fördern und zu ergreifen, die den schnellstmöglichen Verzicht auf die Nutzung der Atomenergie ermöglichen». Was mit kulturellen Darbietungen der EfaZ-Band «Wattkiller», Informationsständen und Stromsparwettbewerben beginnt, nimmt schon bald ernsthafte politische Dimensionen an: 1990 bieten die Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR) der Stadt Schönau 100'000 Mark unter der Voraussetzung, dass diese die Konzession für das städtische Stromnetz vier Jahre im Voraus und auf 20 Jahre hinaus zugunsten der KWR verlängert.
Der Gemeinderat stimmt dem Geschäft zu – ein unerträglicher Entscheid für die EfaZ-Aktivistinnen und -Aktivisten, zumal die KWR ihren Wunsch nach atomfreiem Strom schnöde abschlagen. Sie ergreifen das Referendum und gewinnen in einem denkwürdigen Abstimmungskampf im Herbst 1991.
Nun beginnt für die Aktivistinnen und Aktivisten um den Arzt Michael Sladek und seine Frau Ursula die harte Arbeit erst richtig: Man beschliesst, den KWR das Schönauer Stromnetz abzukaufen. Die Gruppe gründet die Netzkauf GmbH und findet mit der GLS-Gemeinschaftsbank in Bochum einen Partner, der bereit ist, das notwendige Geld in das gewagte Unternehmen zu stecken. Mit einem eigens aufgelegten Fonds und Spenden aus ganz Deutschland kommen innert Kürze vier Millionen Mark zusammen.
Im Herbst 1995 überträgt dann der Schönauer Gemeinderat tatsächlich die Konzession an die Netzkauf GmbH – aber die unterlegenen Gegner, die von den KWR unterstützt werden, haben gelernt. Nun ergreifen sie das Referendum, und in Schönau kommt es noch einmal zu einem Abstimmungskampf auf Biegen und Brechen. Ein paar wenige Stimmen machen schliesslich den Unterschied zugunsten der «Stromrebellen» aus.
Auch dieses Mal geht der Kampf weiter: Die KWR fordern für ihr Stromnetz 8,7 Millionen Mark, die Schönauer sind bereit, vier Millionen zu zahlen. Eine bundesweite Werbekampagne mit dem Slogan «Ich bin ein Störfall», gratis kreiert von einer renommierten Agentur, lässt die KWR ihre Forderung auf 5,7 Millionen reduzieren. Immer noch zu viel für die Schönauer. Sie zahlen unter Vorbehalt – und ziehen vor Gericht. Dieses legt schliesslich eine Zahlung von 3,5 Millionen Mark fest.
Am 1. Juli 1997 können die Elektrizitätswerke Schönau schliesslich das Stromnetz des einst übermächtigen Gegners übernehmen. Seither verkaufen sie Strom, der garantiert nicht aus Atom- oder Kohlekraftwerken stammt. Dank der Strommarktliberalisierung in Deutschland geht die Erfolgsgeschichte der EWS, der seit sieben Jahren mit Ursula Sladek eine Aktivistin der ersten Stunde vorsteht, noch weiter: Rund 90'000 Haushalte in Deutschland beziehen mittlerweile Ökostrom aus Schönau.
Ursula und Michael Sladek sind für ihr Engagement in den vergangenen Jahren vielfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Deutschen Gründerpreis, dem Europäischen Solarpreis und der Ashoka Fellowship.
Buchtipp:
Bernward Janzing: «Störfall mit Charme. Die Schönauer Stromrebellen im Widerstand gegen die Atomkraft»; Doldverlag, 2008, 128 Seiten, 185 farbige Abbildungen, Fr. 32.90
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