«Wir lieben den Verrat»
Der Kampf der Prix Courage-Kandidatin Yasmine Motarjemi für mehr Lebensmittel-Sicherheit bei Nestlé kommt als Theaterstück «Whistleblowerin / Elektra» auf die Bühne. Die ehemalige Beobachter-Reporterin Sylke Gruhnwald verrät, wie das Projekt zustande kam und was es mit Elektra auf sich hat.
Veröffentlicht am 6. November 2020 - 10:22 Uhr
Beobachter: Das Stück wird angekündigt als «ein dokumentarisches Theater mit Operngesang». Was ist dokumentarisches Theater?
Sylke Gruhnwald: Das ist Theater wie ein Dokfilm. Es bringt non-fiktionale Fälle auf die Bühne. Wir stützen uns auf Dokumente und Interviews, auf das Gerichtsurteil von Yasmine Motarjemi, in dem die Richterinnen ganz klar zum Schluss kommen, dass sie «auf hinterhältige Art und Weise» gemobbt wurde und dass die Schikanen, die Motarjemi bei Nestlé erlebte, sie beruflich und gesundheitlich zerstört haben.
Und wieso «mit Operngesang»?
Nach dem Urteil des Lausanner Gerichts zu Motarjemi anfangs Januar dieses Jahres begann ich mit der Recherche. Ich hatte mit Yasmine Motarjemi bereits Kontakt, verfolgte ihren Fall auch in den sozialen Netzwerken. Die Leiterin des Theater Neumarkts Julia Reichert war sofort begeistert und Regisseurin Anna-Sophie Mahler, die vom Musiktheater herkommt, brachte die antike Tragödie Elektra mit ins Spiel. Elektra erlebt ja auch Machtmissbrauch, wie Motarjemi. Elektra will den Vatermord rächen und bleibt nicht stumm, Motarjemi konnte nicht schweigen, als Nestlé wiederholt gegen die Lebensmittelsicherheit verstiess.
Zwei Whistleblowerinnen also?
Eigentlich sind es drei. Die Rolle der Elektra wird von der Sopranistin Mona Somm gesungen. Das war auch Somms erste Rolle bei den Tiroler Festspielen im österreichischen Erl. Zusammen mit Kolleginnen wandte sie sich in einem Brief an die Öffentlichkeit. Es ging um Mobbing, Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung. Sie liess sich nicht unterkriegen, wehrte sich. Es ist Wahnsinn, wie sie singt. Man spürt ihre Kraft und Auflehnung. Die Schlussarie, in der Elektra stirbt, geht unter die Haut.
Was wollen Sie mit diesem Frauenprojekt bewirken?
Uns geht es darum aufzuzeigen, wie scheinheilig unser Umgang mit Whistleblowern ist. Wir lieben den Verrat, hassen aber die Verräterinnen. Hier gibt es immer noch kein Gesetz für deren Schutz, ein Vorstoss dazu wurde kürzlich gebodigt. Das ist der Schweiz unwürdig.
Weitere Infos: www.theaterneumarkt.ch
Das Stück soll bis Februar 2021 gezeigt werden.