Es waren 27 Zahlungen, die in der Schweiz eintrafen. Zusammen eine siebenstellige Summe. Für Waren, die nach Russland geliefert werden sollten. Das Ganze war Teil des «russischen Waschsalons», mit dem 20 Milliarden Dollar gewaschen wurden.
«Ich kann das alles erklären», sagt Helene Tiefenschlager* in ihrem Büro bei Zug. Zu ihrem Firmenkonglomerat zählen mindestens fünf Firmen, die ihren Sitz in Panama oder auf den Britischen Jungferninseln haben.
Als «Beweis» legt Tiefenschlager eine Rechnung einer ihrer Offshorefirmen vor. Für Autobatterien, Ölpumpen, Hydrauliksysteme, Ersatzteile und Arbeitskleidung für Automechaniker. Sie will nicht sagen, wer die Lieferungen in Russland in Auftrag gegeben hat. Das Adressfeld ist abgedeckt. Sie kann nicht begründen, warum das Geld nicht vom Besteller überwiesen wurde, sondern von Briefkastenfirmen, etwa aus Grossbritannien. Es kümmert sie nicht, dass diese Firmen inzwischen wegen Geldwäscherei strafrechtlich verfolgt werden. Für sie sind das normale Geschäfte.
Ganz so einfach ist es für Helene Tiefenschlager aber nicht. Als Finanzintermediärin muss sie von Gesetzes wegen strenge Sorgfaltspflichten erfüllen. Sie muss etwa den jeweils wirtschaftlich Berechtigten der Firmen aus Panama und von den Britischen Jungferninseln kennen. Es ist auch ihre gesetzliche Pflicht, die Herkunft des Geldes zu prüfen. Wenn es Zweifel gibt, ob die Gelder sauber sind, müssen Banken und Finanzintermediäre Meldung bei der Geldwäscherei-Meldestelle MROS in Bern erstatten.
Im Fall von Tiefenschlager hatten die englischen Briefkastenfirmen, über die die Rechnungen bezahlt wurden, ihre Konten bei der Moldindconbank in Moldawien. Dort hat die Ermittlungsbehörde den Gründer und Chef der Bank verhaftet und führt umfangreiche Strafverfahren – auch gegen 20 Richter und Gerichtsvollzieher. Im Fokus der Ermittlungen stehen zudem leitende Angestellte der moldawischen Nationalbank.
Genauso wie Helene Tiefenschlager verhalten sich mehr als 40 andere vom Beobachter kontaktierte Firmenvertreter in der Schweiz, die über die Moldindconbank und die lettische Trasta Komercbanka total rund 600 Millionen Dollar russischen Ursprungs erhalten haben. Mehrere Firmeninhaber versichern, sie könnten für alle Transaktionen Verträge vorlegen.
Es bleibt offen, ob tatsächlich mal irgendwelche Waren geliefert wurden oder ob es sich nur um Scheingeschäfte handelte. «Inzwischen gibt es eine ganze Branche, die die erforderlichen Dokumente und Bestätigungen verkauft», sagt Daniel Thelesklaf, Leiter der Finanzermittlungsbehörde in Liechtenstein und Vorsitzender des Geldwäscherei-Ausschusses des Europarats. Man könne entsprechende Unterlagen problemlos im Internet zum Download finden.
Auffallend bei den Schweizer Firmen, die von russischen Geldern profitierten: Ein halbes Dutzend dieser Gesellschaften wurden um 2009 gegründet. Also etwa ein Jahr bevor die Überweisungen aus Russland begannen. Um 2014, nachdem die Zahlungen erfolgt waren, wurden die Gesellschaften – meist Briefkastenfirmen – liquidiert. Aus den Akten beim jeweiligen Handelsregister ist nicht ersichtlich, welchem Zweck die Gesellschaften tatsächlich dienten.
Auffällig auch: Praktisch bei allen Firmen, die in die Geldflüsse involviert sind, nahmen ein oder zwei Jahre vor den fragwürdigen Geldüberweisungen russische Vertreter Einsitz im Verwaltungsrat. Es ist nicht klar, welche Rolle diese spielten. In mehreren Fällen handelt es sich gemäss Recherchen russischer Journalisten zwar um russische Staatsbürger, aber nicht um Oligarchen.
Noch eine ganz andere Dimension dieser Russland-Geschäfte zeigt der Fall einer Handelsgesellschaft aus Winterthur. Sie ist eng mit der russischen Rüstungsindustrie verstrickt. Gemäss den öffentlich zugänglichen Informationen im Handelsregister sitzen im Verwaltungsrat mehrere Vertreter der russischen Rüstungsbeschaffer Obonoprom und Stankoimport. Beide gehören zum staatlichen Rüstungskonzern Rostec.
Angeblich hat die Winterthurer Firma Maschinen für die Rüstungsindustrie nach Russland exportiert – mit Bewilligung der Schweizer Exportrisikoversicherung. Ende 2015 soll die UBS aber der Firma das Konto gekündigt haben. Warum, ist unklar. Die Firma ist nicht mehr aktiv, sie ist bei einem Anwalt domiziliert. Fragen des Beobachters blieben unbeantwortet.
Auch bei allen anderen Firmen gibt es Fragen. Etwa bei einer kleinen Uhrenfirma aus dem Berner Seeland. In 17 Tranchen wurden dem Familienunternehmen 4,46 Millionen Dollar überwiesen. Bis auf eine erfolgten alle Überweisungen über die in Geldwäschereiverfahren verwickelte moldawische Bank.
Als Zahlungszweck heisst es in den Bankunterlagen: «Computerzubehör». In der Firmenbilanz findet sich allerdings kein Hinweis, dass die Uhrenfirma auch noch mit Computern handelt. Auf der Website werden ausschliesslich Luxusuhren beworben. Gemessen am Umsatz hätte die Firma 2013 aber einen Drittel ihrer Einnahmen mit Computerersatzteilen und -zubehör verdient. Eine Anfrage bei den Firmeninhabern blieb unbeantwortet.
Kurios: Trotz der Einnahmen aus Russland stand die Uhrenfirma nur zwei Jahre nach der letzten Zahlung vor dem Ende. Im April 2016 ersuchte sie um Nachlassstundung. Vor zwei Wochen wurde der Konkurs eröffnet. Der vom Konkursrichter beauftragte Liquidator will – spürbar überrascht – dem Beobachter keine Auskunft geben. Sein Mandat sei mit der Konkurseröffnung abgeschlossen, betont er.
Er tut, was die anderen Schweizer Firmen auch tun: Schwamm drüber, Hauptsache, das Geld ist da.
Mitarbeit: Alexandra Stark, Roman Anin («Nowaja Gaseta»), Olesja Shmagun und Mika Velikovskij (OCCRP)
- Auf Konten russischer Firmen liegt Geld, das mutmasslich aus Korruption, organisierter Kriminalität oder Steuerhinterziehung stammt.
- Die Hintermänner nutzen zwei Briefkastenfirmen in Grossbritannien. Die eine gewährt der anderen einen Kredit in Millionenhöhe, der aber nie ausbezahlt wird.
- Für den Kredit bürgt die russische Firma, auf deren Konto das mutmassliche Schwarzgeld liegt. Als Strohmann dient ein moldawischer Staatsbürger.
- Obwohl nie Geld geflossen ist, verlangt die eine Briefkastenfirma die Rückzahlung. Weil ein moldawischer Staatsbürger für das Geschäft bürgt, kommt der Fall vor ein Gericht in der Republik Moldau. Ein mutmasslich eingeweihter Richter verfügt die Echtheit der Schulden. Die russische Firma begleicht die Schulden mit ihrem Schwarzgeld.
- Das Schwarzgeld ist nun auf einem Konto bei der moldawischen Bank. Ein Gerichtsvollzieher zahlt das Geld auf Konten bei der lettischen Bank. Das Konto gehört der britischen Briefkastenfirma. Damit ist das Schwarzgeld scheinbar legal in der EU angelangt.
- Das Geld wird von britischen Firmen ausgegeben – etwa für Konsumgüter, Maschinenteile oder Baumaterialien.
Die dieser Recherche zugrundeliegenden Dokumente stammen aus anonymen Quellen. Sie wurden dem Reporter-Netzwerk OCCRP («Organized Crime and Corruption Reporting Project») und der regierungskritischen russischen Zeitung «Nowaja Gaseta» zugespielt.
An der aktuellen Recherche zum «Worldwide Laundromat» sind 61 Journalisten in 32 Ländern beteiligt, unter ihnen auch Journalisten des Beobachters. Diese recherchierten in den letzten Monaten die Geldflüsse und veröffentlichten Ende März eine Vielzahl von Artikeln über das globale Geldwäschesystem. Mehr als 20 Milliarden Dollar wurden über ein ausgeklügeltes System zwischen 2010 und 2014 aus Russland nach Europa verschoben. Rund 600 Millionen Dollar flossen in die Schweiz. Mehr dazu gibt es im Beobachter-Artikel aus dem Heft 07/2017: «Der russische Waschsalon».
Der «Worldwide Laundromat» vertieft Recherchen des Netzwerks, die im Jahr 2014 unter dem Titel «Russian Laundromat» ein komplexes System zur Geldwäsche aufgedeckt haben.
Lesen Sie dazu auch die Artikel unserer internationalen Kolleginnen und Kollegen:
- OCCRP
- Nowaja Gaseta (Russland)
- Berlingske (Dänemark)
- The Guardian
- Süddeutsche Zeitung
- DOSSIER (Österreich)
- De Correspondent (Niederlande)
- 15min. (Lettland)
- Newsweek Polska (Polen)
- Vice Griechenland
- Delo (Slowenien)
- Investigace (Tschechien)
- RISE (Moldawien)
- Yle Areena (Finnland)
- Korea Center for Investigative Journalism
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