Wo die Fusspfleger der Schuh drückt
Neue Regeln ihres Verbands machen den Podologen Angst. Manche fürchten gar um ihre Existenz.
Veröffentlicht am 8. November 2016 - 10:23 Uhr
Die Fragen, die der Beobachter eingereicht habe, seien ein Durcheinander, klagte der Vize des Podologen-Verbandes, Mario Malgaroli. Das ist gut möglich. Es fragt sich aber, wer das Durcheinander angerichtet hat. Der Beobachter oder Malgarolis Verband.
Wer sich in der Schweiz die Zehennägel schneiden lassen will, weil er oder sie das nicht mehr selbst will oder kann, der hat die Wahl. Er geht zu einem medizinisch ausgebildeten Podologen SPV oder Podologen EFZ oder Podologen HF. Die Kürzel sagen Ihnen nichts? Gut.
- Wer den Titel SPV trägt, wurde vom Schweizerischen Podologen-Verband SPV in einer dreijährigen Ausbildung geschult. Damit hörte man 2007 auf.
- Ein Podologe EFZ hat eine dreijährige Vollzeit-Berufslehre hinter sich, die er mit dem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis abschliesst, daher EFZ. Die ersten schlossen 2008 ab.
- Der Podologe HF absolviert zusätzlich eine dreijährige Ausbildung an einer Höheren Fachschule, daher HF. Die ersten schlossen 2015 ab.
Sie sind verwirrt? Warten Sie ab. Ein SPV darf allen Kunden die Nägel schneiden, auch jene von Risikopatienten wie Diabetikern, Geriatriepatienten und Trägern des Hepatitis-C-Virus. Nach fünf Jahren Berufspraxis und einer einjährigen Weiterbildung schafft er den HF.
Ein EFZ darf ebenfalls Nägel pflegen, solche von Risikopatienten aber nur unter Aufsicht eines HF. Und er darf kein eigenes Geschäft aufbauen.
Der HF darf sowohl als auch – also Risikonägel behandeln, ein Geschäft eröffnen, andere Podologen anstellen und Lehrlinge ausbilden.
Wer in gutem Treu und Glauben die teure Ausbildung zum EFZ machte und 50'000 Franken investierte für die Geräte, den Sterilisator und den Podologiestuhl, jahrelang Nägel schnitt und Hornhäute abschliff, wurde vom Verband angehalten, eine Weiterbildung zum HF zu buchen. Die gibts nur in Zofingen, dauert drei Jahre und kostet samt Abschlussprüfung 38'000 Franken.
Da man nicht gleichzeitig Hühneraugen entfernen und zur Schule gehen kann, fällt ein erheblicher Teil der Einnahmen in dieser Zeit weg. Ein Podologe EFZ ist gezwungen, Zofingen zu buchen, auch wenn er gar keine Lehrlinge ausbilden will und sein Geschäft schon seit Jahren klaglos führt. Offen bleibt, ob der Verband ein Einsehen hat und den erfahrenen Berufsleuten den Besitzstand gewährt oder den Zugang zum Titel HF erleichtert. Viele EFZ sind Quereinsteiger und werden ihre Praxis eher früher als später altershalber aufgeben.
Als wäre das nicht schon verwirrend genug, braucht ein Podologe auch noch die Bewilligung des Kantons, in dem er zu arbeiten gedenkt. Manche Kantone nicken diese zeitlich unbeschränkt ab, manche auf zehn Jahre hin. Beides dürfte Margarolis Verband ein Dorn im Auge sein. Denn er stellt sich mit seinen Anforderungen an die rund 780 Mitglieder über die kantonalen Regeln.
Der Verband ist der Ansicht, dass jene EFZ-Podologen, die Diabetikern oder Geriatriepatienten ohne Aufsicht die Nägel schneiden, «eine Kompetenzüberschreitung» begingen. Das könne bei Diabetikern zu Amputationen führen, warnt Verbandsvize Margaroli. Der SPV verweigert den Leuten, die er selber ausgebildet hat, die kollektive Haftpflichtversicherung bei der Mobiliar. Der Mobiliar allerdings «ist kein solcher (Haftpflicht-)Fall bekannt», schreibt der Medienverantwortliche Jürg Thalmann dem Beobachter. Eine Pensionskasse bietet der Verband keinem Podologen an, egal, welcher Kaste er angehört.
Während der Verband beteuert, er gefährde keine Existenzen, sprechen Podologen von «Verunsicherung» oder sagen: «Keiner weiss, was läuft. Das ist irritierend. Letztlich tun wir doch alle dasselbe: Nägel schneiden.»
Auch die Schweizerische Diabetes-Gesellschaft hat zu Amputationen keine Zahlen: «Wir gehen aber davon aus, dass das seltene Fälle sind. Zudem ist es sicherlich so, dass es in aller Regel schwierig ist, im Nachhinein genau zu bestimmen, ob eine Amputation zu vermeiden gewesen wäre oder nicht», schrieb der Medienverantwortliche Manuel Fricker dem Beobachter.
Und weiter: «Relevant ist auch die Tatsache, dass sogenannte „Risikopatienten“ – und um diese geht es beim „Diabetischen Fusssyndrom“ – nur durch medizinisch ausgebildete Podologen HF behandelt werden dürfen. Podologen EFZ sind dazu sinnvollerweise nicht berechtigt. Aus Patientensicht ist es sehr zu begrüssen, dass Podologen, welche derart heikle Behandlungen ausführen, bestmöglich dafür ausgebildet sind. Auch wenn es in der Praxis nicht möglich ist, zu verhindern, dass unqualifizierte, vor allem kosmetisch arbeitende Fusspfleger solche Behandlungen ausführen, so ist es natürlich eine rechtlich relevante Haftungsfrage.»
Isabelle Küttel Bürkler, die Geschäftsführerin des Podologen-Verbandes SPV, hält namens des SPV fest, «dass es bei der Erteilung der Berufsausübungsbewilligungen primär um das Patientenwohl und um die Patientensicherheit geht. Ein Patient, Patientin, der/die eine Podologiepraxis aufsucht, muss die Gewissheit haben, dass die behandelnde Person über die entsprechenden Kompetenzen verfügt und die gesetzlichen Hygienevorschriften einhält. Vielleicht sollten Sie sich zu diesem Thema noch in denjenigen Kantonen Stellungnahmen einholen, die immer noch Bewilligungen an Podologen, Podologinnen EFZ erteilen. Der Beobachter wäre wohl einer der ersten, der dies kritisiert, sollten Podologen EFZ ihre Kompetenzen überschreiten und der SPV dies dulden. Wir haben Kenntnis von Fällen, in welchen es durch kompetenzüberschreitende Behandlungen von Podologen EFZ zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden (u. a. Amputationen) der Patienten gekommen ist.»
4 Kommentare
Die Situation ist in der Tat absurd. In einem Beauty Salon kann man sich nicht-medizinisch die Nägel schneiden lassen. Alles was darüber hinaus geht, also in den medizinischen Bereich, sollten Podologen abdecken können. Warum eine dreijährige Ausbildung, Podologe EFZ, nicht ausreicht diese Fähigkeiten zu vermitteln erschliesst sich mir nicht. Drei Jahre reichen in Deutschland aus um Podologen auszubilden, die in der Lage sind Risikopatienten zu behandeln, mit der Kasse abzurechnen und eine eigenes Geschäft zu eröffnen. Und mir kann keiner erzählen, dass sich deutsche Risikopatienten von schweizer Risikopatienten unterscheiden. Grundsätzlich sollte sich ein deutscher Diabetiker auch nicht von einem schweizer Diabetiker unterscheiden.
Das gesamte Konzept EFZ und HF wirkt gekünstelt. Man kann doch sicher alles medizinisch relevante in komprimierter Form anbieten und wenn es sein muss Lerninhalte wie Geschäftseröffnung in separate Schulungen legen. In Dtl schafft man das doch auch und die Podologen dort machen ihren Job auch vernünftig. - Etwas zynisch formuliert scheint die Aufteilung in EFZ und HF lediglich zum Verkauf der 38k HF Zusatzausbildung zu dienen.
Eben der Kostenpunkt des HF macht diese Ausbildung völlig unattraktiv. 38k für die Ausbildung plus der Lohnausfall in den drei Jahren ist ökonomischer Blödsinn. So hoch sind die Verdienstmöglichkeiten als Podologe nun auch wieder nicht, dass sich eine sechsjährige Ausbildung (EFZ + HF) rechnet.
Besonders tragisch ist, dass das Patientenwohl vollends aus den Augen verloren wurde. Durch die Hürde von sechs Jahren (EFZ + HF) werden nicht genügend Selbständige nachrücken können, um den Bedarf an Podologen zu decken. Effektiv wird ein künstlicher Druck auf den Markt ausgeübt, der jetzt schon dazu führt, dass Patienten 3-4 Woche auf Termine warten müssen. Bei den Kosten und der Dauer der Ausbildung ist sicher für den Einzelnen ein anderen sozialer Beruf attraktiver, was wiederum zu einer Verschlechterung der Versorgung führt.
Mittelfristig wird durch solche eine Politik nur der Besuch bei Podologen auf der anderen Seite der Grenze gefördert. Die haben schneller einen Termin, die sind günstiger und auch ärztlich geprüft.