Mit der Schneeschmelze kommt die Wut in Walter Schoch wieder auf. Jetzt ist wieder sichtbar, was sein Maiensäss hoch über Fanas im Prättigau nachhaltig verschandelt: Eine Strasse zerschneidet sein Grundstück auf einer Länge von 400 Metern. «Beinahe 3700 Quadratmeter gutes Land wurden mir weggenommen», poltert Schoch.

Der Ärger von Walter Schoch ist verständlich, denn das Eigentum wird durch die Bundesverfassung grundsätzlich geschützt. Aber unter bestimmten Voraussetzungen sind Bund, Kanton oder Gemeinden berechtigt, einen Grundeigentümer zu enteignen (siehe Artikel zum Thema «Die beiden Enteignungsarten: Das müssen Sie wissen»). Dabei hält sich Vater Staat allerdings nicht immer an die Spielregeln, wie der Fall Schoch zeigt.

Gemeinde schlug Bedenken in den Wind


Ende der neunziger Jahre ging auf dem Gelände hinter Walter Schochs Maiensäss eine Rüfe nieder. Um die beim Erdrutsch entstandenen Schäden zu beheben, beschloss die Gemeinde Fanas den Ausbau des bestehenden Fuss- und Fahrwegs, der durch das Grundstück Schoch führte, zu einer befestigten Strasse für Wald- und Maschinenverkehr.

Die Gemeinde hielt es nicht für nötig, den Eigentümer persönlich über die öffentliche Planauflage zu informieren. «Die Gemeinde wusste genau, dass ich mich mit Händen und Füssen gegen den Ausbau des Waldwegs gewehrt hätte», sagt Schoch. Als er vom Vorhaben erfuhr, waren sämtliche Einsprachefristen abgelaufen.

Walter Schoch meldete seine Bedenken gegenüber dem Projekt trotzdem bei der Gemeinde an. Es schien ihm völlig überdimensioniert und zudem riskant zu sein. «Von Anfang an habe ich auf den problematischen Baugrund hingewiesen», ärgert er sich. Er hat selber jahrelang Strassen in Norwegen projektiert und weiss, wovon er spricht.

Klar gesetzwidriges Vorgehen


Die Gemeinde schlug seine Bedenken in den Wind und begann, das ambitionierte Projekt zu realisieren, ohne dass man sich mit Schoch geeinigt hatte.

Ein Vorgehen, das klar gesetzwidrig ist. «Bevor das Gemeinwesen mit dem Bau einer Strasse auf fremdem Boden beginnen darf, muss eine Einigung mit dem Grundeigentümer gefunden oder im Rahmen eines Enteignungsverfahrens eine vorzeitige Besitzeinweisung angeordnet werden», bestätigt Andreas Bass vom Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement des Kantons Graubünden. Bestimmungen, die in Fanas niemand kümmerten. Zwar wurde das Gespräch mit Walter Schoch gesucht, und er hatte die Möglichkeit, Änderungswünsche in Bezug auf die Linienführung anzubringen. «Umgesetzt wurden diese Änderungswünsche aber nicht», beschwert sich Schoch.

Heute zieht sich der voll ausgebaute «Wald- und Maschinenweg» mit einer Breite von durchschnittlich knapp fünf Metern durch das unwegsame Gelände. Die Warnungen von Walter Schoch haben sich inzwischen bestätigt. So räumt das Amt für Wald Herrschaft/Prättigau/Davos in einem Schreiben an Schoch ein, dass wegen des sehr rutschigen Terrains das Trassee teils breiter erstellt werden musste als geplant und es zu geringfügigen Achsverschiebungen kam. Regionalforstingenieur Josias Flury: «Es ist richtig, dass wir nicht auf den Meter genau realisiert haben.»

Damit ein Grundeigentümer enteignet werden kann, muss ein öffentliches Interesse gegeben sein. Die Gemeinde Fanas macht geltend, dass der Ausbau der Strasse nötig war, um die Entwässerung auf dem durch die Rüfe verwüsteten Gelände sicherzustellen. Walter Schoch sieht weit profanere Gründe für das Anlegen der Strasse: Der Zugang zu den Ferienhäuschen am Fanaserberg sollte erleichtert werden. «Das geschädigte Gelände hinter meinem Maiensäss hätte locker mit der bereits bestehenden Seilbahn wiederhergestellt werden können.» Dies bestreitet die Gemeinde Fanas mit Hinweis auf den technischen Bericht und hält schriftlich fest, «dass die Gemeinde Fanas als Eigentümerin der Seilbahn kaum interessiert gewesen wäre, eine unnötige Strasse zu bauen, die die Seilbahn konkurrenziert».

Dass ein öffentliches Interesse bei der Anlegung solcher Waldstrassen in jedem Fall gegeben ist, bezweifelt auch Christian Clopath, Rechtsanwalt und Präsident der Enteignungskommission VII, aus Klosters: «Solche ‹Autobahnen› sind Auswüchse des Wohlstandsfetischismus. Und häufig liegt der Zweck solcher Strassen tatsächlich lediglich in der besseren Erschliessung der Ferienhäuser.»

Pikantes Detail: Fanas musste nur knapp zehn Prozent der Erstellungskosten selber bezahlen. Bund und Kanton subventionierten das Projekt zu 73 Prozent; weitere 14,1 Prozent bezahlten die Grundeigentümer, unter anderen Walter Schoch. Der Rest wurde durch eine Spende der Patengemeinde Wallisellen finanziert.

Enteignungsstreit dauerte zehn Jahre


Nicht immer wird – wie im Fall Schoch – Land weggenommen. Es gibt «Enteignungen», bei denen der Eigentümer sein Grundstück zwar behält, die Nutzung aber so stark eingeschränkt wird, dass er betroffen ist wie bei einer richtigen Enteignung. Zu solchen materiellen Enteignungen (siehe Artikel zum Thema «Die beiden Enteignungsarten: Das müssen Sie wissen») kommt es oft, wenn Nutzungs- und Zonenpläne erlassen oder abgeändert werden. Zum Beispiel wenn ein Grundstück, das bisher in der Bauzone lag, in die Landwirtschaftszone eingeteilt wird.

Genau das ist 1993 in der Aargauer Gemeinde Berikon mit einer Bauparzelle geschehen. Zwar hatte die Gemeindeversammlung zwei Jahre zuvor eine neue Bau- und Zonenordnung gutgeheissen, worin diese Parzelle noch in der Wohnzone zu liegen kam. Auf Einsprache eines Anwohners hin wies der Aargauer Regierungsrat diese Parzelle jedoch der Landwirtschaftszone zu. Gegen diesen Entscheid wurde keine Beschwerde erhoben – auch nicht von den betroffenen Grundeigentümern.

Deshalb waren die Gemeindeverantwortlichen ziemlich überrascht, als gut ein Jahr später eine Forderung der Grundeigentümer in der Höhe von fast 1,2 Millionen Franken eintraf. «Wir waren der Meinung, dass wir für dieses Begehren nicht verantwortlich sind, weil ja der Regierungsrat den Entscheid gefällt hat. Deshalb haben wir die Sache an den Kanton weitergeleitet», erinnert sich Nick Wettstein, Gemeindeschreiber in Berikon.

Die Schätzungskommission sah das allerdings anders und verknurrte Berikon zur Zahlung der Entschädigung. Dagegen wehrte sich die Gemeinde erfolglos bis vor Bundesgericht – und musste schliesslich auch noch für die gesamten Gerichtskosten aufkommen.

Die Gemeinde Berikon hat nun allerdings einen Weg gefunden, um der drohenden Entschädigung zu entgehen. «Im letzten November hat die Gemeindeversammlung beschlossen, dass die enteignete Parzelle wieder in der Bauzone liegen soll», sagt Gemeindeschreiber Nick Wettstein. Wer die entstandenen Kosten des zehn Jahre dauernden Enteignungsstreits schliesslich zu bezahlen hat, ist noch Gegenstand von Verhandlungen.

Strittiger Punkt Entschädigungshöhe


In allen Enteignungsformen wird letztlich ums Geld gestritten. Denn gemäss Bundesverfassung müssen Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, voll entschädigt werden. Einen gewichtigen Unterschied gibt es allerdings: Bei der formellen Enteignung ist die Entschädigung Voraussetzung für die Enteignung, bei der materiellen Enteignung deren Folge.

Will eine Gemeinde zum Beispiel Land für den Bau eines Trottoirs formell enteignen, muss sie zuerst die betroffenen Grundeigentümer entschädigen, bevor sie mit dem Bau beginnen darf. Geht es hingegen – wie im Beriker Enteignungsfall – bloss um eine Beschränkung, müssen sich die Betroffenen in der Regel selbstständig um die Entschädigung kümmern.

Was die konkrete Höhe der Entschädigungssumme betrifft, da scheiden sich die Geister mit schöner Regelmässigkeit. So ist auch Walter Schoch mit den durchschnittlich angebotenen drei Franken pro Quadratmeter alles andere als einverstanden. «Die Preise – gerade für Alpweiden – sind extrem tief, und es ist verständlich, wenn sich enteignete Grundeigentümer benachteiligt sehen», bestätigt Christian Clopath, Präsident der Enteignungskommission VII.

Zudem muss sich Walter Schoch noch mit knapp 16000 Franken an den Gestehungskosten beteiligen. Nach Abzug der Entschädigung bleiben unterm Strich Kosten in der Höhe von 4400 Franken an ihm hängen. Die Krönung ist für Schoch jedoch, dass die Gemeinde das Benutzen der Strasse bewilligungspflichtig gemacht hat. So soll er für das Befahren der Strasse, die faktisch ihm gehört, auch noch eine jährliche Gebühr von 50 Franken zahlen.

Letztes Wort noch nicht gesprochen


Einen Trumpf hat Walter Schoch allerdings noch im Ärmel: Weil die Gemeinde sich nicht an das korrekte Vorgehen gehalten hat, ist nach wie vor er Eigentümer des Landes. Einen vorgelegten Dienstbarkeitsvertrag, der der Gemeinde ein Fahrrecht einräumen würde, hat er nicht unterschrieben. «Im schlimmsten Fall werde ich die Strasse durch das Kreisamt sperren lassen», droht der hintergangene Grundeigentümer.

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Quelle: ARNO BALZARINI