Die Tochter von Andrea und Aleksandar Dinevski ging mit der Tochter von Christine und Marc Locher in die gleiche Klasse, die Ehemänner segeln gerne, und Familienferien haben sie auch schon gemeinsam verbracht. Hoch oben auf dem Zürichberg, am Ende der Klosbachstrasse, sollen sich die Familien noch näher kommen; Dort verkaufen die Lochers den Dinevskis im Dezember 2004 ein Haus auf dem benachbarten Grundstück. Der Charme des Gebäudes von 1866 habe es ihnen angetan, sagen Dinevskis; ebenso die über 100-jährige Schwarzföhre, die hinter dem Haus wachse. Noch ahnt niemand, was für ein Kampf um die Föhre entbrennen wird. Am Ende kostet es den Baum das Leben - und die Familien viel Geld und die Freundschaft.

Das Unheil beginnt im April 2000. Ein mit Lochers befreundeter Architekt schlägt in einer Studie eine Renovation des baufälligen Hauses vor. Es sei ihnen wichtig, das Gebäude zu erhalten, sagen die Lochers. Diese Meinung teilen die Dinevskis. Auch die Schwarzföhre ist den Beteiligten besonders ans Herz gewachsen. Zusätzlich wird eine Vereinbarung abgeschlossen, die das Fällen des Baums verbietet. Mitunterzeichner: die Nachbarn Yvonne und Hans-Jürg Tschäppeler. Sie besitzen wie Lochers im Haus neben der Föhre eine Wohnung.

Die Welt scheint in Ordnung; die Dinevskis beauftragen Architekten mit dem Ausbau des Hauses. Für die Planung geben sie 50’000 Franken aus. Obwohl einer der Architekten noch vor dem Kauf schreibt, er habe «die baurechtlichen Aspekte relativ genau abgeklärt», stellt sich später heraus, dass keine umfassende Renovation möglich ist - das Zonenrecht erlaubt nur eine sanfte Renovation. Deshalb sieht sich das Ehepaar Dinevski nicht mehr an die Vereinbarung gebunden und teilt im Dezember 2004 den Nachbarn mit, dass Haus und Baum wegmüssen. Gesagt, getan: Dinevskis lassen das Haus abreissen, die alte Föhre schwebt in akuter Lebensgefahr. Ein Ersatzbaum soll an ihre Stelle treten. So weit kommt es nicht: Lochers und Tschäppelers stoppen mit einer superprovisorischen Verfügung das Fällen.

Darauf schlägt die Stunde der Gutachter. Die Föhrenbesitzer Dinevski lassen ihren Baum von einem Gärtnermeister begutachten. Sein Befund: «Es bestehen artspezifische Krankheitsrisiken: Das ‹Triebesterben› kann den Baum innert weniger Monate absterben lassen.» Das akzeptieren Lochers und Tschäppelers nicht und verlangen einen zweiten Gutachter. Ein diplomierter Forstingenieur ETH erstellt ein Schalltomogramm, entnimmt einen Bohrkern und beantwortet einen umfangreichen Fragenkatalog. «Die Krankheit ist in der Regel ungefährlich und hat vor allem optisch negative Auswirkungen», schreibt der Experte Anfang November 2005. Fazit: Die Föhre ist in einem guten Zustand, kein Grund zum Fällen.

Dinevskis geben die Studie «Bauen mit Baum» in Auftrag. Dazu bestellen sie eine Baumexpertin, die Boden und Baum untersucht. Als diese vor Ort Untersuchungen tätigt, sehen die Tschäppelers die Schwarzföhre erneut in Gefahr und rufen die Polizei. Herr Tschäppeler und die Baumexpertin finden sich auf dem Polizeiposten wieder.

Nach weiterem Hin und Her schliessen Besitzer und Beschützer der Föhre im Frühling dieses Jahres Frieden - zumindest vor dem Gericht: In einem Vergleich wird festgehalten, dass die nachbarrechtliche Vereinbarung weiterhin Bestand habe. Zusätzlich sei es den Dinevskis von Amts wegen verboten, den Baum zu fällen.

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«Legale Selbsthilfe»

Zwei Tage später erscheinen Mutter und Schwager von Frau Dinevski auf dem Zürichberg. Der Schwager, Besitzer einer Baumschule, ist mit Helm und Kettensäge ausgerüstet. Er entfernt rund um den Baum einen dicken Streifen Rinde - die Schwarzföhre, lateinisch Pinus nigra, wird unweigerlich verdorren. «Damit haben wir nichts zu tun», sagt Frau Dinevski. Das sieht auch die Mutter so: «Ich habe ihnen helfen wollen, diese unmögliche Situation zu ändern, und einen Schlussstrich gezogen.» Dafür habe sie den Schwager engagiert. «Das ist ein Fall von legaler Selbsthilfe, schliesslich leben wir in der Schweiz immer noch in einem Rechtsstaat.»

Ob Schwager und Mutter dafür büssen müssen, ist nicht sicher. Das amtliche Fällverbot enthält zwar eine «Androhung der Bestrafung wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung gemäss Art. 292 Strafgesetzbuch im Widerhandlungsfall», es gilt jedoch nur für die Besitzer des Baums. Jetzt ermittelt die Polizei. Dabei wird sie auch klären müssen, ob sich die Dinevskis der Anstiftung oder gar der Mittäterschaft schuldig gemacht haben.

Bis hierhin beziffern die Ehepaare Locher und Tschäppeler ihre Ausgaben für Anwälte, Gericht und Expertisen mit über 10’000 Franken. Dank einem befreundeten Anwalt konnten sie die Kosten tief halten. Die Gegenpartei verbuchte bisher einen Aufwand von mehr als 23’000 Franken. Wie viel der Fall noch kosten wird und wann die Dinevskis ihr Grundstück bebauen können, ist unklar. Klar ist das Schicksal des Baums: Spätestens im Herbst muss er weg. Bei Schneefall wäre er nicht mehr sicher genug.

Quelle: Marion Nitsch