Der Lac Léman zeigt sich von seiner besten Seite. Die Wasseroberfläche glitzert in der Sonne, das Boot schaukelt sanft auf den Wellen. Auch Victor von Wartburg ist gut gelaunt. Lässig sitzt der Frührentner im alten Fischerboot, die Hand am Steuerknüppel des schüchtern tuckernden Aussenbordmotors, und erzählt von seinem Kampf, den er seit vier Jahren führt: gegen die Reichen, die Mächtigen gegen die, welche die «Schweiz regieren, ohne dass sie vom Volk gewählt wurden».

Von Wartburg meint die Seeanstösser. Jene Leute in der Schweiz, deren Geldbörse dick genug ist, um sich ein Stück Ufer zu kaufen, das nach seiner Ansicht der Allgemeinheit gehört. Einer dieser Begüterten sorgte vor wenigen Tagen für Schlagzeilen: Michael Schumacher. «Schumi macht sich im Waadtland unbeliebt», titelte die Gratiszeitung «20 Minuten». Der ExFormel1Weltmeister habe angeblich die Einwohner seiner neuen Wohngemeinde Gland verärgert. Um den Zugang zum See für sich allein zu haben, sei ein bisher öffentlicher Weg über sein Grundstück mit Barrieren dichtgemacht worden.

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Private notfalls enteignen

«Unsinn», sagt von Wartburg. «Es geht nicht darum, Wegrechte über Privatgrundstücke hinweg zum See zu erkämpfen, sondern darum, Uferwege ohne Unterbrechung gemäss den geltenden Gesetzen zu erhalten.» In der freien Natur könne sich der Mensch erholen, und den höchsten Erholungswert biete der Aufenthalt an Gewässern, Flüssen und Seen. Private müssten deshalb notfalls enteignet werden.

Ist Victor von Wartburg ein Kommunist? Der Frührentner winkt ab. «Natürlich nicht. Lassen Sie es mich erklären.» Und es folgt, mitten auf dem Genfersee, eine längere Abhandlung, der ein Laie nur mit Mühe folgen kann. Aus der Flut von juristischen Begriffen, Hinweisen auf Gesetze eidgenössische, kantonale und kommunale sowie Ausführungen über deren Anwendung respektive Nichtanwendung ergibt sich folgende Quintessenz: Für Fischer, Zöllner und in Seenot geratene Seebenützer muss am Ufer ein durchgehender, hindernisfreier, zwei Meter breiter Streifen frei bleiben. Dieses Gesetz datiert aus dem Jahr 1926. «Es wird überhaupt nicht angewendet», empört sich von Wartburg.

Die Einlösung eines Gelübdes

Von Wartburg ist 22-jährig, als ihn ein Sportunfall zum Paraplegiker macht. Da gelobt der junge Mann: Sollte er je genesen, werde er ein gutes Werk tun. Das Schicksal oder was man dafür hält hat ein Einsehen, von Wartburg wird gesund, macht aber vorerst Karriere in der Chemiebranche. Als er vor neun Jahren im Alter von 55 in Pension geht, macht er sich an die Einlösung seines Gelöbnisses.

Und der Uferschützer tut dies unter Aufbietung seiner ganzen ihm zur Verfügung stehenden Tatkraft. «Es kann sein, dass man nachts um zwei Uhr eine Mail bekommt. Wenn man antwortet, kommt postwendend ein Telefon und danach noch eine Mail um vier Uhr», sagt Mitstreiter Guido Rudolphi. Von Wartburgs absolute Hingabe bestätigen Leute, die seiner Person und seinem Kampf zugetan sind aber auch solche, die sich nicht zu seinen Freunden zählen würden.

Will er einfach nur recht haben?

«Er ist sehr hartnäckig», sagt Ariane Cavin, Gemeinderätin von Mies VD, von Wartburgs Wohnort. Andere sind weniger gut auf ihn zu sprechen. «Ich habe überhaupt keine Lust, ihnen zu antworten», sagt etwa der Vize-Gemeindepräsident von Mies, Jean-Louis Semoroz, und gibt deutlich zu verstehen, dass er das Auflegen des Hörers für den besten und einzig möglichen nächsten Schritt hält. Semoroz wurde nach seiner Meinung zu «Rives publiques» gefragt. Dem Vernehmen nach macht Victor von Wartburg den Behörden das Leben schwer: Was auch immer diese tun, es ist das Falsche. «Dies liegt auf der Hand, wenn man das Raumplanungsgesetz nicht einhält», so der Frührentner.

«Rives publiques» ist von Wartburgs Kampforganisation, ein ordentlicher Verein, gegründet Ende Februar 2003, mit einer Stärke von rund 200 Mann. «Mehr scheint fast nicht drinzuliegen», sagt der Präsident in einem kurzen Anflug von Resignation. Die stagnierenden Mitgliederzahlen und Spenden könnten dem Verein das Genick brechen. Denn der Kampf kostet Geld. Vor allem die aufwendigen Verfahren vor Gericht, die von Wartburg unbeirrt, manche sagen stur, weiterzieht wenn nötig bis vor Bundesgericht.

So geschehen am Zürichsee. Hier ficht «Rives publiques» einen Entscheid des Zürcher Regierungsrats an. Dieser hatte eine Stimmrechtsbeschwerde des Vereins in Zusammenhang mit der Gemeindeversammlung von Uetikon am See von Ende März abgelehnt. Traktandiert war ein Gestaltungsplan für die Überbauung eines Chemiefabrikareals, die den öffentlichen Zugang zum Zürichsee-Ufer verunmöglicht hätte. «Rives publiques» rügte, die Abstimmungsbroschüre habe Mängel und falsche Informationen enthalten.

Der Weiterzug ans Bundesgericht leuchtet nicht allen ein, denn in der Hauptsache konnte von Wartburg einen Erfolg erzielen: Die Bürgerinnen und Bürger von Uetikon am See lehnten den Gestaltungsplan für die Überbauung des ufernahen Areals ab. Will von Wartburg vor allem eins: recht haben? «Nein, aber wichtige Fragen blieben ungeklärt», sagt er.

Inzwischen hat sich das Fischerboot bis an die Ufer vor Gland gekämpft. «Es ist wirklich eine fabelhaft schöne Villa», sagt von Wartburg voller Bewunderung. Ins Blickfeld geraten ist Michael Schumachers Anwesen: drei Etagen, ausladend, schlossähnlich. Fast bescheiden wirkt da die Villa in der Nachbarschaft, jene von Alinghi-Chef und Milliardär Ernesto Bertarelli.

Am Beispiel Schumachers will von Wartburg zeigen, wie die Zwei-Meter-Regel von 1926 verletzt wird. «Hier, sehen Sie, ein freier Durchgang ist nicht möglich», sagt von Wartburg und schreitet innerhalb des Streifens dem Ufer entlang.

Schumacher bleibt höflich

Da nähert sich der prominente Hausherr persönlich: dunkle Sonnenbrille, abgewetzte, schwarze Lederjacke, goldene Halskette mit Kreuz. Nicht ausgesprochen freundlich, aber durchaus höflich erkundigt sich Michael Schumacher nach den Absichten. Ja, die Zwei-Meter-Regelung sei ihm bekannt. Anderseits: Ob man denn selber wollen würde, dass einem Fremde ständig durch den Garten laufen. Der ehemalige Formel1-Star bleibt auch höflich, als er dann die ungebetenen Gäste zum Gehen auffordert.

Ächzend schiebt der Aussenborder das Fischerboot ins offene Wasser des Lac Léman. «Für ‹Rives publiques› wird das wohl einer der härtesten Kämpfe», murmelt Victor von Wartburg.

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