Zur Person

Brigitte Reemts ist Philosophin und Germanistin (FU Berlin) mit langjähriger Management- und Führungserfahrung in der Versicherungsbranche. Seit Anfang 2007 ist sie als Partnerin und Mitinhaberin bei Dr. Nadig + Partner AG tätig. Sie ist ausserdem Autorin des Buches «50 plus - Neuorientierung im Beruf», das kürzlich in der Beobachter-Edition erschienen ist.

Quelle: Stephan Schmitz

 

Beobachter: Viele über 50-Jährige haben grosse Angst davor, entlassen zu werden. Sie sind wie gelähmt. Was können sie dagegen unternehmen?
Brigitte Reemts: Eine Entlassung kommt meistens nicht aus heiterem Himmel; sie zeichnet sich ab. Der Geschäftsgang ist schlecht, die Firma wurde verkauft, ein neuer Chef übernimmt das Ruder. Es hilft, wenn man solche Veränderungen genau beobachtet und auch die Möglichkeit einer Entlassung schon vorher gedanklich durchgeht. Dann trifft einen der schwierige Prozess nach einer Entlassung nicht ganz unvorbereitet. Vor allem sollte man regelmässig eine Standortbestimmung machen, vielleicht auch einen Plan B bereithalten.

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Beobachter: Warum eine Standortbestimmung?
Reemts: Wenn die Stellensuche klappen soll, muss ich wissen, wer ich bin, was ich kann und wohin ich will. Ich staune in meiner Beratungstätigkeit aber immer wieder, wie viele Entlassene völlig unvorbereitet auf diese Fragen reagieren. 

 

Beobachter: Wäre es nicht Sache der Unternehmen, mit ihren Angestellten regelmässig Standortbestimmungen durchzuführen, zum Beispiel im Rahmen der jährlichen Mitarbeitergespräche?
Reemts: Der Arbeitgeber könnte als Impulsgeber wirken. Das wäre bestimmt gut. Es macht ja auch für ihn nicht viel Sinn, demotivierte Leute zu beschäftigen, die nur aus Mangel an Alternativen für ihn tätig sind. Aber hauptsächlich ist es eine Frage der Eigenverantwortung, die eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse regelmässig in Hinblick auf die berufliche Tätigkeit zu hinterfragen: Passen wir eigentlich noch zusammen?

 

Beobachter: Warum haben gerade die über 50-Jährigen Mühe, sich neu zu orientieren?
Reemts: Weil vielen Babyboomern zu Beginn ihres Berufslebens alle Türen offen standen. In den 80er Jahren startete man oftmals in einem Unternehmen und die Karriere wurde vom Arbeitgeber quasi vorgespurt. Ihr Problem: Sie haben sich oftmals nie wirklich bewerben müssen, der nächste Schritt oder auch ein Firmenwechsel wurde meist an sie herangetragen. Eine Neuorientierung ist für sie besonders wichtig. Sie bekommen die Chance, sich zu überlegen: Mach ich noch das, was ich will, und will ich das, was ich mache?

«Spätestens nach 100 erfolglosen Bewerbungen sollte man sich hinterfragen: Stimmt mein Profil?»

Brigitte Reemts

 

Beobachter: Das ist die persönliche Seite. Aber auch der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten dreissig Jahren doch stark verändert?
Reemts: Richtig. In den Achtzigerjahren sah es noch so aus, dass man im erlernten Beruf pensioniert werden kann. Wir wuchsen mit dem Gedanken auf, dass man loyal zu seinem Arbeitgeber sein muss und das Unternehmen einen dann auch trägt. Ein sicherer Arbeitsplatz im Tausch gegen Loyalität – so lautete viele Jahre lang der Pakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dies hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert und viele über 50-Jährige haben das entweder nicht realisiert oder wollen es nicht wahrhaben.

 

Beobachter: Was ist heute anders?
Reemts: Es hat sich ein tiefgreifender struktureller und technologischer Wandel vollzogen. Es geht alles schneller, Berufsbilder verschwinden, andere entstehen. Loyalität zum Arbeitgeber zählt nicht mehr so viel. Grössere Chancen auf dem Stellenmarkt hat heute, wer zwischendurch immer wieder Boxenstopps eingelegt und sich überlegt hat, ob sein Berufsprofil überhaupt noch gefragt ist. In diesem Zusammenhang ist natürlich auch ständige Weiterbildung ein Thema. 

 

Beobachter: Und wenn man keine Standortbestimmung gemacht hat, ist dann alles verloren?
Reemts: Nein, das bestimmt nicht. Aber wenn man sich sehr lange nicht gefragt hat, was einem wichtig ist und welches die eigenen Werte sind, braucht man in einer ersten Phase der Stellensuche mehr Zeit. Das ist kein Weltuntergang. Dann dauert die Standortbestimmung nicht vier, sondern acht Wochen. Und es dauert nicht drei Monate, bis man etwas Neues hat, sondern sechs oder acht. Hinzu kommt: Manche Prozesse brauchen bei älteren Arbeitnehmern mehr Zeit, weil sich komplexere Fragen stellen und es nicht so banal ist, die richtigen Antworten zu finden. 

 

Beobachter: Wird man entlassen, muss man sich aber doch zuerst mit der neuen Situation auseinandersetzen?
Reemts: Das schon. Und viele reagieren ja auch mit eigenartigen Verhaltensweisen. Sie wollen zum Beispiel weiterarbeiten, obwohl sie freigestellt wurden. Weil sie glauben, dass sie so eher mitkriegen, wenn intern doch irgendwo eine Stelle frei wird. Ein Fehler. Eine Trennung, beruflich genauso wie privat, muss irgendwann vollzogen werden, damit man sich auf die Zukunft ausrichten kann. Nach einer Scheidung wird man auch nicht zusammen Weihnachten feiern wollen, weil es früher so schön war.

«Eine Trennung, beruflich genauso wie privat, muss vollzogen werden, damit man sich neu orientieren kann. Es braucht diesen Schnitt.»

Brigitte Reemts

 

Beobachter: Wie geht man bei der Suche nach einem neuen Job vor?
Reemts: Am besten sehr strukturiert. Stellensuche ist ein Full-Time-Job. Nur einige wenige finden mit Glück und Inspiration allein eine neue Stelle. Man muss eine Ich-biete-Strategie entwickeln. Das geht nur, indem ich mir ganz genau überlege, wer ich bin, was ich will, was ich kann und welche Firma das braucht, was ich kann.

 

Beobachter: Das klingt gut und nett. Aber was sagen Sie jenen Leuten, die 480 Bewerbungen geschrieben und noch immer keinen Job gefunden haben?
Reemts: Wenn ich 100 Bewerbungen geschrieben habe und mich nie vorstellen konnte, bringt es nichts, 100 weitere Bewerbungen zu machen. Dann muss ich mir überlegen, was ich falsch mache: Bewerbe ich mich auf die passenden Stellen, stimmt mein Profil wirklich mit den Anforderungen überein etc.

 

Beobachter: Was raten Sie?
Reemts: Dass man seine Bewerbungskampagne gut vorbereitet und sich am Schluss nur dort bewirbt, wo man gute Chancen hat, dass man zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Dann brauchts natürlich immer noch ein Quäntchen Glück. 

 

Beobachter: Schon, aber mit 50 plus schnell einen Job zu finden, ist doch meistens eine Illusion?
Reemts: Überhaupt nicht. Das Alter ist nur dann ein echtes Problem, wenn man sich auf einen Job bewirbt, für den eigentlich jemand zwischen 30 und 45 gesucht wird. Dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man eine Absage erhält.

 

Beobachter: Wie schafft man das?
Reemts: Sie müssen sich auf Positionen bewerben, für die man jemanden mit Ihren beruflichen Erfahrungen sucht. Diese Jobs werden oft gar nicht auf dem ‚offenen Stellenmarkt‘ ausgeschrieben. Es gibt sie aber trotzdem und am ehesten erfahren Sie das über aktives Netzwerken. Das heisst weder auf Apéros stehen und Cüpli trinken, noch im Freundeskreis um einen Job betteln. Netzwerken bedeutet, dass man gezielt Informationen über eine Firma sammelt und persönliche Kontakte knüpft – zum Beispiel über Berufsverbände oder auch mittels Social-Media-Plattformen wie LinkedIn oder Xing. Das ist in der Schweiz gar nicht so schwer. Hier funktioniert das Small-World-Prinzip nach wie vor. Gut die Hälfte unserer Klienten finden über Netzwerken eine neue Stelle.

«Aktivismus schadet – er wirkt hilflos und unprofessionell.»

Brigitte Reemts

 

Beobachter: Das klingt so, als ob man ziemlich viel Zeit zum Recherchieren braucht. Profis raten aber, dass man auf eine Entlassung möglichst schnell reagiert?
Reemts: Die meisten Leute neigen nach dem Verlust des Jobs zu Panikreaktionen. Sie erzählen jedem, der es hören will oder nicht, dass sie arbeitslos sind, dass ihre Firma das Letzte war, schicken ihr Dossier überall herum und melden sich bei jedem Headhunter, den sie kennen. Aktivismus schadet aber nur und wirkt hilflos und unprofessionell. 

 

Beobachter: Abwarten und Tee trinken aber auch nicht...
Reemts: Nein, sicher nicht. Ich rate eher, dass man sich zuerst ein paar Wochen Zeit nimmt und sich aktiv – aber nicht hektisch – fragt, wohin man will. Sie dürfen nie vergessen: Es ist besser, wenn Sie erst in acht Monaten einen Job haben, der dann die nächsten zehn Jahre trägt, als in sechs Monaten eine neue Stelle zu finden und in einem Jahr schon wieder auf der Strasse zu stehen.

 

Beobachter: Würden Massnahmen nicht besser helfen, wie sie die Gewerkschaften angesichts der aktuellen Kündigungswelle vorschlagen: besserer Kündigungsschutz, längere Kündigungsfristen und längerer Bezug von Taggeldern für über 50-Jährige?
Reemts: Dem einzelnen Arbeitslosen hilft das in seiner Situation wenig. Ich warne auch vor allen Massnahmen, die eine Art Heimatschutz für Ältere fordern. Wir haben in der Schweiz bereits heute ein relativ gutes System, indem Ältere länger Taggeld bekommen und dadurch etwas mehr Zeit haben, einen neuen Job zu finden. Hinzu kommt: Schutzmassnahmen helfen meist nur jenen, die – noch – einen Job haben. Für alle, die draussen sind, bedeuten sie höhere Hürden. Die Folgen sieht man in Deutschland und Frankreich: Wenn man Ältere quasi unkündbar macht, führt das dazu, dass faktisch keine Älteren mehr einstellt werden.

Buchtipp
50 plus - Neuorientierung im Beruf
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