Da stehen sie, in Reih und Glied: ein Malermeister, ein Buchhändler, ein ehemaliger Fotograf, ein Banker. Männer in den besten Jahren, die Mienen todernst, den Zeigefinger am Drücker. Ihre Köpfe bewegen sich rhythmisch hin und her, beim einen schwingt der ganze Körper mit, als würde er tanzen. Die Musik dazu: ein hohes Summen.

Es stammt von den kleinen Rennautos, die die Männer an ihren pistolenartigen Reglern so aufmerksam verfolgen: Mit einem Affenzahn flitzen die Miniboliden in einer langgezogenen Rechtskurve unter der Brücke durch, dann über eine schlangenförmige Strecke hoch in eine scharfe Linkskurve, am selbstgebauten Matterhorn vorbei und schliesslich, nach gut sieben Sekunden, unter der Lichtschranke hindurch in die nächste Runde. Jeden Freitagabend kommen 10 bis 15 Modellrennautofans teils von weit her ins aargauische Dottikon und lassen in der alten Bally-Fabrik stundenlang ihre Autos sausen. Alle mit dem Willen zum Sieg.

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«Ich hatte schon in meiner Lehrzeit immer ein Auto in der Tasche. In der Mittagspause ging ich auf die öffentliche Rennbahn», erzählt Klubmitglied Peter Müller und grinst spitzbübisch unter seinem buschigen Schnauz hervor. Der Malermeister aus Bülach ZH ist verantwortlich für die kleine Bar, die zum Klublokal gehört. Und er hat tatkräftig mitgeholfen, den Raum stilecht zu verschönern – etwa mit einer grossen gemalten Autosilhouette an der Wand. In einer Vitrine stehen Pokale. Es gibt ein verglastes Rennleitungshäuschen mit Mikrofon, und damit keiner etwas verpasst, hängen überall kleine Bildschirme, die aktuelle Rundenzeiten anzeigen.

Es geht um Tausendstelsekunden

Doch im Mittelpunkt steht, natürlich, die 38 Meter lange, liebevoll gestaltete Holzrennbahn mit ihren fünf Spuren in Form von Schlitzen. Slot-Cars (Schlitzautos) heissen deshalb die Modellautos im Massstab 1:24 oder 1:32, die darauf fahren. Sie sind etwas grösser als die bekannten Carrera-Autos, die bei den meisten Slotters – so nennen sich die Fahrer – im Kinderzimmer standen. Die Carrera-Bahn genügt ihren Ansprüchen jedoch nicht mehr: «Sie ist etwas für Kinder, Slot-Cars sind für Männer», sagt man in der Szene.

Das technische Prinzip ist das gleiche: Unten am Slot-Car befindet sich ein Plastik-Leitkiel, seitlich daran sogenannte Schleifer, Stromabnehmer. Sie nehmen die elf oder zwölf Volt Strom auf, die im Schlitz fliessen, und leiten ihn auf den Elektromotor. Über den Regler in der Hand kann der Fahrer den Strom und damit die Geschwindigkeit seines Wagens stufenlos steuern. Vor einer Kurve muss er den Finger vom Gashebel nehmen und ihn gleich wieder voll durchdrücken. Timing ist alles, es geht um Hundertstel- oder gar Tausendstelsekunden. Auf der Dottiker Bahn fährt der Schnellste eine Runde in 7,257 Sekunden, der Zweitschnellste in 7,266.

Quelle: Holger Salach

Konzentration, Reaktionsfähigkeit und etwas Glück sind wichtig, denn es kommt vor, dass der Wagen in einer Kurve von einem Gegner touchiert und aus der Bahn geworfen wird. Bei jeder scharfen Kurve sitzen deshalb andere Slotters, die gerade nicht fahren, um die Wagen flink wieder einzusetzen. Das kostet mindestens zwei Sekunden Zeit. «Wenn man es schafft, nie rauszufliegen, kann man ein Rennen gewinnen, auch wenn man kein Topauto hat», sagt Patric Herrmann. Er ist seit etwa drei Jahren im Klub und einer mit dem Ehrgeiz für beides: Technik und Fahrkönnen. Herrmann, Vereinskassier und von Beruf Bankangestellter, bastelt in der Freizeit oft an seinen Autos herum. Er ist stolzer Besitzer von vier Pneuschleifmaschinen: «Für jede Reifenart die passende.»

Für Slotters sind geschliffene Pneus sowie Köfferchen mit Ersatzteilen und Werkzeug ein Muss bei jedem Rennen.

Quelle: Holger Salach
Zwischen Adrenalin und Meditation

Denn die Technik ist wichtig: Wer vorn mitfahren will, kommt nicht ums Basteln und Tüfteln herum. Mit Schraubenzieher, Pinzette und Schleifset bewaffnet, verbringt der Slotter Stunden und Tage damit, sein Auto zu optimieren. Es ist diese Mischung aus adrenalingetriebenem Wettbewerb und meditativer Tüftelei, die Slotters antreibt. Sie kaufen entweder komplette Autos und tunen sie. Oder sie bauen Chassis und Aufbau selber zusammen – beide Varianten kosten am Ende gleich viel, 200 bis 300 Franken.

Jeder hat seine eigene Philosophie, wie man einen Slot-Car schneller macht. In einigen Punkten ist man sich aber einig: Schlecht ist, wenn auf der Hinterachse zu viel Gewicht liegt, wenn das Chassis zu schmal ist, wenn die Federung nicht gleichmässig eingestellt ist oder wenn die Übersetzung des Motors nicht optimal auf die Bahn angepasst ist. Sehr kurvige Bahnen brauchen eine kurze Übersetzung, für lange Geraden ist eine lange besser. Da heisst es dann Ritzel wechseln und Probe fahren – sofern man nicht auf der Heimbahn fährt und alles bereits optimal abgestimmt hat. Selbst dann kann noch etwas schiefgehen, denn auch das Raumklima wirkt sich aus. «Wenn die Luft zu feucht ist, wird die Bahn rutschig. Wenn sie schon länger nicht mehr befahren wurde, merkt man das auch», sagt Patric Herrmann. Und lüften, lüften sei auch eher ungünstig: «Das wirbelt Staub auf und verlangsamt die Bahn.»

Klar ist: Neue, frisch geschliffene Pneus und neue Schleifer vor jedem Rennen sind das absolute Minimum. In Dottikon gibt es einen abgetrennten Raum, eine Art Boxenstopp, wo die Slotters ihre mitgebrachten Holzköfferchen voller Autos, Ersatzteile und Werkzeug aufstellen und bis kurz vor dem Start an ihren Wagen schrauben.

Der Oberbastler ist Bernie Drenowatz. Seinen Job als Profifotograf hat er vor etwa zehn Jahren an den Nagel gehängt, «weil ich mir unter all den jungen Kreativen vorkam wie ein Opa», sagt der 55-Jährige. Er verkaufte seine teure Fotoausrüstung und setzte alles auf die Karte Slot-Car. In seiner Firma verkauft Drenowatz nun Ersatz- und Tuningteile, baut selber Autos und fertigt in seiner feinmechanischen Werkstatt im Keller eigene Fahrgestelle an, die einen guten Ruf geniessen. «Die richtige Gewichtsverteilung des Chassis ist das A und O», sagt er.

Um frischen Wind in die Szene zu bringen, initiierte Drenowatz dieses Jahr eine Rennserie um die Schweizer Meisterschaft: Die GT Endurance startet am 14. März in Dottikon, danach gibt es vier weitere Rennen in der Deutschschweiz. Es gibt rund 20 aktive Klubs mit eigenen Lokalen, wo Rennen ausgetragen werden – vorwiegend unter Männern. Die Meisterschaftsrennen werden alle durch den schweizerischen Dachverband ausgetragen, die Swiss Slot Racing Association. Das Interesse für die neue Serie sei gross, sagt Drenowatz. Und es lohnt sich für ihn auch beruflich: «Momentan ist bei mir die Hölle los, ich baue an über 30 Wägeli für Leute, die mitfahren wollen, aber zu wenig Zeit zum Basteln haben.»

Quelle: Holger Salach
Der Spoiler darf nicht fehlen

Wer mitfahren will, braucht ein Auto, das dem Reglement entspricht. Es gibt verschiedene Serien, die mit unterschiedlichen Autos gefahren werden, etwa Nascar, GT-Sportwagen oder Tourenwagen. Alle verhalten sich ein wenig anders beim Fahren. Und für jede Serie existieren klare Vorschriften, welche Modelle zugelassen und welche Veränderungen erlaubt sind.

Vor dem Start gibt es eine offizielle Wagenabnahme. Die Autos werden gewogen, der Bodenabstand wird gemessen, die richtigen Pneus müssen montiert sein, der Spoiler darf nicht fehlen. Entsprechend nervös geht es zu und her. Hier ein gehässiges Wort, dort ein Scherz, der nicht gut ankommt. «Manche nehmen es furchtbar ernst, andere etwas weniger», sagt Bernie Drenowatz achselzuckend.

Vereinspräsident Yves Rittener ist einer von der lockeren Sorte. Der Zürcher Buch-, Musik- und Kunsthändler hat es aufgegeben, punkto Technik vorn mitmischen zu wollen. Er ist der Ästhet unter den Dottiker Slotters und schlendert gemütlich durch die Räume, während die anderen, teils etwas verzweifelt, ihren Autos den letzten Schliff geben. «Mir liegt dieses Technikzeugs nicht, ich bin mehr der Modellbauer», sagt er. Seine Autos sind handlackiert und originalgetreu nachgebaut, sogar das Luftventil am Pneu darf nicht fehlen. Mit seinen Kunstwerken fährt Rittener in der Classics-Serie in Deutschland mit, wo es für Detailtreue Zusatzpunkte gibt. «Da kann sogar ich einmal gewinnen», sagt er augenzwinkernd und schwenkt stolz seinen Porsche 917. Dann muss er ins Glashäuschen: als Rennleiter den Countdown starten.

Quelle: Holger Salach