Beobachter: Vor kurzem veröffentlichte der Bund die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2024. Insbesondere die schweren Gewalttaten haben stark zugenommen, auch bei Minderjährigen. Spürt man das an den Schulen? 
Eveline Iannelli: Was draussen in der Gesellschaft abläuft, schwappt natürlich auch auf die Schulen über. Die müssen dann einen Umgang damit finden. Bei den Mädchen ist eher verbale und nonverbale Gewalt ein Thema. Buben «schlegeln» oft auf dem Pausenplatz, das ist Alltag. Gewalt an Schulen gab es schon immer, heute schaut man aber genauer hin.

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Zur Person:

Was machen denn die Schulen konkret gegen Gewalt?
Viele Schulen sind sehr sensibilisiert auf das Thema und bieten gute Präventionsprojekte an. Zum Beispiel die Peacemaker, geschulte Kinder, die im Streitfall deeskalieren und als Friedensstifter auf den Pausenplätzen präsent sind. Das Projekt «Kinder stark machen» will den respektvollen Umgang und die Ressourcen der Kinder stärken und setzt auf Elternarbeit. Oder das Projekt «Service Learning», wo sich Kinder und Jugendliche in der Gemeinde gesellschaftlich engagieren. Solche Projekte stärken die Schülerinnen und Schüler, weil die merken, dass sie etwas bewirken können. 

Das klingt gut, nützt aber wohl nicht viel, wenn tatsächlich ein Kind in der Schule verprügelt wird. Wie müssen Schulen dann vorgehen?
Die meisten Schulen haben klare Vorgehensstufen. Zuerst gibt es ein Gespräch mit den involvierten Kindern. In einem weiteren Schritt werden die Eltern einbezogen. Wo es eine gibt, kommt die Schulsozialarbeit zum Zug. Bei Bedarf können der schulpsychologische Dienst oder auch die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste hinzugezogen werden. Zuletzt kommt die Behörde ins Spiel, die Kesb. Massive Gewaltakte sind aber meiner Erfahrung nach selten. Es gibt eher kontinuierliche Gewaltprobleme – Kinder, die schon früh auffällig werden, andere plagen. Und es kommt zu Mobbingsituationen.

«Das Wichtigste ist eine führungsstarke Schulleitung.»

Eveline Iannelli, Schulberaterin

Manchmal attackieren sogar Eltern Lehrpersonen, wenn sie mit einer Massnahme nicht einverstanden sind. 
Ja, beim Thema «Kind und Schule» gehen die Emotionen manchmal hoch. Das kann für Lehrerinnen und Lehrer bedrohlich wirken. Doch nur in schlimmen Fällen wird die Polizei eingeschaltet. Wir leben in einer Zeit der Verrohung in der Kommunikation und im Umgang miteinander. Schulen können nicht die Reparaturwerkstatt der Gesellschaft sein. Sie müssen aber versuchen, Kinder zu einem gewaltfreien Umgang anzuleiten, und aufzeigen, wie sie zu konstruktiven Konfliktlösungen beitragen können. 

Wie erreicht man ein gutes Schulklima?
Das Wichtigste ist eine führungsstarke Schulleitung, die das ganze Kollegium miteinbezieht und ihre Vorgaben mit einer klaren und positiven Haltung macht. Die Entwicklung einer auf Verständigung ausgerichteten Schulkultur ist Aufgabe der ganzen Schule. Und dass auf die Stärken der Kinder fokussiert wird – die Lehrpersonen bei Gewaltvorfällen aber hinschauen. Auch auf die Elternmitarbeit muss grosser Wert gelegt werden. Die Eltern sind zentral, wenn die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen gelingen soll. Manche sogenannte Brennpunktschulen, zum Beispiel in Biel oder Emmenbrücke – mit einem sehr hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund –, haben es geschafft, dass die Kinder heute stolz sind, dort zur Schule zu gehen. Mit einer guten Atmosphäre und wertschätzendem Umgang. Auch so kann man Gewalt entgegenwirken. 

Quelle