Ausstehende Löhne
Drei Erotiktelefonistinnen wehren sich für ihren Lohn und ihre AHV-Beiträge – dank einer Prix-Courage-Nomination des Beobachters.
Veröffentlicht am 19. Dezember 2005 - 11:55 Uhr
«Als wir von Jacqueline Aliesch hörten, die gegen ihren Arbeitgeber, eine Erotiktelefon-Firma, Klage einreichte und für den Prix Courage des Beobachters nominiert wurde, machte uns das Mut», sagt Jasmin Kiener (Name geändert). Nach Erscheinen des Artikels (siehe Artikel zum Thema «Prix Courage 2005: Münsingen macht Mut» und dort Nebenartikel «Jacqueline Aliesch: Für ihr Recht gewehrt») will sie jetzt mit zwei anderen Betroffenen gegen ihre Arbeitgeberin, die MV Marketing GmbH in Cham ZG, die Betreibung einleiten. Kein Lohn, keine AHV-Beiträge, keine Kinderzulagen – so wurde Kiener, 50, als Erotiktelefonistin behandelt. Der verantwortliche Mann: Walter Wyss, 43, Treuhänder, Geschäftsführer der Firma und Verwaltungsratspräsident der Eigentümerin der MV Marketing GmbH. Wyss ist aber nicht nur im Treuhand- und Erotiktelefon-Business tätig, sondern unterrichtet auch am kaufmännischen Bildungszentrum Zug und ist Vizepräsident des Vereins Bildxzug, der mit dem Segen des kantonalen Amts für Berufsbildung Lehrstellen initiieren und vermitteln soll.
Die Firma zahlte mindestens drei Telefonistinnen ihrer Erotiklinie ab April die Löhne nicht mehr und liess die Frauen vier Monate weiterarbeiten; schriftlich gekündigt wurde ihnen nie. Die Angestellten verloren ihren Job, weil die Swisscom die Telefonleitung kappte, nachdem Wyss die Rechnungen nicht bezahlt hatte. Die Frauen gingen vor Arbeitsgericht Luzern und bekamen Recht: Die MV Marketing GmbH schuldet ihnen je rund 2'000 Franken Lohn. Trotz diesem Urteil wurden die Löhne bis heute nicht ausbezahlt.
Ebenfalls ausstehend sind alle AHV-Beiträge von Kiener – sowohl das Geld, das vom Lohn abgezogen wurde, als auch die Arbeitgeberbeiträge. Kiener, die vier Jahre für die MV Marketing GmbH arbeitete – ein Jahr unter Walter Wyss –, hatte per Ende November keinen Rappen überwiesen erhalten. Sie bekam auch nie Kinderzulagen, obwohl sie das Formular dem Arbeitgeber eingereicht hatte. Doch der leitete es nie an die Behörden weiter, versicherte den Ämtern aber, das Formular sei in Bearbeitung.
Walter Wyss will zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen. Gegen eine der drei Frauen hat er Strafanzeige wegen Ehrverletzung eingereicht und gegen eine andere eine Anzeige wegen Diebstahl. «Unser Geld werden wir wohl nie sehen», so Kiener, «aber Walter Wyss soll merken, dass er mit Menschen so nicht umspringen darf.» Noch besteht aber Hoffnung: Bis Redaktionsschluss ist die MV Marketing GmbH gemäss «Schweizerischem Handelsamtsblatt» weder in Liquidation noch in Konkurs. Zudem gelangte Kiener an die Ausgleichskasse des Kantons Luzern, damit diese von der Firma die AHV-Beiträge eintreibt. Dabei kann sich Wyss nicht hinter einer bankrotten GmbH verstecken: Ist das Unternehmen zahlungsunfähig, kann laut AHV-Gesetz direkt auf das Privatvermögen eines Geschäftsführers zurückgegriffen werden.