«Der Chef ist kein 'Buddy'»
Ob im Büro oder auf dem Bau – die Arbeitswelt verändert sich rasant. Im Interview spricht der Buchautor Claude Heini über flache Hierarchien, schlechte Chefs, die Frauenquote und das Weihnachtsessen.
aktualisiert am 19. Oktober 2015 - 11:53 Uhr
Zur Person
Dr. Claude Heini ist Führungsexperte und Dozent, Seminarleiter und Coach mit psychologischem Hintergrund. Er war langjähriger Führungsberater für das Senior Management in einem Grosskonzern. Er ist Co-Autor des Buches «Plötzlich Chef», das vor kurzem in der Beobachter-Edition erschienen ist. Sie können das Buch hier bestellen.
Beobachter: Claude Heini, welche Erinnerungen haben Sie an Ihren ersten Chef?
Claude Heini: Ui! (lacht) Er war ein netter Typ. Ich konnte von ihm sehr viel lernen – vor allem auch, was man nicht machen sollte.
Beobachter: Wann ist ein Chef ein schlechter Chef?
Heini: Drei Punkte: Wenn er im Eigeninteresse handelt und nicht im Interesse der Abteilung. Wenn er kurzfristig orientiert ist und nicht strategisch denkt. Und wenn er sich nicht für die Menschen in seinem Team interessiert, sondern nur für sich selbst.
Beobachter: Tönt, als könnte diesen Job fast jeder von uns machen...
Heini: (lacht) Naja, es braucht natürlich schon gewisse Fähigkeiten wie Führungs-, Fach- und Sozialkompetenz. Zudem muss ein Chef das Vertrauen spüren – von unten wie von oben. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass etwa zehn Prozent aller Menschen nicht geeignet sind für eine Führungsaufgabe – wegen der Persönlichkeit oder der Lebensweise. Weitere zehn Prozent hingegen sind geborene Führungspersonen – diese müssen im Prinzip nicht einmal in die Schule gehen. Der weitaus grösste Teil von uns aber kann durchaus – sei es durch Weiterbildung oder Fleiss – in eine solche Aufgabe hineinwachsen.
Claude Heini beantwortet Leserfragen
Zahlreiche Leserinnen und Leser sind unserem «Lästerbox»-Aufruf gefolgt und haben von Problemen und Konflikten in ihrem Arbeitsalltag berichtet. Wir haben fünf Fälle ausgewählt und Claude Heini gebeten, seine Tipps weiterzugeben.
- Fall 1: «Mit dieser Situation komme ich nicht mehr klar»
- Fall 2: «Der neue Chef bringt alles durcheinander»
- Fall 3: «Meine Chefin schwärzt Kolleginnen an»
- Fall 4: «Ich habe Mühe mit jüngeren Chefs»
- Fall 5: «Mein Chef kennt mich überhaupt nicht»
Beobachter: Sie haben Sozialkompetenz erwähnt. Ist diese heute wichtiger als früher?
Heini: Ja, ganz klar. Sozialkompetenz hat im Verhältnis zur Fachkompetenz klar an Bedeutung gewonnen.
Beobachter: Inwiefern?
Heini: In der modernen Arbeitswelt geht es für Führungskräfte in erster Linie darum, als Trainer oder Berater für das Kollektiv zu wirken. Gleichzeitig sind die Mitarbeiter sehr gut ausgebildet, diese sind absolute Profis in ihrem Arbeitsbereich und darin meistens besser als ihre Vorgesetzten. Es braucht also keine Chefs mehr, die alles wissen und alles entscheiden.
Beobachter: Das tönt nach «flacher Hierarchie». Das heisst, die Chefs agieren auf Augenhöhe mit den Angestellten. Ist das die Zukunft?
Heini: Es ist im Prinzip schon die Gegenwart. In jenen Branchen, in denen es schnell gehen muss, in denen Innovation und Kreativität gefragt sind, geht es nur noch mit flachen Hierarchien beziehungsweise mit Netzwerken.
«Chefs, die alles wissen und alles entscheiden, braucht es nicht mehr.»
Claude Heini
Beobachter: Bedient man das gängige Klischee, so könnte man annehmen, dass viele Frauen geradezu prädestiniert sind, in solchen Unternehmen aufzusteigen. Warum gibt es noch immer so wenige Frauen in den Chefetagen?
Heini: Im alten patriarchalischen Modell waren «männliche» Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen und Karrieredenken viel stärker gefragt. Das führt dazu, dass heute nur diejenigen Frauen erfolgreich sind, die «männlich» operieren. Die meisten Frauen, die ich kenne, sind aber nicht per se an der Karriere interessiert, sondern sie hören zu und suchen nach dem Konsens.
Beobachter: Braucht es die Frauenquote?
Heini: Wenn ich Kurse für Führungskräfte gebe, dann denke ich oft: «Wo sind die Frauen?». Da ist es naheliegend zu fragen, ob die Frauenförderung in der Wirtschaft eine Zeit lang provoziert werden muss. Braucht es eine Quote? Eher nein. Der Idealfall wäre, dass die Unternehmen durch Einsicht dazu kommen, mehr Frauen zu berücksichtigen. Das ist meine Hoffnung. Und es wird spannend sein zu sehen, wie sich die Gesellschaft diesbezüglich weiterentwickelt.
Beobachter: Das Leuchtbeispiel für ein modernes Unternehmen ist Google. Dort ist das Arbeitsumfeld paradiesisch: Es gibt Billardtische, Schlafräume und Sportplätze. Ist das mehr als nur Marketing?
Heini: Ja, solche modernen Bürokonzepte sind mehr als Marketing, sie sind ein Trend. Immer mehr Firmen haben grosse Mühe damit, ihre Mitarbeiter zu motivieren. Wenn aber, wie zum Beispiel bei Google, die Bedürfnisse des Einzelnen ins Zentrum gestellt werden, so steigt die Motivation von alleine. Jede Firma hofft, dass es der Angestellte als Privileg ansieht, hier arbeiten zu können. Es ist sicherlich sinnvoll, wenn die Grenzen zwischen Arbeit und Vergnügen fliessend sind.
«Braucht es eine Frauenquote? Eher nein.»
Claude Heini
Beobachter: Vergnügen sollen auch die Weihnachtsessen machen, eine Tradition, die gleichermassen geliebt und gehasst wird. Bald stehen sie wieder an. Dürfen dort die Angestellten die «Sau rauslassen»? Und darf der Chef mitmachen?
Heini: Wenn das Team funktioniert, dann liegt ausgelassenes Feiern durchaus drin. Wie ein Weihnachtsessen verläuft, ergibt sich bei dieser Ausgangslage von selbst. Kritischer wird es, wenn es ohnehin Probleme gibt im Team. Dann ist es besser, wenn der Einzelne eher vorsichtig ist und dann später mit den vertrauten Kollegen noch ohne Chef weiterzieht. Grundsätzlich können solche Abende einem Team nur gut tun.
Beobachter: Darf der Chef als Letzter nach Hause gehen?
Heini: Es gibt keine einfache Regel. Ein guter Chef merkt, wo die natürliche Grenze ist zwischen Ausgelassenheit und Peinlichkeit. Er muss sich bewusst sein, dass er nichts daran ändern kann, dass er der Chef ist – selbst wenn er noch so sehr «auf Kumpel» macht. Kein Vorgesetzter sollte also bis 4 Uhr morgens dabei und womöglich betrunkener sein als seine Angestellten.
Vier Fragen, vier Antworten:
Welcher Weg ist für einen Chef der richtige?
- ...Freiheit oder Kontrolle?
Die wohl schwierigste Frage für einen Vorgesetzen. Wo steht der Mitarbeiter? Was kann er? Bringt er seine Leistung? Um herauszufinden, ob er mehr Kontrolle braucht oder ob man ihn selbständig arbeiten lassen kann, eignen sich «Prüfungen». Man kann durch gezielte Aufträge prima testen, wie der Angestellte eine bestimmte Aufgabe erfüllt. - ...Lob oder Kritik?
Viele Angestellte bekommen tatsächlich zu wenig Feedback. Es ist ein Balanceakt. Das Feedback muss ausgewogen sein, sei es Lob oder Kritik. Am wenigsten kann jemand mit einem Blabla-Lob etwas anfangen – so etwas wird durchschaut. - ...geschlossene oder offene Bürotür?
Wenn die Tür offen ist – und offen meint, sie ist nicht ganz zu – dann sollte der Mitarbeiter auch immer zum Chef gehen können. Es ist aber ratsam, nicht wegen jeder Kleinigkeit vorzutraben, sondern nur bei Dingen, die wichtig sind. - ...Fehler kritisieren oder ansprechen?
Ein Chef muss die richtigen Signale aussenden, damit die Mitarbeiter wissen, dass über Fehler geredet werden kann. In jeder Firma braucht es eine Fehlerkultur. Ein Chef darf nicht sagen: «Dieser Fehler darf nie mehr passieren». Sondern: «Gut, dass du damit zu mir gekommen bist. Warum ist das passiert? Und was müssen wir tun, damit es nicht mehr passiert?»
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