Arbeitslose schuldet plötzlich 29'000 Franken
Zwei Jahre arbeitete eine Frau bei der Just AG im Zwischenverdienst. Der Lohn war so tief, dass jetzt die Arbeitslosenkasse 29'000 Franken zurückverlangt.
Veröffentlicht am 18. Juni 2021 - 14:04 Uhr
Zwei Jahre lang verkaufte Rita Sulzer an Haustüren und auf Märkten die Produkte der Just AG. Ihr Fixlohn: 1500 Franken monatlich, plus 500 Franken Spesen für eine Halbtagstelle im Zwischenverdienst.
«Ich wollte etwas beitragen, nicht nur der Arbeitslosenkasse auf der Tasche liegen», sagt die 63-Jährige. Das kommt sie jetzt teuer zu stehen: Sie soll 28'825.50 Franken an die Kasse zurückzahlen. Sie habe zu einem zu tiefen Lohn gearbeitet und so zu viel Arbeitslosengeld erhalten.
Das ist korrekt: Wer zu einem Dumpinglohn arbeitet, muss die Differenz zu einem branchenüblichen Lohn zurückgeben . Denn Arbeitgeber sollen sich nicht auf Kosten der ALV bereichern können, indem sie sich Billiglöhne subventionieren lassen.
«Ich habe meine Lohnabrechnungen immer eingereicht. Aber jetzt merkt die Kasse plötzlich, dass mein Lohn zu tief war?», ärgert sich Sulzer. «Woher soll ich als Langzeitarbeitslose so viel Geld nehmen?»
Dem Amt zu spät aufgefallen
Beim zuständigen Amt für Arbeit und Wirtschaft Zürich zeigt man sich reuig: Es sei unglücklich, dass man den Fehler so spät festgestellt habe. «Für die entstandenen Umstände und Unannehmlichkeiten entschuldigen wir uns in aller Form.» Die Kasse sei aber verpflichtet, das Geld zurückzufordern. Allenfalls könne ein Erlassgesuch gutgeheissen werden.
Nach eigenen Angaben beschäftigt Just derzeit acht beim RAV gemeldete Mitarbeitende im Zwischenverdienst. Sie alle laufen Gefahr, zu viel bezogenes Arbeitslosengeld zurückzahlen zu müssen.
Für Handelsreisende gibt es keinen Gesamtarbeitsvertrag und keinen Mindestlohn. Das kommt dem Just-Konzern mit 120'000 Mitarbeitenden in 34 Ländern gelegen. In der Schweiz sind 124 Leute im Aussendienst tätig. Auf eine volle Stelle gibt es einen Grundlohn von 3000 Franken plus 1000 Franken Spesen, die aber nicht mitgerechnet werden. Laut Lohnrechner.ch liegt der entsprechende Medianlohn bei über 5000 Franken, auch die untersten 25 Prozent verdienen meist über 4000 Franken.
Von Tieflöhnen will Just-CEO Heinz Moser nichts wissen: «Unsere Verkaufsberater können mit Einsatz und guten verkäuferischen Fähigkeiten sehr attraktive Einkommen erzielen.» Den Grundlohn anheben will er nicht. «Sie erhalten eine garantierte Mindestvergütung und Sozialleistungen, die weit über das Obligatorische hinausgehen.»
Mit einem Zwischenverdienst während der Arbeitslosigkeit können Sie Ihr Einkommen verbessern und neue Beitragszeiten erwerben. Doch auch hier gilt es, gewisse Spielregeln zu beachten. Erfahren Sie als Beobachter-Mitglied, was Ihre Pflichten gegenüber dem RAV bei einem Zwischenverdienst sind.
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6 Kommentare
Dass sich ein Zwischenverdienst für über 60-Jährige nicht lohnen soll, ist sehr stossend. Der Wille zu arbeiten, wird damit stark eingeschränkt. Aber jeder Arbeitgeber darf Mitarbeiter über 60 Jahre ohne grosse Probleme "entsorgen". Da zahlt die ALV dann während Jahren. Hier kommen die Arbeitgeber einfach zu billig weg. Besonders bitter ist es dann, wenn man erfährt, dass der neu eingestellte Mitarbeiter nur 10 Jahre jünger ist aber den höheren Lohn erhält.
ALV oder Ergänzungsleistungen. Es ist immer dasselbe. Das kommt darauf hinaus, dass man immer 120% Leistung bringen muss. Dieses System mit dem Hypothetischen Einkommen ist unsozial. Nicht jeder ist fähig diese Leistung zu vollbringen besonders Frauen, welche auch normalerweise noch einen Haushalt und ev. Kinder zu betreuen haben oder sonst wie einfach nicht die Kraft dazu haben.
«Neben bei: Toll das der neuste Beobachter "BEOBACHTERIN heisst"
Wir leben in einem Scheissreichen Land, wo Geld keine Rolle spielt. Aber die Schwächsten zu Quälen ist schlicht eine Sauerei. Klar die Politik hockt an der Macht und versaut einen grossen Teil unseren Steuern mit unglaublicher Leichtigkeit. Mit dem Grundeinkommen wäre das Problem aber für die meisten Fälle lösbar.
Nach meiner Ansicht müsste man die Kassen ganz genau überprüfen. Oft werden aus unerfindlichen Gründen Gelder verweigert und oder zurückverlangt. Wenn man dann selber mal forscht und im AVIG nachliest, stellt sich heraus, dass sie das so gar nicht dürfen. Der 08/15 Stellensuchende jedoch ist damit überfordert und macht aus "Angst" keine Einsprachen - Ich könnte da einig Beispiele und Geschichten erzählen wie die Willkür in den Kassen grassiert
Kann ich voll und ganz bestätigen. Willkür und Boshaftigkeit sind nicht Einzelerscheinungen, sondern flächendeckend.
Mich als kaufmännischer Fachmann (immer 100% gearbeitet) hat eine RAV-"Beraterin" gezwungen, mich auf eine Stelle im Personentransport (Schüler) 40% zu bewerben. Nach AVIG zulässig. So leicht machen es RAV, ALK (AWA) und IV die Gesetze, die sie sich im Parlament haben abnicken lassen. Werde mit 59 nie mehr eine Arbeit über 40% Pensum oder etwas höher Bezahltes als Buschauffeur bekommen können. Für die Transportbranche, so gross und wichtig in unserer kleinen Schweiz, gibt es nicht einmal einen GAV. Für die 40% erhalte ich einen Stundenlohn von 18.75 brutto. Jede ungelernte, nicht deutsch sprechende Reinigungskraft bekommt mindestens 30 Fr./Stunde.
Die Ungleichheiten sind so hoch wie wohl nirgends sonst in Europa - im wohlhabenden Parlament und den wohlhabenden Stellen in Ämtern in Gemeinde, Kantonen und Bund findet man das gut so...
Eine ausgemachte Frechheit, was sich hier die ALV und Ausgleichskasse leistet.
Von den Arbeitslosen verlangt man Monat für Monat die fristgerechte Einreichung aller Angaben zu Bewerbungen und Zwischenverdienst. Wehe man ist damit verspätet - es drohen sofortige Sanktionen in Form von Taggeldkürzungen.
Versagt jedoch das RAV und die Ausgleichskasse durch Inkompetenz und Schlendrian dreht man den Arbeitslosen auch einen Strick und macht sie für die Versäumnissse der Versicherung haftbar.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur dringend davon abraten einen Zwischenverdienst anzunehmen.
Willigt man ein handelt man sich eine Vielzahl von Nachteilen und Schwierigkeiten ein, wie der Artikel des Beobachters zeigt. Bleibt zu hoffen, dass die Versicherte sich gegen das RAV und ALV erfolgreich zur Wehr setzen kann.
Wie recht Sie haben! Grundsätzlich stelle ich fest, dass sich Betroffene leider immer noch viel zuviel gefallen lassen, sei es aus Unwissenheit und/oder Bequemlichkeit. Die RAV`s sind schon seit Beginn nichts anderes als der unverschämt teure Kontrollarm der ALK`s. Zuviele inkompetente Sachbearbeiter-/innen wälzen Papierberge und haben von Betreuung schlicht keine Ahnung. Solidarität unter den Betroffenen würde mit anwaltschaftlicher Begleitung sehr helfen. Spreche aus früheren Erfahrungen.