«Kontrolle kann destruktiv sein»
Arbeitspsychologin Gudela Grote über die Grenzen der Leistungsüberwachung.
Veröffentlicht am 1. März 2006 - 11:35 Uhr
Beobachter: Stört es Sie, dass Ihre E-Mails, Ihre Internetnutzung, Ihre Telefonate von der ETH protokolliert und ausgewertet werden können?
Gudela Grote: Das wird an der ETH meines Wissens nicht gemacht. Sonst wäre ich, so hoffe ich, darüber informiert worden. Falls die ETH solche Daten trotzdem aufzeichnet und auswertet, würde mich dies aber massiv stören.
Beobachter: In den USA überwachen drei Viertel der Firmen ihre Leute. Ist das in der Schweiz ähnlich?
Grote: Ich vermute nein. Meiner Erfahrung nach gehen in der Schweiz die Unternehmen stärker als in den USA davon aus, dass Arbeitnehmer loyal sind und arbeiten, weil sie es wollen und nicht weil sie kontrolliert werden.
Beobachter: Kann es denn auch Sinn machen, Angestellte zu überwachen?
Grote: Kontrolle ist sinnvoll, wenn Mitarbeiter einsehen, weshalb und wie sie kontrolliert werden, wenn es ihnen hilft, ihre Leistung zu verbessern oder diese – etwa im Hinblick auf Qualifikationsgespräche – besser belegen zu können.
Beobachter: Und wo sehen Sie die Gefahren?
Grote: Die heutigen technischen Möglichkeiten von Überwachung können Arbeitgeber dazu verleiten, nicht mehr die Endresultate anzuschauen, sondern jedes einzelne messbare Detail. Die Illusion der Messbarkeit einer Leistung ist verführerisch. Eine solche Bewertung widerspricht aber einem modernen Management, das auf individuelle und gruppenbezogene Zielvereinbarungen setzt.
Beobachter: Wann wird Überwachung negativ?
Grote: Wenn Mitarbeiter nicht begreifen, weshalb und wofür sie kontrolliert werden. Dann empfinden sie Kontrolle als Schikane, als Ausdruck von Misstrauen. Ein so kontrollierter Arbeitnehmer wird versuchen, Überwachung aktiv zu überlisten. Traut er sich das nicht zu, fühlt er sich ohnmächtig, verliert an Motivation, wird im Extremfall krank.
Beobachter: Solche Fälle liegen uns von Schweizer Unternehmen vor. Beim Callcenter der Credit Suisse etwa werden Mitarbeiter danach bewertet, ob sie im Gespräch dreimal den Namen des Anrufenden nannten, ob sie «Äh» oder «Öh» sagen.
Grote: In solchen Fällen wirkt Kontrolle destruktiv, weil die Angestellten dann mehr Gedanken an die Überwachung verwenden als an die eigentliche Arbeit. Das passiert etwa, wenn jemand sich bei der Beratung auf die «Ähs» und «Öhs» konzentriert statt auf die optimale Beratung eines Kunden.