«Krankhafter Arbeitswahn?»
Ein Job sollte nicht nur Broterwerb, sondern auch Selbstverwirklichung sein. Doch wo hört diese auf und wo fängt krankhafter Arbeitswahn an?
Veröffentlicht am 25. April 2005 - 17:54 Uhr
Frage von Elisabeth F.: Seit die Kinder grösser sind, könnten mein Mann und ich das Leben etwas mehr geniessen. Doch obwohl er bereits eine gute Position in der Firma hat, arbeitet er je länger, je härter. Man arbeitet doch, um zu leben, und lebt nicht, um zu arbeiten.
Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:
So schwarz-weiss sehe ich das nicht. Der Job sollte nicht nur Broterwerb sein, sondern auch bis zu einem gewissen Grad Selbstverwirklichung bedeuten. Daneben dürfen aber für ein erfülltes Leben natürlich auch Beziehungen zum Partner, zur Familie, zu Freunden, zu Kultur und Natur nicht fehlen. Wer anderseits wieder nur für die Freizeit lebt, ist ebenso einseitig wie der Arbeitssüchtige. Von Letzterem, dem Workaholic, spricht man ja schon länger. Damit sind Menschen gemeint, die Stress und Arbeit für ihr seelisches Gleichgewicht genauso brauchen wie der Alkoholiker den Alkohol. Mindestens ebenso verbreitet ist aber auch die Karrieresucht.
Auf den ersten Blick scheint es ganz natürlich, dass Berufstätige ihren Einflussbereich erweitern und mit der Zeit anspruchsvollere Arbeiten übernehmen wollen. Das gehört zum angeborenen Bedürfnis nach Selbstentfaltung. Etwas Krankhaftes bekommt das Phänomen erst in seiner unmässigen Form.
Süchte aller Art sind dadurch charakterisiert, dass sie nicht zur Befriedigung führen. Der Karrieresüchtige wird nie satt. Jede erreichte Stufe weckt nur das Bedürfnis nach einer weiteren Verbesserung. Manchmal endet diese gehetzte Kletterei in einem physischen oder psychischen Zusammenbruch, im Burn-out oder in einem Herzinfarkt – besonders wenn Aufputschmittel wie Kaffee und Zigaretten oder Alkohol zur Pseudoentspannung missbraucht werden. Bei einem plötzlichen Karriereknick oder einem Rückschlag drohen überdies Angst und Depression, schlimmstenfalls sogar Amoklauf oder Suizid.
Karrieresucht hat verschiedene Ursachen. Besonders gefährdet sind Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen. Es ist, als ob sie ihrem Erfolg selbst nicht trauten und deshalb unablässig die nächste Bestätigung suchen müssen. Wer keine präzisen Karriereziele hat, sondern nur diffus «nach oben» will, kommt natürlich ebenfalls nie an und wird sein Leben lang atemlos unterwegs sein. Schliesslich fördern auch das Konkurrenzprinzip und die Wachstumsideologie unserer Gesellschaft die Vorstellung vom grenzenlosen Aufstieg.
Was Sie gegen die Karrieresucht tun können
- Setzen Sie sich klar definierte Karriereziele.
- Nehmen Sie eine Zielerreichung bewusst wahr; ruhen Sie sich auch mal auf den Lorbeeren aus.
- Bauen Sie in Ihre Karriereplanung auch einen Karriereherbst ein, in dem Sie bewusst kürzer treten und sich an den Früchten und der Ernte freuen.
- Gehen Sie der Frage nach, was von Ihnen übrig bliebe, wenn Sie Ihre berufliche Position verlieren würden, und entdecken Sie dabei, dass Sie auch dann noch ein liebenswerter Mensch wären.