Schule ohne Noten – so reagieren Wirtschaft und Eltern
Die Kritik an Schulnoten nimmt zu. Als erste Stadt verzichtet Luzern komplett auf Prüfungsnoten.
Veröffentlicht am 27. Februar 2024 - 16:50 Uhr
Alle Kinder schreiben an einem bestimmten Tag eine Prüfung, und danach gibt es Noten von 1 bis 6: Das wird es in der Stadt Luzern nicht mehr geben. Ab Sommer 2026 schafft sie Prüfungsnoten in der Primarschule ab, ein Jahr später auch in der Oberstufe. Diesen Entscheid gab die Volksschule der Stadt Luzern bekannt.
Es soll zwar weiterhin Zeugnisnoten geben. Während des Schuljahres sollen die Kinder aber in anderer Form Rückmeldungen erhalten. Zum einen durch Feedbackgespräche, aber auch durch Kompetenzraster, Lerntagebücher oder einen Lernkompass – je nachdem, welches Instrument den Lehrpersonen am besten geeignet erscheint für den Austausch mit Kindern und Eltern. Der Lernerfolg werde so gestärkt, heisst es im neuen «Rahmenkonzept Beurteilung» der Volksschule Luzern – weil die Schule stärker auf die einzelnen Kinder eingehen könne.
Noten sind wenig aussagekräftig
Noten werden in der Forschung schon lange hinterfragt. Es ist unbestritten, dass sie wenig aussagekräftig sind und oft eine negative Wirkung auf Kinder und Jugendliche haben. Vor allem Eltern und Ausbildungsfirmen haben sich in der Vergangenheit aber immer wieder für Noten starkgemacht, weil sie die Entwicklung von Schulkindern einfach nachvollziehbar und vergleichbar machen.
Jetzt hat der Wind aber gedreht. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse kritisierte im Februar, dass die Zeugnisnoten den Firmen kaum helfen, passende Lehrlinge zu finden. Und erstmals will auch eine knappe Mehrheit der Eltern Noten für Primarschulkinder abschaffen, zeigt eine vom «Blick» veröffentlichte Studie von Sotomo.
Eltern sehen Noten als Belastung
51 Prozent wollen eine Schule ohne Noten. 54 Prozent der Eltern von Primarschulkindern sehen in Bewertungen und Prüfungen eine Belastung für ihr Kind. Dabei zeigt sich, dass vor allem jüngere Eltern bis 35 Jahre Noten gegenüber kritisch sind (61 Prozent sagen Ja oder eher Ja zur Abschaffung). Eltern über 55 wollen sie grösstenteils beibehalten (nur 26 Prozent sind für eine Abschaffung).
Luzern ist nicht die einzige Stadt, die künftig fast ohne Noten und ohne klassische Prüfungen auskommen will. Die stille Revolution in der Schule , die der Beobachter bereits vor einigen Jahren beschrieb, schreitet in der ganzen Schweiz voran. In den Kantonen Aargau und Bern arbeiten bereits mehrere Schulen ohne Prüfungsnoten, darunter auch Oberstufen.
Lehrplan 21 erfordert andere Beurteilung
Ziel ist es überall, mit neuen Beurteilungsformen die Leistungen genauer und fairer abzubilden und die Kinder und Jugendlichen stärker zu motivieren – ganz im Sinne des Lehrplans 21. «Viele Schulen machen wirklich guten Unterricht, fördern die Schülerinnen und Schüler individuell», sagte Philipp Bucher von der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz vor zweieinhalb Jahren im Beobachter. Bei der Beurteilung aber sei die Reform auf halbem Wege stecken geblieben. «Die Leistungen werden nicht wirklich individuell erfasst.»
Wie umstritten das Thema Noten aber immer noch ist, zeigte sich vor bald einem Jahr im Kanton Zürich. Was die Stadt Luzern jetzt einführt, hat der Kantonsrat dort explizit verboten – gegen den Willen des Zürcher Bildungsrats. Zürcher Lehrerinnen und Lehrer dürfen ab der zweiten Primarschulklasse keine alternativen Bewertungssysteme wie Feedbackgespräche anstelle von Prüfungsnoten einsetzen. Als Grund gab die bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat die Bedürfnisse der Wirtschaft und der Eltern an.
5 Kommentare
Der Schüler braucht über die Noten ein Feedback, sonst weiss er nicht, wo er steht und bleibt orientierungslos, ohne Möglichkeit, sein Schwergewicht und Zeitaufwand bei Bedarf auf andere Fächer mit tieferen Noten zu erkennen und auf diese zu verlagern.
Der Wunsch nach Abschaffung des Notensystem's ist nicht neu. Das gab es schon vor vielen Jahren im Schulsystem der anthroposophischen Schulen.....
Zeit haben und sich nehmen können für Einzelgespräche der Lehrpersonen mit SchülernInnen nach jeweiligen Prüfungen......betreffend Auswertung....etc..ist sehr fragwürdig in der aktuelle Zeit!?
Fragt man die betroffenen Schüler/Innen, dann wollen diese mehrheitlich das optisch klar aussagekräftige "Schul-Noten-System"!
Für wen folglich ist die Abschaffung des "Notensystems"
"wichtig"??
Bildungswesen Schweiz = "zu viele Köche...."
Sorry, das Geschwurbel über welches Merkmal ein Kind beurteilt werden soll ist äusserst mühsam. Eine Note sagt den genauen Wert einer Arbeit, alles andere sind Märchenstunde und Blümchenmethode. Wer scheut sich mehr? Die Lehrerschaft oder die Eltern die Angst haben ihr Kind könnte Schwächen haben? Der Lehrplan 21 gehörts sowieso geschreddert, das bestätigen mir viele bekannte Lehrpersonen.
Sehr geehrter Herr Weber
Leider ist die Realität doch etwas weniger schwarz-weiss. Wenn einen Kind im Beurteilungsbogen alle Lernziele erreicht hat (4) oder sogar übertroffen (5), gibt es im heutigen System immer noch die Möglichkeit eine 3.5 zu vergeben (konkretes Beispiel gerade aktuell).
Was sagt diese 3,5 dan nun genau noch aus?
Hallo Erich,
ich stimme dir absolut zu. Die Benotung von Lernleistungen ist ein komplexes Thema mit verschiedenen Standpunkten.
Beispiel: Ein Kind schafft in einer Stunde 10 Aufgaben, während ein anderes Kind in derselben Zeit nur 5 Aufgaben lösen kann. Beide erhalten am Ende die gleiche Beurteilung, zum Beispiel "erreicht". Wie kann man das dem Kind erklären, das mehr Aufgaben geschafft hat?
Anderes Beispiel: Ein introvertiertes Kind hat in allen Fächern Noten zwischen 5 und 6. Es meldet sich zwar nicht immer im Unterricht, weil es eben verschlossen ist, aber es versteht den Stoff. Im Zeugnis erhält es dennoch die Beurteilung "teilweise erreicht".
Natürlich sehen hier andere Eltern die für die Abschaffung der Schulnoten sind diverse Vorteile.
Zum Beispiel:
- Reduktion von Stress und Druck
- Förderung individueller Lernwege
- Ganzheitliche Beurteilung
Die Nachteile und Gefahren wären:
Subjektivität:
ohne klare Notensysteme können Beurteilungen subjektiver werden. Lehrer könnten Schüler aufgrund persönlicher Vorlieben oder unbewusster Vorurteile unterschiedlich bewerten.
Motivationsverlust:
Für einige Schüler können Noten eine wichtige Motivationsquelle sein. Die Aussicht auf eine gute Note kann Ansporn für Anstrengungen und Engagement sein.
Akzeptanz im Bildungs- und Berufsweg:
Noten sind oft wichtige Kriterien für die Zulassung zu weiterführenden Schulen oder Universitäten sowie für Bewerbungen im Berufsleben. Ohne Noten könnte es schwieriger werden, Schüler für diese Wege zu qualifizieren.
Vergleichbarkeit und Transparenz:
Schulnoten bieten eine einfache und standardisierte Methode, um die Leistungen von Schülern zu vergleichen. Ohne Noten könnte es schwieriger werden, die Leistungen transparent und nachvollziehbar darzustellen.
Gefahren falscher Beurteilungen
Wenn ein Kind in der Schule falsch beurteilt wird, obwohl es im normalen Leben andere Fähigkeiten zeigt, können folgende Gefahren bestehen:
Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein:
Eine falsche schulische Beurteilung kann das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein eines Kindes negativ beeinflussen. Kinder könnten an ihren Fähigkeiten zweifeln und ein geringes Selbstbewusstsein entwickeln.
Zukunftschancen:
Falsche schulische Beurteilungen können die Zukunftschancen eines Kindes beeinträchtigen. Schlechte Noten oder Bewertungen könnten den Zugang zu weiterführenden Schulen, Universitäten oder bestimmten Berufen erschweren.
Motivationsverlust:
Kinder, die sich in der Schule falsch beurteilt fühlen, könnten die Motivation verlieren, sich anzustrengen oder ihr Potenzial auszuschöpfen. Dies könnte zu einer Abwärtsspirale in Bezug auf ihre schulische und persönliche Entwicklung führen.
Fehlende Förderung:
Falsche Beurteilungen könnten dazu führen, dass Talente und Stärken eines Kindes nicht erkannt und gefördert werden. Dadurch könnten wertvolle Entwicklungsmöglichkeiten ungenutzt bleiben.