«Die Forelle mag mich nicht»
Alain Blumer, 46, ist in Luzern eine Touristenattraktion. Mit seinem Unterwasserbagger Marke Eigenbau trägt er das Flussbett der Reuss ab. Da staunen sogar die Fische.
Veröffentlicht am 1. März 2010 - 10:39 Uhr
Sechs Grad kalt ist die Reuss momentan – das ist gar nicht gut für mein Rheuma. Eigentlich fliegen Taucher ja zu dieser Jahreszeit in die Karibik. Aber das ist nichts für mich. Meine Leidenschaft gehört den Seen, wo das Wasser kühl und trüb ist – je mystischer die Unterwasserwelt, desto besser. Lieber habe ich es als Bautaucher streng, als mich als Tauchlehrer mit affigen Touristen herumzuschlagen – da drehst du doch durch!
Morgens um acht Uhr steige ich in die Reuss, um mit meinem Unterwasserbagger das Flussbett abzutragen – für den Hochwasserschutz. Zugleich mit dem Ausbau des Wehrs ersetzen wir alte Stahlstützen einer Brücke und beseitigen riesige Eichenstämme, die vor zig Jahren in den Grund getrieben wurden und nun unerwartet zum Vorschein kamen.
In drei Jahren gibt es einen solchen Bagger vermutlich fixfertig zum Kaufen. Noch ist meiner aber ein Unikat, Marke Eigenbau. Ich bin echt stolz, weil er sich bestens bewährt. Ich kann baggern, schneiden, spitzen und mich dabei wie eine Spinne über das Flussbett bewegen. Nur drei Wochen habe ich gebraucht, um einen alten, konventionellen Bagger unterwassertauglich zu machen. Am schwierigsten war, dass sich das Hydrauliköl nicht mit Wasser vermischt. Dann finge das Öl an zu schäumen, und du kannst aufhören. Motor und Pumpen sind über Wasser auf einer schwimmenden Plattform, von der aus die Arbeiten überwacht werden. Für die Hydraulik verwende ich abbaubares Bio-Öl.
Ein Witz, dass ich nicht schon früher auf diese Idee gekommen bin! Normalerweise bedeuten solche Aufträge für Bautaucher nämlich knallharte Knochenarbeit. Die tonnenschweren Steine, die hier als Strömungsschutz versenkt worden sind, hätten von Hand ausgespült, angebohrt, mit Haken versehen und dann einzeln herausgehievt werden müssen. Schlimmer noch wären die Holzpfähle gewesen; ausgraben, abtrennen, ausgraben, wieder abtrennen machen Sie das mal einen Tag lang, im Taucheranzug, fünf Meter unter Wasser, bei der Strömung! Da ist es schöner, ein bisschen in der Kabine zu sitzen und zu baggern – auch wenn keine Scheiben mehr drin sind; die hat das Wasser rausgedrückt. Um nicht davonzutreiben, schnalle ich mich am Stuhl fest. Und am Körper hängen 20 Kilo Blei. Das gibt Bauchmuskeln!
Am meisten zu schaffen machen mir die Kälte und die Feuchtigkeit. Irgendwo gibt es immer eine Stelle, wo Wasser eindringt und an den Knochen nagt. Nach eineinhalb Stunden muss ich raus. Dann löst mich ein Kollege ab. Wenn du rauskommst, sind die Lippen aufgeschwollen und die Hände so klamm, dass du allein nicht mehr aus dem Neoprenanzug kommst.
Jetzt studiere ich an einem Unterwassertransporter herum, eine Art U-Lkw müsste es sein. Den könnten wir zum Abtransport des Schutts brauchen. Maschinen umbauen, konstruieren: Das liebe ich. Drei Unterwasserroboter habe ich schon entwickelt – alle funktionieren. Wie mein selbstreinigendes Katzenkistchen. Wenn man zu einer Frau nach Hause eingeladen wird und es stinkt nach Katzenkacke, da vergeht einem doch die Lust!
Ingenieurswissen brauche ich beim Umsetzen meiner Ideen nicht. Nicht, dass ich etwas gegen diese Zunft hätte. Bis ein Ingenieur alles durchgerechnet hat, habe ich schon den dritten Prototyp gebaut und gesehen, was funktioniert.
Ich bin gelernter Automechaniker. Als Bub hatte ich immer ein frisiertes Töffli. Mit 14 habe ich mal Vaters Opel Manta «ausgeliehen» und bin damit zur Schule gefahren. Ich hatte mich in die Lehrerin verknallt und wollte ihr imponieren. War keine gute Idee. Die Autoprüfung durfte ich dann erst mit 20 machen. Die Lehrer meinten sowieso, aus dem Alain werde nichts Gescheites. Fast hätten sie recht behalten.
In meinem Leben schien nicht immer die Sonne. Aber ich habe mich immer irgendwie durchgewurstelt, ob als Flugzeugmechaniker im venezolanischen Busch oder als Bauunternehmer in Albanien. Dort haben sie mir ganz schön das Fell über die Ohren gezogen – also zuerst ich ihnen, dann sie mir. Auf alle Fälle musste ich das Land Hals über Kopf verlassen und stand dann weinend und völlig mittellos in Kloten am Flughafen. Autos, Motorrad, Lastwagen: Alles musste ich in Albanien lassen. Beim Neuanfang in der Schweiz war mir meine Freundin, die nun auch die Chefin unserer Firma ist, eine enorme Hilfe – und natürlich profitierte ich von meinem Improvisationstalent, meinem technischen Geschick – und meiner Taucherfahrung.
Mit 16 habe ich mit dem Tauchen angefangen, am Alpnachersee, wo ich aufgewachsen bin. Ich war schon immer ein so schlechter Schwimmer, dass ich mich kaum über Wasser halten könnte – ausser mit Flossen. Ich tauchte nach allerlei Zeugs, war ein Schatzsucher. Das Skurrilste, was ich gefunden habe, ist ein altes Ritterschwert. Das steckte in 30 Metern Tiefe senkrecht im Boden.
Beim Baggern in der Reuss kommen mich ab und zu die Felchen besuchen. Sie stehen bei mir in der Kabine und warten, bis ich den Boden für sie kehre. Dann stürzen sie sich auf die aufgewirbelten Larven. Eine Seeforelle gesellte sich auch eine Zeitlang zu mir. Doch die mochte mich nicht. Sie wollte unbedingt dort laichen, wo ich baggerte. Dreimal hat sie mich angegriffen und ihr Gebiet verteidigt – irgendwann hat sie eingesehen, dass sie den Kürzeren zieht.
Früher habe ich ab und zu einen schönen Fisch gefangen und auf der Plattform in einem alten Fass geräuchert. Aale zum Beispiel, die sich beim Schweissen unter Wasser zu nah an uns herangewagt hatten. Bei jedem Stromschlag hat es sie gestreckt wie ein Spazierstock. Irgendwann merkte ich, dass beim Tauchen immer dann etwas schiefging oder ich fast ersoffen wäre, wenn ich mir zuvor einen Fisch geschnappt hatte. Seither lasse ich das. Die Fische und ich sind jetzt Freunde. Ist besser so.