Mehr Frauen in Führungspositionen? Das ist nicht nur möglich, sondern auch im Interesse der Unternehmen, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco in einer Mitteilung schreibt: Die jüngsten Statistiken zeigten, dass in der Schweiz Frauen in Führungspositionen immer noch untervertreten sind. Die Situation habe sich seit rund zehn Jahren nicht wesentlich verbessert. Dabei zeigten mehrere Untersuchungen, dass ein ausgewogener Frauenanteil an der Firmenspitze massgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg beiträgt, so das Seco weiter.
Das Seco hat nun eine Sammlung von «good practices» für Wirtschaftskreise veröffentlicht. Die Initiative wird vom Schweizerischen Arbeitgeberverband und vom Schweizerischen Gewerbeverband unterstützt. Die Sammlung «Frauen in Führungspositionen: so gelingts» zeigt, wie es Unternehmen unterschiedlicher Grösse gelungen ist, ihren Frauenanteil zu erhöhen. Die Unternehmensverantwortlichen bestätigen die Notwendigkeit, auf Frauen zu setzen, und zeigen, wie es funktioniert.
Die Direktoren des Schweizerischen Arbeitgeberverbands und des Schweizerischen Gewerbeverbands, Thomas Daum und Hans-Ulrich Bigler unterstützen die Initiative. Thomas Daum betont, die Unternehmen müssten sich bewusst werden, dass sie in ihren Leitungsorganen nicht auf Frauen verzichten können, und wünscht sich ein gezieltes Engagement der Unternehmensspitze und eine grundlegende Änderung der Unternehmenskultur und des strategischen Denkens. Hans-Ulrich Bigler ermutigt die KMU, ihre Stärken in diesem Bereich, wie den direkten Kontakt und die unmittelbare Erkennbarkeit von Talenten, systematischer auszuspielen, um den Wettbewerb um die besten Leute zu gewinnen. (Seco)
Download Publikation «Frauen in Führungspositionen: so gelingts» (Pdf, 2475 kb)
Es gibt Unternehmen von gestern und Unternehmen von morgen. Die von gestern haben kaum Frauen im Management, kennen keine flexiblen Arbeitszeiten, geführt wird autoritär, Überstunden sind eine Frage des Prestiges. In Unternehmen von gestern gibt es neben dem Job kaum Zeit fürs Privatleben. Renato Grassi, 34, Betriebsökonom, arbeitete in solchen Unternehmen. Er ist ein zurückhaltender, höflicher Mensch, der selten absolut wird, über solche Betriebe aber sagt er: «Dorthin will ich nicht geschenkt zurück.»
Jetzt arbeitet er in einem Unternehmen von morgen, als Projektleiter im Marketing. Dunkler Flur, altes Mobiliar, Büros, die wie Abstellkammern aussehen – doch der Schein trügt. Hier, an der Geschäftsstelle des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) mitten in der Berner Altstadt, einem KMU mit 62 Mitarbeitern, findet die Zukunft der Arbeitswelt statt.
Was heisst Zukunft? Dass der Geschäftsleiter jeden Montag seinen Kinder- und Homeworknachmittag macht. Dass Renato Grassi bereits bei seinem Einstellungsgespräch vor zwei Jahren sein Bedürfnis nach Teilzeitarbeit anmelden konnte, ohne schiefe Blicke zu kassieren. Dass er mitten am Nachmittag mit seiner Tochter zum Kinderarzt kann. Dass Grassis Teamkollege bezahlten Kurzurlaub bekam, um seine betagte Mutter zu pflegen, die plötzlich krank geworden war. Eigentlich ist es ganz einfach: Unternehmen von morgen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Lebensrealität der Mitarbeitenden in den Arbeitsalltag integrieren. Während in den Unternehmen von gestern das Leben neben dem Job keine Rolle spielt.
Grassis Lebensrealität sieht so aus: Vor drei Monaten wurde er Vater einer Tochter. Noch bleibt seine Freundin zu Hause, bald möchte aber auch sie wieder zurück in den Job. Seit Anfang dieses Jahres arbeitet er 80 Prozent. Wenn er will, kann er einen Tag von zu Hause aus arbeiten, die Technologie dafür führte der Verkehrs-Club bereits 2008 ein.
In den Unternehmen von morgen herrscht eine Atmosphäre des Vertrauens, ein Führungsstil des Miteinanders. Natürlich ist all das nicht zufällig so gekommen. Die Zukunft braucht eine Strategie, braucht Architekten, die Pläne erstellen für eine neue Unternehmenskultur und diese Pläne auch umsetzen. Beim VCS heissen die Architekten Hans Wyssmann und Mireille Grädel. Wyssmann, 55, hagere Statur, imposanter Lockenkopf, ist der Personalleiter und arbeitet seit 1990 im Unternehmen. «Von Anfang an Teilzeit, weil ich Kinder habe», betont er. Mireille Grädel ist 35 und stieg 2007 als Verbandsmanagerin und Gleichstellungsbeauftragte beim VCS ein, eine zierliche Person mit dem Händedruck eines Holzfällers. Sie arbeitet ebenfalls Teilzeit und ist alleinerziehende Mutter eines 14-jährigen Sohnes.
Lohnunterschiede in der Schweiz
Das Bundesamt für Statistik publizierte am 24. Februar aktuelle Zahlen zur Gleichstellung von Frau und Mann in der Schweiz.
- Wie es sich in den Kantonen mit den Lohnunterschieden zwischen Frau und Mann verhält, entnehmen Sie dieser Karte.
- Die Erwerbstätigkeit der Frauen unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht von jener der Männer, so zum Beispiel in Bezug auf den Beschäftigungsgrad und die berufliche Stellung. Zudem ist die Erwerbsquote der Frauen niedriger als jene der Männer, die Erwerbslosenquote ist hingegen höher. Neu berechnete Indikatoren der Gleichstellung von Frau und Mann im Bereich Erwerbstätigkeit finden Sie hier.
Die Zukunft heisst beim VCS offiziell Familienfreundlichkeit, aber eigentlich kann man das genauso gut Menschenfreundlichkeit nennen. Davon profitieren nicht nur Frauen, sondern auch Männer wie Renato Grassi. Und: Dahinter steckt nicht nur Gutmenschentum, sondern durchaus auch Eigennutz. Als Non-Profit-Unternehmen kann der VCS potentielle Arbeitnehmer nicht mit Spitzenlöhnen oder schnurgeraden Karrierewegen locken. «Trotzdem sind wir dank unseren attraktiven Arbeitsbedingungen konkurrenzfähig», sagt der Personalleiter.
Die Rechnung geht auf. «Wir haben Topleute und niedrige Fluktuation», so Wyssmann. Sprich: Während es in anderen Unternehmen oft vorkommt, dass Frauen nach der Geburt des Kindes für immer aussteigen, kehren sie beim VCS zurück. «Wir wollen nicht auf unsere gut qualifizierten Mitarbeiterinnen verzichten.» Der höhere Koordinationsaufwand, den flexible Arbeitsmodelle und Teilzeitpensen mit sich bringen, wird durch die Zufriedenheit und Motivation der Angestellten wettgemacht.
Vor einigen Jahren bewarb sich Wyssmann mit dem VCS bei der Fachstelle UND. Diese berät Unternehmen, die ihren Angestellten eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bieten wollen. Und sie vergibt das Prädikat «Familie UND Beruf» an familien- und frauenfreundliche Betriebe. Soeben verlieh die Fachstelle es dem VCS zum zweiten Mal. Die Frauenquote von 40 Prozent auf allen Führungsebenen, die Wyssmann bereits 1994 anstrebte, ist nun tatsächlich erreicht. Grädel sorgt als Gleichstellungsbeauftragte dafür, dass das Thema «dauerpräsent» ist. Teilzeitarbeitende können sichergehen, dass sie dieselben Entwicklungsmöglichkeiten haben wie die Kollegen, die 100 Prozent arbeiten.
Noch sind Betriebe wie der VCS, die bewusst auf Work-Life-Balance und Gleichstellung setzen, in der Minderheit. Doch: «Die Arbeitswelt ist gerade daran, sich grundlegend zu wandeln», sagt Daniel Huber, Geschäftsführer der Fachstelle UND. Nicht nur kleine und mittlere Unternehmen würden sich bei ihnen melden, sondern auch immer mehr grosse Konzerne, auch aus der männerlastigen Banken- und Versicherungsbranche.
Was den VCS und die anderen Betriebe von morgen auszeichnet, nannte die «Zeit» kürzlich in einem Artikel «Die Methode Frau». Denn der Anstoss für den Wandel in der Arbeitswelt kommt, obwohl letztlich alle davon profitieren, von den Frauen.
Eine repräsentative Studie der deutschen Zeitschrift «Brigitte» und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung fand 2009 heraus, dass junge Frauen einerseits mehr Macht und Verantwortung im Beruf wollen, dass sie aber anderseits nicht bereit sind, für den Job die Familie zurückzustellen. Frauen wollen Verantwortung übernehmen. Aber sie haben die Nase voll vom Anwesenheitskult, der immer noch in vielen Unternehmen herrscht.
Das amerikanische Families and Work Institute widmet sich seit den Achtzigern dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Resultate einer Studie von 2008: Drei Viertel der arbeitstätigen Frauen wünschen sich flexiblere Arbeitsbedingungen; die Hälfte will weniger Stunden arbeiten; mehr als die Hälfte will mehr Freizeit statt mehr Lohn; 65 Prozent sind der Meinung, dass sie nicht genügend Zeit für ihre Partner haben; 74 Prozent sagen, dass sie nicht genügend Zeit für ihre Kinder haben.
Die Frauen haben registriert, dass die Wirtschaft sie braucht. Unternehmen können es sich immer weniger leisten, den Forderungen der Frauen nicht nachzugeben. Diese Erkenntnis ist neu und wird den Wandel in der Arbeitswelt vorantreiben.
25. Januar 2011, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young gibt die Resultate ihrer neusten KMU-Studie bekannt – alles gut, einziger Dämpfer: Fast drei Viertel der KMU hätten Schwierigkeiten, qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Mehr als die Hälfte der Unternehmen befürchte deshalb Umsatzeinbussen. Der Schweizer Wirtschaft entgingen durch den Fachkräftemangel hochgerechnet jährlich vier Milliarden Franken an Einnahmen.
Dagegen hilft nur, was Jürgen Kluge, ehemaliger Direktor des deutschen Ablegers der Beratungsfirma McKinsey, so formulierte: «Liebe Kollegen, lassen Sie mehr Frauen ran!» Und: «Die demographische Entwicklung lässt uns gar keine andere Wahl, als auf die vielen gut ausgebildeten Frauen zu setzen, um den sich abzeichnenden Fachkräftemangel zu kompensieren.»
Auch an einer anderen Tatsache kommt die Wirtschaft in Zukunft nicht mehr vorbei: Ein hoher Frauenanteil in Führungspositionen bringt ökonomische Vorteile. Das belegen seit Jahren immer wieder internationale Studien. Etwa die McKinsey-Studie «Women Matter 1» aus dem Jahr 2007. Deren Fazit: Ein hoher Frauenanteil an der Spitze steigert den Gewinn eines Konzerns. Ein Jahr später kommt McKinsey in der Folgestudie «Women Matter 2» zum Schluss, dass das vor allem «im unterschiedlichen Führungsstil der Frauen begründet» liegt. Besonders diese drei weiblichen Führungspraktiken kämen Unternehmen zugute: Mitarbeiterentwicklung, Inspiration, Mitbestimmung. Während die von Männern favorisierten Führungsmethoden «Kontrolle» oder «individualistische Entscheidungen» keine Erfolgsgaranten mehr seien.
Unternehmen von morgen wie der VCS werden keine Mühe haben, weibliche Führungskräfte für sich zu gewinnen. Unternehmen von gestern schon. Sie werden umdenken müssen. «Verbesserung des Umfelds» nennt Jürgen Kluge das. Er rät diesen Firmen, sich mehr um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu kümmern. «Flexible Arbeitsmodelle, Home-Office-Regelungen und eine aktive Förderung des Wiedereinstiegs nach der Erziehungszeit gehören zu den wichtigsten Massnahmen.»
Ist das nicht alles ein wenig übertrieben? Ist es wirklich so schlimm als Kaderfrau in einem Unternehmen von gestern? Georgette Weinberger* schaudert es noch heute. Die Mittfünfzigerin war viele Jahre geschäftsführende Direktorin einer Schweizer Grossbank, arbeitete in London und New York, hatte mehrere hundert Mitarbeiter unter sich. Zwölfstundentage, Siebentagewochen, keine Zeit für Ferien und Freundschaften. «Es gab Zeiten, da erbrach ich mich morgens, bevor ich zur Arbeit ging», sagt sie. Sie muss nur daran denken, schon zündet sie sich wieder eine Zigarette an, inhaliert heftig. «So weit oben bist du als Frau immer allein unter Männern. Die geben dir ganz bewusst das Gefühl, dass du in ihrem Klub unerwünscht bist.» Sie lacht ihr raues Raucherlachen. Trotz allem liebte sie ihren Job, war ein Arbeitsjunkie. Vor einigen Jahren liess sie sich frühpensionieren, weil sie nicht mehr konnte.
Weinberger sass auch im Beförderungskomitee der Bank, als einzige Frau. Während die Männer in der Runde ihre Ziehsöhne pushten, brachte sie nur selten eine Frau durch. Die meisten Frauen, sagt Weinberger, kämen gar nicht dorthin, von wo man sie ganz nach oben hieven könnte. «Sie werden im unteren Kader abgeklemmt.» Viele verzichten wohl auch freiwillig, weil sie ahnen, was ihnen als Frau an der Spitze blüht. Weinberger erzählt von Sitzungen, zu denen sie nicht eingeladen wurde. Von wichtigen Informationen, die ihr bewusst vorenthalten wurden. «Als Frau wirst du ständig hinterfragt und musst dich immer neu beweisen.» Es gebe nur eines, sagt Weinberger, und das ist die Frauenquote.
40 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts hat die Schweiz zwar seit letztem Jahr vier Bundesrätinnen, aber die Wirtschaft ist immer noch Männerdomäne (siehe Grafik 1 in der Bildgalerie). 2010 betrug der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Unternehmen vier Prozent. Nur drei der 100 Unternehmen wurden von einer Frau geführt.
Warum dauert es so lange, bis sich die Zukunft in der Wirtschaft eingerichtet hat? Wieso nutzen Unternehmen das Potential der Frauen nicht stärker? Erster Teil der Antwort: weil es Männer sind, die darüber entscheiden. Daniel Huber von der Fachstelle UND, die für Unternehmen eine familienfreundliche Personalpolitik ausarbeitet, hat beobachtet, dass «das unbewusste Festhalten an Macht und Einfluss ein sehr grosses Hindernis» ist.
Beim zweiten Teil der Antwort wird es schwieriger. Frauen stehen sich oft selbst im Weg. Wissenschaftliche Experimente haben ergeben, dass zwei Fünftel der Männer am Anfang ihrer Karriere schon den Chefposten wollen, hingegen nur ein Fünftel der Frauen. Aber eben: nicht weil es sich die Frauen nicht zutrauen würden, sondern weil sie sich nicht anpassen wollen an eine nach männlichen Kriterien konstruierte Arbeitswelt.
So wird systematisch ein Teil der Talente vergrault. Deshalb erlebt auch das Instrument der gesetzlichen Frauenquote ein Revival – die Europäische Kommission will grossen Unternehmen in ganz Europa verbindlich vorschreiben, wie hoch die Anzahl von Frauen in ihren Vorständen künftig sein soll. Konkrete Vorschläge sind für April angekündigt. «Frauen an der Führung von Unternehmen zu beteiligen ist generell gut, nicht nur weil das gerechter ist, sondern auch weil es zu einer besseren Ausgewogenheit der Entscheidungen führt», sagt Michel Barnier, der innerhalb der Europäischen Kommission für Regeln zur guten Unternehmensführung und damit auch für Quoten zuständig ist.
In einer Umfrage des Wirtschaftsmagazins «Bilanz» vom letzten Jahr unter 22 Unternehmerinnen, Managerinnen, Verwaltungsrätinnen und Professorinnen befürworteten nur zwei Frauen klar eine solche Quote. Alice Stümcke, Chefin der Möbelmarke De Sede, und Inga Beale, Mitglied der erweiterten Konzernleitung der Zurich Financial Services, haben die Hoffnung aufgegeben, dass sich die chronische Untervertretung der Frauen im Topmanagement von selbst behebt. Alle anderen halten die Quote für «diskriminierend» (Kommunikationsprofi Beatrice Tschanz), oder sie sind dagegen, «weil Frausein kein qualifizierender Faktor ist» (Carol Franklin, Ombudsfrau Postfinance), weil sie nicht mit dem Stempel «Quotenfrau» rumlaufen wollen (Ida Hardegger, Unternehmerin und Mitglied von Verwaltungsräten), weil «der Markt spielen soll» und nicht ein Gesetzesdiktat (Katja Gentinetta, stellvertretende Direktorin von Avenir Suisse).
So denkt auch Monika Bütler. Die 49-Jährige ist jemand, die sich in der Arbeitswelt von gestern arrangiert hat. Und die es als Frau in der männerdominierten Wirtschaftswelt geschafft hat: Sie ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, einer der traditionellsten Hochschulen der Schweiz. Nur knapp ein Drittel der Studenten ist weiblich, der Frauenanteil unter den Professoren liegt bei rund zehn Prozent. Der Durchschnitt an Schweizer Universitäten beträgt 16 Prozent. Bei ihrer Berufung 2004 sei sie sehr gut aufgenommen worden, sagt sie. «An der Volkswirtschaftlichen Abteilung der Uni St. Gallen ist Frausein kein Thema.» Sie meint das als Kompliment.
Bütlers – da sind noch zwei Söhne, 8 und 6, und der Mann, ebenfalls Professor – wohnen in einem alten Haus mit Garten. Drinnen herrscht chaotische Gemütlichkeit, überall liegen Spielsachen herum, im Kamin hinten im Wohnzimmer knackt das brennende Holz. An diesem Abend in der geräumigen Wohnküche wirkt Monika Bütler die ganze Zeit irgendwie belustigt. Als könne sie dieses Brimborium um das Thema Frau und Beruf nicht richtig nachvollziehen.
Eine Frau, die wirklich hochkommen will, kann es schaffen, so sieht sie es. Und so hat sie es ja auch gemacht. Sie hat sich in der Männerwelt der Wirtschaft behauptet. Bütler stört sich am «Teilzeitdenken» der jungen Frauen von heute. Sie sieht ihre Studentinnen, sie sieht, wie die sich ihre Zukunft ausmalen: Teilzeitjob, daneben Kinder, der Gatte selbstverständlich mit Vollzeitstelle. Sie wundert sich. «Dieses Teilzeitdenken ist doch eine Falle. Damit verbauen sich die Frauen ihre Karriere, bevor sie angefangen hat.»
Als Akademiker können Monika Bütler und ihr Mann ab und zu daheim arbeiten. Wenn die Kinder von der Schule kommen, ist immer jemand da. Auch am Mittwochnachmittag, dem Familiennachmittag. Sie haben eine Haushälterin, die putzt und einkauft, manchmal kocht oder die Kinder von der Schule abholt.
Beides zugleich – Karriere und Kinder – hat sich Monika Bütler lange nicht zugetraut. «Für so etwas gab es keine Vorbilder.» Sie selbst ist jetzt Vorbild für die jüngere Generation in der Wirtschaft. Sie arbeitet voll, in ihrem Job sei das auch gar nicht anders möglich. Sie will den jüngeren Wissenschaftlerinnen zeigen, dass es geht, auch ohne Teilzeit, weil das Wichtigste sowieso der Partner ist. Ein Partner, der mithilft und mitdenkt – wenn das gegeben ist, schafft es eine Frau, Beruf und Familie zu verbinden – auch in der Arbeitswelt von gestern.
Vielleicht kann man Bütlers Haltung am besten so beschreiben: Sie versucht, die Arbeitswelt selber zu gestalten und Kompromisse einzugehen, wo nötig. Die Familie ist für sie aber das Wichtigste, auch wenn sie beruflich stark engagiert ist.
Sollen Unternehmen bessere Arbeitsbedingungen schaffen, oder will man es dem Zufall, dem Glück, der persönlichen Initiative der Arbeitnehmer überlassen? Es geht um diese Frage. Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise ist vielen klar, dass der abgehobene, vom Leben abgeschnittene Manager auch ein wirtschaftliches Risiko darstellt. «Der zeitliche Einsatz, der von Managern eingefordert wird, lässt eine ernsthafte Beziehung zu Menschen ausserhalb der Firma nicht mehr zu», schreibt Klaus Schweinsberg, Autor des Buchs «Sind wir noch zu retten? Warum Staat, Markt und Gesellschaft auf einen Systemkollaps zusteuern». Und weiter: «Das ist ein Problem. Unsere Wirtschaftselite hat jede Bodenhaftung verloren. Ihr fehlt es schlicht an Verständnis für die Belange der Mitarbeiter und unserer Gesellschaft.»
Aber auch in der Topliga der Grosskonzerne gibt es ein Umdenken. Der Pharmakonzern Novartis begann bereits vor vielen Jahren damit, die Arbeitsbedingungen familienfreundlicher zu gestalten. Weil er erkannt hatte, dass ihm sonst die besten Arbeitskräfte durch die Lappen gehen würden. Am Hauptsitz in Basel arbeiten Menschen aus 90 Nationen, viele sind jung, haben Familie und werden von der Pharmaindustrie umworben. Valerie Gürtler, Leiterin des Bereichs Diversity & Inclusion, sagt: «Damit die Toptalente nach Basel kommen, muss man attraktive Bedingungen schaffen.»
Bei Novartis gibt es nebst Gleitzeitarbeit flexible Arbeitsmodelle wie Teilzeit oder die Möglichkeit, gewisse Arbeiten von zu Hause aus zu erledigen, oder Jobsharing-Modelle. Novartis hat eigene Kindertagesstätten und organisiert unter anderem ein Sommerferienlager für Kinder. Es gibt Stillräume, Kinder- und Ausbildungszulagen sowie viele weitere familienfreundliche Angebote. So können Mütter wie auch Väter nach dem Mutterschafts- beziehungsweise Vaterschaftsurlaub noch ein Jahr unbezahlte Ferien dranhängen.
Nicht umsonst zählt Novartis seit Jahren zu den beliebtesten Arbeitgebern in der Schweiz. Bei all den familienfreundlichen Massnahmen geht es dem Konzern aber auch immer darum, mehr Frauen ins Unternehmen zu locken. «Entscheidungen in Gesundheitsfragen treffen mehrheitlich Frauen», sagt Gürtler. «Um deren Bedürfnisse besser zu verstehen, brauchen wir unbedingt mehr Frauen im Unternehmen.» Seit 2000 entstanden bei Novartis mehrere auf Frauen zugeschnittene Mentoring- und Netzwerkprogramme, um weibliche Führungskräfte zu fördern, aber auch um Antworten zu liefern auf deren drängendste Frage: «Wie kann ich vorwärtskommen, ohne Lebensqualität zu verlieren?» Inzwischen beträgt der Frauenanteil im Management 32 Prozent, im oberen Kader 19. Seit Jahren erzielt Novartis starke finanzielle Ergebnisse, letztes Jahr stieg der Reingewinn um 18 Prozent auf eine Rekordhöhe von zwölf Milliarden Dollar.
Valerie Gürtler arbeitet bereits seit 27 Jahren im Konzern, immer Vollzeit, auch als ihre Tochter noch klein war. Damals hatten sie und ihr Mann, der auch 100 Prozent arbeitet, ein ehernes Gesetz: «Um 18 Uhr war bei uns Feierabend.» Kind und Job unter einen Hut zu bringen sei für sie nie ein Problem gewesen, das ging auch ohne flexible Arbeitszeitmodelle, die es damals offiziell noch nicht gab. «Ich hatte einen tollen Chef.
Dem war egal, wo und wann ich meine Arbeit erledige», sagt sie. Sie arbeitete oft zu Hause oder abends, als die Kleine im Bett war. Genau das sei für Frauen auch heute noch am wichtigsten: «Kontrolle über ihre Zeit.» Wenn man Gürtler fragt, wie sich die Unternehmenskultur verändert hat, seitdem sich Novartis um Frauen und Familienfreundlichkeit bemüht, sagt sie: «Präsenzzeiten sind weniger wichtig geworden, das ist ein kultureller Wandel, den wir durchlaufen. Heute zählt vorwiegend das Resultat.»
Was passiert, wenn Frauen ihre Arbeitszeit selbst gestalten können, sieht man am Beispiel von Viviane Braxton und Christina Panizzon. Beide sind 34 und arbeiten als Kommunikationsmanagerinnen in der Personalabteilung von Novartis. Als Panizzon 2008 ihr erstes Kind erwartete, vertrat Braxton sie während des Mutterschaftsurlaubs. Braxton, selbst Mutter von zwei kleinen Kindern, übernahm 60 Prozent der Vollzeitstelle. Panizzon wollte nach ihrem Urlaub am liebsten in ein Teilzeitpensum zurückkehren. Sie schlug ihrer Vorgesetzten vor, ihre Vollzeitstelle mit jemandem zu teilen. Jetzt arbeiten die beiden Frauen im Jobsharing, Braxton behielt die 60 Prozent, Panizzon übernahm die restlichen 40.
Beide sind mit der Situation «absolut happy» und können sich ihre Arbeitszeit nach Absprache im Team relativ flexibel einteilen. Braxton zum Beispiel kommt morgens bereits um halb sieben, geht aber dafür etwas früher. Auch wenn die Vereinbarkeit von Job und Kindern immer ein Balanceakt ist – zur Zerreissprobe wird dies für sie nicht, weil selbst die Chefin Kinder hat und nur 60 Prozent arbeitet. Wichtig ist auch das: Panizzon und Braxton wissen, dass das Jobsharing keine Sackgasse ist. Wenn sie wieder mehr arbeiten oder eine Weiterbildung machen wollen, wenn sie Lust auf einen Karrieresprung haben, können sie ihre Wünsche im regelmässig stattfindenden «Entwicklungsgespräch» anmelden. Die beiden strahlen.
Es gibt zwei Meinungen, wenn es um die Frage geht, wie mehr Frauen an die Macht kommen. Die einen behaupten, sie müssten halt die Regeln der Businesswelt akzeptieren und mitspielen. Teilzeit gilt da bereits als Regelverstoss, und strahlende Gesichter sind sowieso Nebensache. Das ist die Meinung, die seit Jahrzehnten herrscht. Die anderen finden, die Spielregeln müssen sich ändern. Novartis denkt so und auch der VCS. Am Schluss geht es darum, was man sich unter produktiver Arbeit vorstellt. Der Wandel in der Arbeitswelt ist auch ein Abschied von der Idee, dass gute Arbeit immer Raubbau ist, stressig und anstrengend wie ein Marathon. Die neue Arbeitswelt setzt auf strahlende Gesichter.
Eines wie das von Sandro Crameri. Der 38-Jährige ist als Process Manager in der Personalabteilung von Novartis zuständig für alle befristeten Arbeitsverträge. Seine Frau ist hochschwanger, das Kind könnte jederzeit kommen, es ist das zweite. Seit der Geburt des ersten Kindes vor drei Jahren arbeitet Crameri 90 Prozent. Den freien halben Tag pro Woche verbringt er mit seinem Sohn, meistens im Schwimmkurs, und wenn das Wetter gut ist, gehen sie danach noch zusammen in den Zoo oder auf den Spielplatz.
Dieser Morgen ist für ihn wie «ein Fenster in eine andere Welt». Er arbeite gern, aber auf dieses Fenster wolle er möglichst nie mehr verzichten, sagt er. Auch einige seiner männlichen Kollegen würden gern Teilzeit arbeiten, das merke er an ihren Fragen. «Aber dann verlässt sie wieder der Mut.» Trotzdem: Für Crameri ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er als Mann, der Teilzeit arbeitet, nicht mehr in der Minderheit ist. Bis die Unternehmen ihre Fenster öffnen und das Leben reinlassen.