Wer nicht will, kann gehen
Die Gewerkschaft Unia verfolgt eine aggressive Wachstumsstrategie. Dazu setzt sie ihre eigenen Mitarbeiter unter Druck.
Veröffentlicht am 12. Oktober 2015 - 18:29 Uhr
Die Unia ist mit über 200'000 Mitgliedern die grösste Gewerkschaft der Schweiz. Arbeitgebern klopft sie gern auf die Finger, was den Umgang mit Mitarbeitern betrifft. Doch im eigenen Betrieb werden die gewerkschaftlichen Grundwerte nicht immer ganz bewusst gelebt. Immer wieder ein Beispiel: Die aggressive Expansionspolitik der Sektion Zürich-Schaffhausen. Wer nicht mitziehen will, muss gehen.
«Der Druck ist riesig», sagt Ex-Mitarbeiterin Helga Müller *. Bis vor knapp einem Jahr war sie im Regionalsekretariat Zürich-Schaffhausen in der Personalabteilung angestellt. Die Personalpolitik sei wirr und rücksichtslos, erzählt sie. Zwischen März 2012 und Januar 2013 gab es allein in Zürich 16 Abgänge und 13 Zugänge – dies bei einem Personalbestand von 70 Mitarbeitern. In der gesamten Organisation waren es 113 Ab- und 148 Zugänge bei 900 Mitarbeitenden.
«Im Rahmen einer umfassenden Reorganisation war die Fluktuation damals hoch», sagt Lorenz Keller, Mediensprecher bei der Sektion Zürich. «Doch wir sind froh, dass wir diese mittlerweile stark reduzieren konnten.» Fürs laufende Jahr gibt die Unia an, 16 Leute eingestellt zu haben. Abgänge habe es bislang 6 gegeben.
Ein Grund für die hohe Fluktuation könnte der übermässige Druck sein, neue Mitglieder anzuwerben. Gemäss Helga Müller sind die Gewerkschaftssekretäre angehalten, im Schnitt pro Tag bis zu 1,5 neue Mitglieder zu gewinnen. «Von uns wurde verlangt, dass wir pro Tag auf zehn Baustellen gehen, mindestens 40 Gespräche führen und 1,5 neue Mitglieder anwerben», sagte die entlassene Nicole Schnetzer im Juli gegenüber der SRF-Sendung «10 vor 10». «Solche Anwerbeziele erhalten bei uns natürlich nur jene Mitarbeiter, die auch im dafür vorgesehenen Team tätig sind», meint Mediensprecher Keller. «Und wir geben keine unmöglichen Vorgaben.»
Die Unruhe beim Personal war offenbar auch bei strategischen Ausrichtungen innerhalb der Zürcher Sektion ein Thema. An einem Informationsanlass für Mitarbeiter Ende Oktober 2012 erkannte die Sektionsführung ein «instabiles Teamgebilde aufgrund hoher Fluktuation».
Als «grösste Baustelle» wurde damals in einem internen Positionspapier festgehalten: «Hohe Fluktuation, unklare Jobprofile und Aufbau von Führungsnachwuchs als grosse Herausforderung.» Hinweise auf eine übermässig forsche Expansionspolitik kommen auch aus dem Beobachter-Beratungszentrum: Dort meldeten sich in den letzten Jahren viele Eltern minderjähriger Lehrlinge, die sich zu einer Mitgliedschaft hatten überreden lassen. Sie ist nur schwer zu kündigen: Wer den Termin Ende Jahr verpasst, zahlt während mindestens 18 Monaten weiter den Mitgliederbeitrag.
In den letzten Jahren gab es immer wieder Berichte über Probleme bei der 2004 entstandenen Gewerkschaft. 2011 kam es in der Berner Sektion wegen umstrittener Personalentscheide zu Unruhe – der Streit gipfelte in einem internen Streik und dem Rücktritt der damaligen Co-Leiterin. Auch in der Abteilung Nordwestschweiz rumort es seit Jahren. Zuletzt scharte gar ein langjähriger Mitarbeiter entlassene Unia-Genossen in einer eigenen Gewerkschaft um sich.
*Name geändert
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