Hobby – das klingt verstaubt; nach Modelleisenbahn und Kaffeerahmdeckelisammeln. Wer so was macht, hat sonst nichts Gescheites zu tun. Der moderne Mensch hat keine Hobbys, er arbeitet, erzieht Kinder – oder tut beides. Daneben geht er bestenfalls spielen, etwa Golf, erlebt Abenteuer im Himalaja oder investiert in alte Autos. Freizeitvergnügen ohne Mehrwert hingegen riecht nach Beschäftigungstherapie. Überhaupt: Freizeitbeschäftigung – wer will sich in seiner spärlichen Freizeit noch beschäftigen müssen?

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Alles Klischees? Vielleicht. Doch Umfragen zufolge geniessen heute Herr und Frau Schweizer ihre Mussezeit tatsächlich vor allem auf recht passive Art – und unspektakulär: Fernsehen, Radio hören und Zeitungen lesen sind laut einer Univox-Studie die drei mit Abstand beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Bedrängt werden sie höchstens noch von ähnlichen «Aktivitäten» wie Nichtstun: Ganze 55 Prozent der Befragten – mehr als je zuvor – gaben 2004 an, in Zukunft mehr faulenzen zu wollen.

Im Puppenhaus: Claudia Tschümperlin, 39, Brunnen SZ, mit Ehemann Erwin und den Kindern Mike, Jennifer und Robin (von links)

Quelle: Tomas Wüthrich

Die Puppen-Mutter

Die 20. war die berühmte Puppe zu viel. Zeit für eine Aussprache. «Claudia», sagte Erwin Tschümperlin zu seiner Frau, «langsam musst du bremsen.» Nicht nur, dass sich überall Körperteile von sogenannten Reborn-Babys türmten, die so echt aussehen, dass einem bange werden könnte. Mamis neues Hobby stellte im Hause Tschümperlin auch sonst so manches auf den Kopf – unter anderem das Budget. Hier 40 Franken für ein Paar Glasaugen, dort 1500 Franken für eine Weiterbildung im Ausland. Und gut und gern 100 Stunden, die Claudia benötigt, um einem Kunststoffkörper Leben einzuhauchen. Stunden, in denen sie abtaucht in ihre eigene Welt – und oft nur ungern wieder auftaucht, vor allem wenn sie gerade ein Gesicht modelliert. Eigentlich war es Erwin, der seiner Frau ein Hobby nahegelegt hat. Aber gleich ein so intensives?

Vom Reborn-Baby-Virus infiziert

Claudia stand nach der 20. Puppe nicht auf die Bremse, jedenfalls nicht hart. Doch sie begann, ihre fertigen Puppen zu verkaufen. Ihr Mann half dabei, indem er ihr eine eigene Homepage einrichtete – claudias-babies.ch. «Hat dich dieser Virus gepackt, lässt er dich nicht mehr los», sagt sie. Er blickt derweil etwas wehmütig zur Wohnwand mit all den Puppen drin und meint schmunzelnd: «Es gab mal eine Zeit, da hatte es dort auch Bücher.» Doch er will nicht jammern. Jahrelang habe seine Frau sich und ihre Bedürfnisse hintangestellt zugunsten der Familie. Jetzt sei sie an der Reihe. Und: «Wie könnte ich klagen, wenn ich sehe, wie zufrieden Claudia heute ist…»

Vor vier Jahren war das anders. Hausfrau, drei Kinder, ein Hund, ein wenig MuKi-Turnen, viel Monotonie. Claudia Tschümperlin fiel allmählich die Decke auf den Kopf. «Mir fehlte die Abwechslung, der Austausch mit anderen, eine neue kreative Herausforderung.» Die Puppen gaben ihr, was sie suchte. «Ich bin ausgeglichener – und davon profitiert letztlich auch die Familie.»

Wenn Claudia Tschümperlin heute für eine Puppe Kleider besorgen geht, nimmt sie das fertige Reborn-Baby mit. Schliesslich soll das Outfit passen. «Erst dann ist das Kunstwerk fertig», sagt sie. Manch einer schüttelt darob den Kopf. «Ich weiss das», sagt Claudia Tschümperlin. «Manche können das nicht verstehen.» Sie kann damit leben. Und ihr Mann? «Habe ich denn eine Wahl?», fragt er augenzwinkernd. «Nein», sagt sie. Und beide lachen.

Ein Leben für die Bergbahn: Jakob Schuler, 48, Orpund BE, mit Ehefrau Anita, Tochter Sabrina und Sohn Matthias

Quelle: Tomas Wüthrich

Der Bügel-Halter

Wenn Sabrina einen Freund mit nach Hause nimmt, ruft sie ihren Eltern aus der Ferne ein kurzes «Hallo» ins Wohnzimmer und entschwindet dann direkt in ihrem Zimmer. Das liegt an ihrem Alter. Sie ist 18. Ein wenig aber auch am Hobby ihres Vaters. Der sammelt nämlich Skiliftbügel und andere Seilbahnbestandteile. Ihren Vater mag das faszinieren – zum Jungs-Beeindrucken taugen Umlaufrollen, Seilklemmen, Einzugsapparate und Aufhängevorrichtungen von Habegger, Brändle, Sameli-Huber und Co. herzlich wenig.

Doch Leute beeindrucken ist auch nicht Jakob Schulers Ambition. Er sammelt um des Sammelns willen. Und weil Skilifte und Seilbahnen ein Stück Schweizer Technik- und Kulturgeschichte repräsentieren – immerhin wurde in Davos vor 75 Jahren der erste Bügelskilift der Welt in Betrieb genommen. Was Schuler leistet, tut kein anderer Sammler, kein Verband und kein Museum. Sein Schatz umfasst rund 180 Objekte, über die er akribisch Buch führt. Sein Traum: ein eigenes Museum: «Wenn ich dann mal pensioniert bin.» Das älteste Objekt: «Ein hölzerner Bügel von 1941.» Sein grösster Schatz: «Einer von 1962 aus Braunwald, vom Skilift meiner Kindheit.»

Trouvaillen bei der Talstation

Wenn in der Schweiz ein Skilift stillgelegt oder ersetzt wird, ist Schuler zur Stelle. Es kann aber auch vorkommen, dass er mit Frau Anita eine Wanderung antritt, jedoch schon an der Talstation einer Seilbahn hängenbleibt, mit dem Betriebsleiter verschwindet – und mit einem ausrangierten Bügel herauskommt. Anita Schuler nimmts mit Humor. «Solange er nicht plötzlich mit einer riesigen Schilthorngondel aufkreuzt.» Stellt sich doch bereits heute die Frage, wohin mit all dem sperrigen Zeug.

Die Faszination wurde Jakob Schuler in die Wiege gelegt. Grossvater und Vater waren schon begeisterte Seilbähnler. Ein Foto zeigt seinen Opa 1948, sichtlich stolz, auf der Jungfernfahrt der Braunwalder Sesselbahn. Mit vier Jahren bekam Klein Jakob die erste Spielzeugseilbahn. «Die Mutter konnte kaum das Bett machen vor lauter Schnüren.» Der Faden riss abrupt, als der Vater acht Jahre später in einem Schneebrett starb. Die Mutter zog mit ihren vier Kindern von Braunwald ins Flachland nach Biel. So sind die Skiliftbügel für Jakob Schuler auch Erinnerung und Heimatgefühl.

Blumenstube: Anita Pilger, 50, Geuensee LU, mit ihrem Ehemann Marcel und den Kindern Dennys und Michelle

Quelle: Tomas Wüthrich

Die Orchideen-Dame

Als Marcel Pilger eines Tages von der Arbeit kam, roch es in der Wohnung, sagen wir: streng. Es dauerte eine Weile, bis er hinter das Geheimnis des mysteriösen Stallgeruchs kam. Er erinnerte sich, wie seine Frau, Präsidentin der Orchideenfreunde Zentralschweiz, neulich heimkam und von einem neuen «Superdünger» für ihre Orchideen schwärmte. Wie hatte sie den Zauber genannt? Kuh-Pellets? Genau. Bei Marcel Pilger fiel der Zwanziger. Gepresste Kuhscheisse! Hatten die Pellets anfangs nach nichts gerochen, entfalteten sie nach dem Giessen ihre ganze Kraft. «Es roch eklig», erinnert sich Marcel Pilger. Kein Wunder, bei 300 «behandelten» Orchideen im Haus.

Wenn im Hause Pilger von «Mamis Orchideenfimmel» die Rede ist, amüsiert sich die ganze Familie. Vater, Tochter, Sohn – alle wissen eine Anekdote zu erzählen. Nerven tue höchstens, meint Sohn Dennys, dass man ständig Orchideen anschauen müsse. «Egal ob in Ägypten oder auf einer Wanderung in den Alpen.» Im Grunde finden sie Anita Pilgers Hobby «ganz in Ordnung». Auch wenn sich ihr Mann gelegentlich in einem «Treibhaus mit Schlafgelegenheit» wähnt. Doch daran ist er nicht ganz unschuldig. Just er hatte seiner Frau vor zehn Jahren nahegelegt, sich nach einem neuen Hobby umzusehen. Anita Pilger war damals eben wieder auf die Beine gekommen nach einem Unfall, der eine Behinderung zur Folge hatte. Doch was tun? Die 1000 Elefanten, die sie seit ihrem dritten Altersjahr in allen Variationen gesammelt hatte, hatte sie bereits verbrannt. Und die 1500 Parfümfläschchen, die auf die Dickhäuter folgten, fingen im Keller Staub.

Als Anita Pilger eines Tages eine Orchidee geschenkt bekam – «eine Phalaenopsis», wie sie sich noch gut erinnert –, war die Antwort klar. «Ein Hobby ist gut fürs Gemüt. Blumen auch.» Die Kombination konnte also nur Gutes bedeuten. So war es auch. «Ich bin heute wieder zufriedener», sagt sie.

Geheimtipp: reden mit den Orchideen

Einen bis zwei Tage investiert Anita Pilger pro Woche in ihr Hobby. Und sie geht des Öfteren in den Orchideenshop Luzerner Garten, um sich Tipps zu holen – klar, dass da jedes Mal auch ein neues Exemplar mit nach Hause kommt.

Was sie so fasziniert? «Die Vielfalt. Es gibt etwa 30'000 Arten, und noch immer werden neue entdeckt.» Und: «Orchideen sind sehr dankbar. Wenn man gut zu ihnen schaut, blühen sie immer wieder und bringen Farbe ins Zuhause.» Ihr Geheimnis: «Reden Sie mit den Orchideen.» Eine Aussage, die ihren Mann mal wieder zum Lachen bringt. Auch er hat zwar schon einiges gelernt, wie er betont, und hat bei Abwesenheit seiner Frau auch schon die eine oder andere zum Blühen gebracht. Generell halte er es mit den Orchideen aber wie mit dem Wein: «Ich bin eher der Weintrinker als der Weinkenner.»

Exotische Tiere sind seine Leidenschaft: Erich Hausammann, 35, Winterthur, und Lucia Lottenbach

Quelle: Tomas Wüthrich

Der Reptilien-Freak

Sportlich. Sympathisch. Attraktiv. Mehr als was augenfällig war, wusste Lucia Lottenbach nicht über Erich Hausammann, als sie ihm vor sechs Jahren in einer Fitnesswoche in Spanien begegnete. Auch nicht, dass er Polizist ist, sich einen 50-Kilo-Rottweiler als Diensthund hält, in einem winzigen Zimmer lebt, weil er sein Haus vor Jahren komplett ausgehöhlt hat und es nun in Eigenregie mühsam wieder ausbaut und mit allerlei Schnickschnack ausstattet, vom Jacuzzi im Garten, dem Heimkino im Keller bis hin zum im Wohnzimmerboden eingelassenen Giftschlangenterrarium. Ja, dass er überhaupt Schlangen hat, nicht eine oder zwei, sondern gut 40, darunter Kobras, Klapperschlangen und Anakondas, daneben Dutzende Echsen, Vogelspinnen und Skorpione. Oder dass er davon träumt, in seinem Garten Alligatoren zu halten – und diesen Traum Jahre später tatsächlich wahr werden lassen würde. Dies und einiges mehr erfuhr die 30-Jährige erst, als sie sich auf den Fitnesstrainer einliess.

Und obwohl Lucia Lottenbach von Haus aus weder grosser Hundefan war noch eine leidenschaftliche Bastlerin, geschweige denn eine Affinität zu Reptilien hatte, wurde etwas aus der Liebe. Man darf sogar sagen, die zwei führen eine ausgesprochen harmonische Beziehung. «Mit ihm läuft immer etwas», sagt Lucia. Das gefällt ihr.

Ein sanfter Tod für Maus und Ratte

Erich Hausammann ist zweifellos ein Freak. Das gibt er auch gern zu. Aber ein Freak im positiven Sinn. So kann man zwar den Kopf schütteln über manches, was der 35-Jährige treibt – das tut bisweilen auch seine Freundin. Und man kann auch aus Prinzip etwas gegen Terrarianer und Polizisten haben. Was man Erich Hausammann aber nicht vorhalten kann: Er tue das, was er tut, unüberlegt, verantwortungslos oder nur zur eigenen Belustigung. Das zeigt sich in Details, zum Beispiel: Für die Ratten und Mäuse, die er seinen Gift- und Würgeschlangen verfüttert, hat er eigens eine Euthanasieanlage gebastelt, die den Futtertieren per Knopfdruck und mittels CO2 zumindest ein schmerz- und stressfreies Ende beschert. «Nur weil es Futtertiere sind, sind es keine Tiere zweiter Klasse», betont Hausammann. Einige der Tiere wurden ihm auch von Zoos oder vom Veterinäramt anvertraut. Bei Hausammann scheint es den Reptilien zu gefallen – sorgen sie doch für reichlich Nachwuchs in den Terrarien.

Lucia Lottenbach formuliert es so: «Vieles im Zusammenleben mit Erich ist gewöhnungsbedürftig; seine Leidenschaft für Reptilien; dass er als Polizist und Schlangenfänger zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Einsätzen gerufen wird; dass wir wegen seines Do-it-yourself-Zwangs seit Jahren auf einer Baustelle leben.» Aber eines habe sie von Anfang an gespürt: «Erich mag ein verrückter Kerl sein, aber er tickt normal.»