«Die Jungen unterschätzen das Problem»
Wer keine Ausbildung hat, kommt spätestens mit 30 in eine missliche Lage, sagt die Soziologin Marlis Buchmann. Denn dann drohe Arbeitslosigkeit.
Veröffentlicht am 24. Oktober 2019 - 18:55 Uhr
Beobachter: Bildung gilt in der Schweiz als wichtigster Rohstoff. Wie schlimm ist es da, «ausbildungslos» zu sein?
Marlis Buchmann: «Ausbildungslos» bedeutet, dass die jungen Leute bis zu einem gewissen Alter keinen Abschluss haben. Man müsste also eigentlich von «abschlusslos» sprechen. Die Kategorisierung bedeutet nämlich nicht, dass die Betroffenen nach der obligatorischen Schulzeit einfach nichts machen. Sie nutzen vielleicht Brückenangebote oder fangen eine Lehre an, schliessen sie aber nicht ab. Diese Unterscheidung finde ich wichtig.
Dennoch: Neun Prozent der jungen Leute haben keinen Abschluss. Ist das nicht besorgniserregend?
Tatsächlich steigt das Risiko für Arbeitslosigkeit markant an, wenn man keinen Ausbildungsabschluss hat. Das belegen zahlreiche Studien. Solange die Ausbildungslosen jung sind, ist das noch nicht so ein grosses Problem für sie, sie finden irgendein Jöbli. Doch sie unterschätzen das Problem. Je älter sie werden, desto vehementer äussert es sich. Sie müssten also schauen, dass sie spätestens in ihren Zwanzigern zu einem Abschluss kommen.
Es ist aber halt cooler, mit 18 Influencerin
zu werden und gut Geld zu verdienen, als sich in einer Lehre abzumühen.
Die Versuchung, sich in den sozialen Medien ohne Ausbildung einen guten Job zu angeln, ist tatsächlich riesig. Aber es ist eine Illusion. Das gelingt vielleicht einer unter 10'000 Personen. Oder wie in den Vereinigten Staaten: Dort setzen viele Junge auf eine Sportkarriere
, um ans grosse Geld zu kommen. Doch das schafft vielleicht jeder Hunderttausendste. Aber als Modell sind diese Ideen nun einmal da und beeinflussen Haltungen und Einstellungen. In der Schule und im Elternhaus sollte deshalb rigoros thematisiert werden, wie wichtig Ausbildungen sind.
«Es ist besser, eine nicht besonders geliebte Lehre abzuschliessen, als ohne Abschluss dazustehen.»
Marlis Buchmann, Soziologin
Was müsste die Wirtschaft tun, um die jungen Ausbildungslosen zu gewinnen?
Fakt ist: Ausbildungslose kommen hauptsächlich aus der niedrigsten Sekundarstufe. Sie haben einen dünnen Schulrucksack und stehen bei der Vergabe von Lehrstellen zuhinterst. Das bedeutet, dass sie oft nur noch eine Lehrstelle in einem Beruf bekommen, der sie eigentlich nicht besonders interessiert. Da ist dann das Risiko gross, dass sie die Lehre abbrechen
.
Viele Wege führen ins Arbeitsleben
Jeder fünfte Lehrling bricht ab. Was kann man dagegen tun?
Da braucht es Unterstützung von daheim. Es ist sicher besser, wenn auch schwieriger, eine nicht besonders geliebte Lehre abzuschliessen, als ohne Abschluss dazustehen. Mit dem Berufsattest oder dem Fähigkeitszeugnis hat man viel bessere Chancen im Arbeitsmarkt
. Eine angemessene Ausbildung ist ein entscheidender Faktor dafür, dass die soziale Integration gelingt.
Welche Fähigkeiten im Berufsleben sind in Zukunft besonders gefragt?
Es geht ganz klar in Richtung Höherqualifizierte. Der Wandel in der Arbeitswelt geht schnell vor sich, und er findet auch innerhalb der Berufe statt. Man muss sich weiterbilden, um à jour zu bleiben. Das gilt für alle Berufe, zum Beispiel auch in der Industrie oder im Gesundheitswesen. Die Digitalisierung wird weiter fortschreiten, man muss mit den Programmen umgehen können. Leute mit höherer Schulbildung sind besser aufs ständige Lernen vorbereitet. Sek-B-Abgängerinnen und -Abgänger müssen sich das aber auch hinter die Ohren schreiben – sonst werden sie abgehängt.
1 Kommentar
Eltern sind für die Erziehung ihrer Kinder zuständig, verantwortlich. Lehrpersonen sind für die Bildung von Kindern/Jugendlichen zuständig. Dazu benötigt es auch Interesse und Unterstützung der Eltern, für eine prosperierende Schul- und Ausbildungszeit der Kinder.