Spitäler sammeln Blut – Datenschützer warnen
Die Berner Juristin Franziska Sprecher kritisiert die mangelnde Sicherheit der Datenbanken und fordert einen besseren Schutz der Spender.
Veröffentlicht am 28. Februar 2017 - 10:21 Uhr
Wie eine Raumkapsel gleitet die Blutprobe auf dem Monorail dahin. Vor einer Stunde wurde sie dem Patienten entnommen. Jetzt wird das Blut automatisch in der Biobank eingelagert, bei minus 150 Grad. Und steht damit für die Forschung bereit.
Das Inselspital Bern hat letzten Sommer «das modernste Biobank-System der Schweiz» in Betrieb genommen, in dem Hunderttausende flüssiger Bioproben jahrelang aufbewahrt und für die Forschung genutzt werden können. Die Wissenschaftler versprechen sich davon einen «Quantensprung in der personalisierten Medizin» – die Möglichkeit also, Therapien künftig noch präziser auf einzelne Patientengruppen zuzuschneiden.
Für die Entwicklung solcher massgeschneiderten Medikamente braucht es möglichst viel Biomaterial. Daher werden Spitalpatienten routinemässig gebeten, ihre Blutproben und weitere Gesundheitsdaten für künftige Forschungsprojekte zu spenden. In der Schweiz haben viele Spitäler generelle Einverständniserklärungen eingeführt, vor allem Universitätsspitäler wie die Berner «Insel». Doch die Informations- und Einwilligungsformulare unterscheiden sich stark.
Nun liegt erstmals ein Generalkonsent vor, eine standardisierte Informations- und Einverständniserklärung. Er stammt von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften und Swissethics, der Dachorganisation der Schweizer Ethikkommissionen. «Der Generalkonsent soll es den Daten- und Biobanken erleichtern, zusammenzuarbeiten und dabei Daten und Proben zu Forschungszwecken weiterzugeben», so Swissethics-Präsidentin Susanne Driessen, die das Papier federführend erarbeitet hat.
Das knapp anderthalb Seiten lange Formular beginnt mit dem Satz: «Wir bitten Sie um Ihren persönlichen Beitrag zur Forschung.» Und weiter: «Zu Ihrem Schutz dürfen die Forschenden die Daten nur verschlüsselt und unter streng geregelten Voraussetzungen verwenden.» Patientenrechte und Privatsphäre würden respektiert.
Bisherige Erfahrungen an den Spitälern zeigen, dass die meisten Patientinnen und Patienten bereit sind, ihre Daten zu teilen, selbst wenn sie den künftigen Forschungszweck nicht kennen und selbst wenn dabei die gesamte Erbinformation analysiert wird. Im Unispital Lausanne, das seit 2013 eine systematische Biobank aufbaut, willigen drei von vier Patienten dazu ein. Im Unispital Basel ist die Zustimmung noch höher. Das freut die Forschergemeinde.
«Aus dem Formular wird klar, dass die Proben nicht für dubiose Zwecke verwendet werden.»
Susanne Driessen, Swissethics-Präsidentin
Nur: Ist den Patienten bewusst, wozu sie Ja sagen? Die Meinungen sind geteilt. Nein, sagt die Juristin Franziska Sprecher, die die Patientenschutzorganisation (SPO) berät. «Biobanken sind wichtig für die medizinische Forschung, aber die Spenderinnen und Spender haben keine Möglichkeit zu wissen, wie sicher diese Einrichtungen wirklich sind.» Aus diesem Grund müssten der rechtliche Rahmen und auch das Einwilligungsformular verbessert werden.
Anders sieht es der bekannte Patientenvertreter David Haerry, der auf eine jahrzehntelange «Karriere» als HIV-Aktivist zurückblickt und heute den Positivrat Schweiz vertritt. Er sagt: «Der Generalkonsent ist ein sehr taugliches und patientenfreundliches Papier. Es ist ehrlich, erklärt das Wichtigste verständlich und befähigt die meisten Patientinnen und Patienten, im Gespräch mit einer Fachperson eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.» Und diese könne Ja oder Nein lauten, je nachdem, wie wichtig für jemanden die Forschung sei.
Es gebe zwar rechtliche Lücken, räumt Swissethics-Präsidentin Driessen ein, doch die Biobanken der Schweiz hielten sich an strenge Guidelines. Deshalb könne sie aus ethischer Sicht voll und ganz hinter dem Generalkonsent stehen. «Aus dem Formular wird deutlich, dass die Daten und Proben nicht für irgendwelche dubiosen Zwecke verwendet oder gar veräussert werden, sondern dass sie der Allgemeinheit zugutekommen.»
Noch weiter gehen will der Molekularbiologe Ernst Hafen, der das Thema seit Jahren beackert. Der ETH-Professor begrüsst den Generalkonsent, weil dadurch «die in der Schweiz dringend benötigte Forschung» ermöglicht werde. Doch das Potenzial der Datennutzung sei mit dem Papier längst nicht erschöpft. Vor kurzem hat Hafen die Plattform Midata.coop gegründet – ein genossenschaftlich organisiertes Modell, dessen Mitglieder ihre Gesundheitsdaten selber verwalten und nutzen. «So sind Patienten nicht einfach Datenlieferanten, sondern sie nehmen aktiv an der Forschung teil.»
Die Berner Juristin Franziska Sprecher kritisiert die mangelnde Sicherheit der Datenbanken und fordert einen besseren Schutz der Spender.
Beobachter: Sie sagen, Biobanken mit Blutproben seien wichtig für die medizinische Forschung. Trotzdem kritisieren Sie den Entwurf zum Generalkonsent, mit dem die Patienten ihr Einverständnis zur Nutzung ihrer Proben und Daten geben sollen. Was läuft schief?
Franziska Sprecher: Es gibt ein Ungleichgewicht zwischen dem personellen und dem finanziellen Einsatz, mit dem die Forschung hierzulande gefördert und erleichtert wird, und dem politischen Willen, die Rechte der Spenderinnen und Spender ausreichend zu sichern.
Beobachter: Sind Sie gegen die Forschung?
Sprecher: Nein, überhaupt nicht. Aber ich bin der Meinung, dass die Spender gleichberechtigt und im selben Mass geschützt werden sollen, wie die Forschung gefördert wird.
Beobachter: Was heisst das?
Sprecher: Aus dem Generalkonsent erkennt man nicht, dass das Schweizer Recht empfindliche Lücken hat, was Biobanken anbelangt. Das Humanforschungsgesetz regelt die Forschung am Menschen. Aber auf eine umfassende Regelung der Biobanken wurde bewusst verzichtet. Der rechtliche Schutz der Spenderinnen und Spender ist im Bereich Biobanken daher schwach, und das geht aus dem vorliegenden Dokument nicht hervor.
Beobachter: Welche Lücken gibt es?
Sprecher: Es ist zum Beispiel nicht geregelt, wie die Biobanken kontrolliert und geführt werden sollen, wer die Aufsicht hat oder welchen technischen Spezifikationen eine Biobank genügen muss. Und ganz wichtig: Es ist nicht geregelt, wem diese Daten gehören. Deshalb braucht es unbedingt ein neues Bundesgesetz zu Biobanken.
Beobachter: Wie steht es um die Sicherheit von Daten und Proben?
Sprecher: Es wird eine Sicherheit versprochen, die faktisch heute in der Schweiz nicht gewährleistet ist. Dafür gibt es weder die nötige rechtliche noch eine tatsächliche Grundlage. Spitäler und Biobanken müssen im grossen Stil nachrüsten, um ihre Daten besser zu sichern. Die Proben sind zwar verschlüsselt, aber es reichen die genetische Analyse von ein paar Tropfen Blut und eine ausgedehnte Google- oder Social-Media-Suche, um eine Person mit hoher Wahrscheinlichkeit zu identifizieren. Diese Risiken werden den Patienten durch das Einwilligungsformular nicht wirklich bewusst. Aber sie sind real.
Beobachter: Warum sollen die Rechte von Daten und Proben nicht auf Biobanken übertragen werden?
Sprecher: Daten haben einen hohen Stellenwert, sie sind das neue Gold. Daher müssen sie Eigentum der Spenderinnen und Spender bleiben. Dafür braucht es Standards, und vor allem braucht es eine Diskussion darüber. Diese darf nicht vorweggenommen werden von Forscherkreisen. Hier muss die ganze Gesellschaft mitdiskutieren.
Franziska Sprecher ist Assistenzprofessorin für öffentliches Recht an der Universität Bern und Stiftungsrätin der Patientenschutzorganisation (SPO).