Der Widerspenstige
Der Berner Ernst Schmutz bezahlt keine Bussen, er geht lieber ins Gefängnis – für seine Freiheit. Jetzt sucht er Gleichgesinnte.
Der Berner Ernst Schmutz bezahlt keine Bussen, er geht lieber ins Gefängnis – für seine Freiheit. Jetzt sucht er Gleichgesinnte.
Veröffentlicht am 28. März 2019 - 17:20 Uhr,
aktualisiert am 28. März 2019 - 11:36 Uhr
Bei der ersten Verhaftung kommt es fast zu einem verheerenden Missverständnis: Ernst Schmutz macht sich in seinem Bauwagen gerade bereit zum Gehen. Er hat den Rucksack geschultert, die schweren Schuhe geschnürt und ein Messer in der Hand, das er einstecken will. Da klopft es. Die Tür klemmt, springt dann auf, und schon hat Schmutz zwei Pistolen am Kopf.
Dass die beiden überraschten Polizisten ihre Waffen zogen, «ist einigermassen verständlich», sagt Ernst Schmutz. Aber das Ganze habe seinen Ruf ramponiert. Seither warte die Polizei meist, bis er irgendwo unterwegs ist, um ihn festzunehmen. Und für eine Weile kam sie jeweils mit einem ansehnlichen Aufgebot.
Fünfmal sass Schmutz bisher ein. Einmal im Amtshaus in Bern, einmal im Bezirksgefängnis in Baden: «Dort ist es im Sommer so heiss, dass die Leute viermal am Tag unter die Dusche stehen.» Und dreimal im Regionalgefängnis Burgdorf. Rund 25 Tage insgesamt.
Schmutz hockt auf der Schwelle zu einem mittelalterlichen Verlies in der Burg Trachselwald BE. Genau in dieser Zelle sass anno 1653 Niklaus Leuenberger ein. Der Emmentaler hatte im Bauernkrieg die Berner Untertanen angeführt, als sich diese gegen die Obrigkeit auflehnten. «Das passt doch», sagt Schmutz mit einem verschmitzten Grinsen und streicht seinen struppigen Bart zurecht.
Wie einst die Berner Bauern hat auch er wegen des «räuberischen» Staates «einen riesigen Zorn im Ranzen». Wegen eines Staates, der nur hinter seinem Geld her sei. Wenn Schmutz erzählt, blitzt dieser Zorn manchmal in seinen wachen Äuglein auf, mit denen er unter der Krempe seines Filzhuts hervorblickt. Manchmal blitzt es auch, wenn er zuhört.
Schmutz lebt in einem kleinen Bauwagen hier irgendwo in der Gegend. Er lagert mal hier, mal da, je nachdem, wo es gerade etwas zu tun gibt. Seine «fahrende Lebensweise» hat ihn gelehrt, dass jeder Ort der falsche ist und die Behörden immer ein Gesetz oder einen Grund finden, ihn zu verjagen. Also keine dösenden Beamten wecken.
Der 51-Jährige kommt mit sehr wenig aus. Er arbeitet nur so viel, dass es zum Leben reicht. Eine Zeitlang verkaufte er selbstgebaute Vogelhäuschen, aber meist verdient er sein Geld als «Auftragskiller», wie er sagt. Schmutz hält als Feldmauser die Mäusepopulation in Schach. Wer kein Nager ist, hat also nichts zu befürchten. «Und die Müüsli auch nur, wenn mich jemand bezahlt.» Wenn er nach Feierabend beim Bier vor seinem Wagen sitzt und irgendwo eine Maus raschelt, ist er froh, dass er dem Tierchen kein Haar krümmen muss.
Dass Schmutz immer wieder ins Visier der Behörden gerät, scheint eigentlich vermeidbar. Anfänglich bezahlte er die Bussen noch , spätestens wenn das Aufgebot zum Strafantritt kam. Aber nach einem Zwist mit dem Strassenverkehrsamt um seine Nummernschilder hatte er genug und versprach sich, dass er in diesem Land nie wieder eine Busse bezahlen werde. Zu ungerecht und willkürlich sei es. Für 600 Franken sass er 15 Tage im Berner Amtshaus ab. Das war vor rund fünf Jahren, damals wurden einem Buessehöckler nur 30 Franken pro Tag angerechnet. Heute sind es 100 Franken.
Wie sehr ihn sein erster Gefängnisaufenthalt verändert hat, realisierte Ernst Schmutz erst viel später. «Irgendwie ist mir seither bewusst geworden, dass da diese Macht über mir schwebt, die einfach über mich richten und bestimmen kann.»
«Die Behörden warten nur darauf, dass ich was falsch mache.»
Ernst «Aschi» Schmutz
Die meisten seiner Bussen kassiert er für Verkehrsdelikte
. Seine Fahrweise anzupassen ist für ihn aber keine Lösung. Er sei kein Raser, hat auch gar nicht das Auto dazu. «Die Behörden warten nur darauf, dass ich was falsch mache.» Er komme sich vor «wie ein gehetztes Reh, dem immer einer mit der Radarpistole auflauert».
Schmutz hat genug von all den Regeln, denen er sowieso nie genügt. Darum ist er Feldmauser. Er hält es nicht aus, wenn man ihm vorschreibt, was er zu tun hat. Das war schon damals in der Schule so, in der Lehre und heute eben mit den Behörden.
Mittlerweile hat sich bei den Verhaftungen eine gewisse Routine entwickelt. Einmal sass Schmutz in einer Beiz, als ein Beamter an den Tisch trat, der ihn schon mehrmals festgenommen hatte. Schmutz protestierte, er sei gar nicht ausgeschrieben. Darauf antwortete der Fahnder, er komme heute auch nicht seinetwegen, sondern wegen seines Tischnachbarn.
Im Gefängnis hat Schmutz ein-, zweimal Gleichgesinnte kennengelernt. Damit er vielleicht weitere findet, hat ihm ein Bekannter eine Website eingerichtet: Buessehoeckeler.ch.
Schmutz möchte eine Gemeinschaft organisieren für «regelmässige Treffen von Menschen, die sich nicht mehr jagen und ausrauben lassen wollen und für ihre Freiheit ins Gefängnis gehen», heisst es auf der Website. Darunter seine Telefonnummer.
«Es wäre schön, zu wissen, dass ich nicht der Einzige bin, der so denkt», sagt Schmutz. Zudem könnte man einander mal einen Kuchen vorbeibringen oder zu Hause die Pflanzen giessen oder die Katze füttern, wenn der Besitzer wieder mal einrücken musste.
Das ist wohl nicht der einzige Grund, warum Schmutz versucht, eine Buessehöckler-Gemeinschaft aufzuziehen. Er macht sich Sorgen. Bei seiner letzten Verhaftung weigerte er sich, für die Sicherheitskontrolle die Kleider auszuziehen. «Mittlerweile bin ich 50, das muss ich nicht mehr haben.» Es war ihm klar, dass diese Entscheidung «weh tun» würde.
Auf das ruppige Entkleiden folgten fünf Tage in der Sicherheitszelle, im Volksmund «scharfer Arrest». «Herr Schmutz zeigte sich von Beginn weg sehr renitent», heisst es beim Gefängnis. «Wir mussten davon ausgehen, dass er verbotene Gegenstände auf sich trägt.» Die Sanktion sei für so einen Tatbestand «zugegebenermassen streng angesetzt». Ein frühzeitiges Ende des Arrests habe man nicht umsetzen können, «da Herr Schmutz Drohungen ausstiess und weiterhin nicht kooperierte».
Schmutz sagt, er habe zuletzt als Bub auf dem Pausenplatz eine Schlägerei angezettelt und täte nie einem Menschen aus Wut Gewalt an, «sonst wäre ich ja genau wie sie». Mit den fünf Tagen Einzelhaft ist sein letztes Fünkchen Vertrauen in das System erloschen.
Es ist tatsächlich noch nicht lange her, dass Menschen wie Schmutz als «unverbesserlich» einfach weggesperrt wurden. Das sei auch nicht vorbei, glaubt Schmutz, allen Reformen zum Trotz. «Heute heisst die Behörde einfach anders.»
Er kennt Leute, die mit einem fürsorgerischen Freiheitsentzug in Anstalten verschwanden. Schmutz’ Äuglein blitzen. Und wenn man erst einmal weg sei, kämen die einzigen Informationen, die rausgehen, vom Psychiater oder von den Behörden. «Ich hatte bisher Glück.»
Aber die Furcht sitzt tief. Die Buessehöckler-Gemeinschaft ist auch ein Stück weit eine Versicherung. «Ich muss mich mehr vernetzen, mit Leuten reden – sonst merkt keiner, wenn ich plötzlich weg bin.» Schmutz blickt nachdenklich auf die dicke Mauer des Burgfrieds und dann hoch zum kleinen Fenster, durch das ein Stück grauer Himmel zu sehen ist.
Die Geschichte von Bauernführer Niklaus Leuenberger nahm kein gutes Ende. Die Berner Obrigkeit lenkte zwar nach den Aufständen ein und senkte die Steuern. Aber Leuenberger machte man einen Kopf kürzer.
Schmutz war bis jetzt stets nach ein paar Tagen wieder draussen. Die einzige offene Busse, die ihn wohl bald wieder hinter Gitter bringt, ist von den SBB, weil er «aus Versehen in der ersten Klasse sass». Es sind nur 75 Franken, trotzdem wird ein ganzer Tag Gefängnis fällig. «Und Rückgeld gibts nicht.»
1 Kommentar
Gut, dass es den Beobachter gibt!!!