Dienstag, 17. Januar 2012, morgens kurz nach acht in einem verschlafenen St. Galler Dorf. 20 Polizisten unter der Leitung von Staatsanwalt Jan Duttweiler durchsuchen die Firma Ai Fame, die in Indoor-Anlagen auf rund 500 Quadratmetern Fläche Hanf anbaut.

Marco Gantenbein, Leiter der Qualitätskontrolle des Betriebs, stellt sich dem Einsatztrupp entgegen. Er beteuert, dass die Firma mit fünf Angestellten nichts Unrechtes tue: Der Hanf werde für medizinische Zwecke angebaut. Gantenbein zeigt dem Staatsanwalt den Inspektionsbericht der Heilmittelkontrolle Ostschweiz vom November 2011, die Bewilligung der Arzneimittelbehörde Swissmedic vom 11. Januar 2012 sowie das versandbereite Gesuch ans Bundesamt für Gesundheit (BAG) für eine Ausnahmebewilligung nach Betäubungsmittelgesetz. Es steht also ein Verfahren für den medizinischen Anbau von Hanf kurz vor dem Abschluss, das die Firma bereits Mitte 2010 eingeleitet hat.

Partnerinhalte
 
 
 
 
Schaden: Fünf Millionen Franken

Doch der junge Staatsanwalt Duttweiler hat kein Erbarmen. Er habe das ganze Lager von 250 Kilogramm Hanf, Laptops und selbst den Brief ans BAG mitgenommen, erzählt Firmensprecher Gantenbein. Zwei Tage später macht Duttweiler vollends Ernst: Er lässt auch die Pflanzung roden und weitere rund 250 Kilogramm Hanf abtransportieren. «Diese unverhältnismässige Polizeiaktion hat unsere Firma ruiniert», sagt Gantenbein. Der beschlagnahmte Hanf sei unbrauchbar, weil die Qualitätsvorschriften von Swissmedic nicht mehr eingehalten werden können, wenn die Polizei das Gewächs lagere. Den Schaden beziffert er auf fünf Millionen Franken.

Die Firma Ai Fame baut schon seit Jahren Hanf an und stellt damit einen Likör her – ganz legal. Dies hat das Kantonsgericht St. Gallen im September 2010 festgestellt. Der Hanfanbau sei nur verboten, wenn er dazu diene, Betäubungsmittel zu produzieren, argumentierten die Richter. Das geschehe bei Ai Fame nicht. Mehr noch: Seit dem Jahr 2000 hätten die Untersuchungsbehörden den Geschäftsführer der Firma stetig überwacht, seine Telefonate abgehört und regelmässig Hausdurchsuchungen durchgeführt, ohne irgendein illegales Verhalten festzustellen. Die Kantonsrichter attestierten der Firma denn auch «Ernsthaftigkeit der Bestrebungen im Pharmabereich», weil sie sich intensiv um eine Bewilligung der Swissmedic bemühe.

Erst beschlagnahmen, dann abklären

Dieses Urteil war eine schallende Ohrfeige für die St. Galler Staatsanwaltschaft. Doch dann trat am 1. Juli 2011 schweizweit ein neues Recht in Kraft: Jeglicher Cannabis-Anbau wurde verboten – ausser der Hanf enthält weniger als ein Prozent des halluzinogenen Wirkstoffs THC oder es liegt eine Ausnahmebewilligung des BAG zum Anbau für medizinische Zwecke vor. So wollte der Gesetzgeber kontrollierte Drogenlabors in der Schweiz und die rezeptpflichtige Abgabe von Cannabis für Schmerztherapien ermöglichen. Damit hatte die St. Galler Staatsanwaltschaft eine neue Grundlage, um gegen Ai Fame vorzugehen, denn eine Ausnahmebewilligung des BAG liegt wegen des langwierigen Verfahrens noch nicht vor. Doch haben die Hanfpflanzen auch einen THC-Gehalt von mehr als einem Prozent? «Die THC-Analysen der Pflanzen dauern derzeit noch an», erklärt Staatsanwalt Jan Duttweiler freimütig.

Im Klartext: Die Strafermittler haben die Illegalität der Plantage vor der Razzia nicht gründlich abgeklärt. Gemäss Ai-Fame-Mitarbeiter Marco Gantenbein haben Messungen vor einem Monat einen THC-Gehalt der nunmehr beschlagnahmten Pflanzen von weniger als 0,5 Prozent ergeben. Was, wenn diese Messung stimmt? «Falls der Hanf weniger als ein Prozent THC enthält, wird es zur Haftungsfrage», sagt Jan Duttweiler lapidar. Will heissen: Der Kanton St. Gallen müsste zahlen.

Marco Gantenbein findet das Vorgehen des Staatsanwalts auch deshalb stossend, weil das Bewilligungsverfahren gemäss BAG in zwei Monaten abgeschlossen gewesen wäre. «Wieso konnte der Staatsanwalt diesen Entscheid nicht abwarten? Er hätte ja zum Beispiel die Räume versiegeln können.» Die Firma hätte sich auf das neue Recht halt einstellen müssen, entgegnet Staatsanwalt Duttweiler. «Nur weil kein Übergangsrecht erlassen wurde, muss ein Staatsanwalt nicht zuwarten.»