Ein sauberes Handy gibt es nicht
In unseren Hightechgeräten steckt viel «schmutzige» Arbeit. Der Druck auf die Hersteller steigt. Auch in der Schweiz.
Veröffentlicht am 17. Februar 2015 - 08:57 Uhr
Michael Mesaric ärgert sich. Er hält die Vorwürfe an seine Firma für unbegründet. Menschenrechtsverletzungen in einer peruanischen Goldmine? Das kann er ausschliessen. Mesaric ist Chef der Valcambi SA bei Chiasso – die wohl weltgrösste Goldraffinerie. Genau weiss das keiner, da die Goldschmelzer nur spärlich Zahlen publizieren. Was man weiss: In vielen Smartphones findet sich Gold von Valcambi – in dünnsten Schichten.
Nicht nur Firmen im fernen China gehören zur Lieferkette von Apple oder Dell, sondern auch solche vor unserer Haustür. Sie sind Teil eines Produktionsprozesses, den die Hilfswerke Brot für alle und Fastenopfer kritisieren: In unseren Smartphones und Computern, sagen sie, «steckt Blut».
Die Hilfswerke bewerten in einem Ranking, wie ethisch die IT-Hersteller produzieren. Das Spektrum bezüglich der Rechte der Arbeiter und des Umweltschutzes reicht von «auf gutem Weg» (HP, Nokia) bis «inakzeptabel» (HTC, Asus). Die Branchenführer schneiden «mittelmässig» (Apple) oder «ungenügend» (Samsung) ab.
Das Ranking macht Schlagzeilen, es scheint einen blanken Nerv zu treffen. Denn man muss kein extremer Idealist sein, um angesichts der Mängel Unbehagen zu empfinden. «Den Konsumenten wird zunehmend bewusst, dass das Smartphone, das sie dauernd in den Händen halten, direkt mit schlimmen Zuständen verbunden ist», sagt Florian Wettstein, Wirtschaftsethiker an der Universität St. Gallen. Es sei unsere ethische Verpflichtung, uns mit den Arbeitsbedingungen in Minen oder Handyfabriken zu beschäftigen. «Im Internetzeitalter kann niemand sagen, er habe von nichts gewusst.»
In zahlreichen Minen ist die Arbeit gefährlich und miserabel bezahlt, die Arbeiter haben kaum Rechte, und manchenorts müssen Kinder anpacken. Oft hat der Rohstoffabbau verheerende ökologische Auswirkungen.
Die drückendsten Beispiele der «schmutzigen» Arbeit sind Kinder in der Demokratischen Republik Kongo, die im Dienst von Kriegsherren mit blossen Händen Mineralien ausgraben. Oder überarbeitete chinesische Arbeiter, die sich aus Verzweiflung vom Dach stürzen. Die Selbstmordserie beim chinesischen Apple-Zulieferer Foxconn steht dafür, unter welch unwürdigen Bedingungen Angestellte in Handyfabriken arbeiten: Oft schuften sie mehr als zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche, und sind giftigen Chemikalien ausgesetzt – alles zu Hungerlöhnen.
Das ist bekannt. Neu ist: Die «Fairness»-Bewegung hat den Elektronikmarkt erreicht. Eine Koalition von Nichtregierungsorganisationen, Umweltverbänden und christlichen Organisationen fordert: Die Hightechindustrie soll soziale und rechtliche Mindeststandards einhalten.
Westliche Konzerne wie Apple geben sich kooperativ. Dass sich die Lage in den chinesischen Zulieferbetrieben – auf tiefem Niveau – verbessert hat, bestätigen unabhängige Experten. Schlechter seien die Verhältnisse bei Samsung, HTC oder Asus.
Sicher ist: Die Telekombranche reagiert auf die «Fairness»-Diskussion. Nicht umsonst will die Swisscom in ihren Shops bald eine Rangliste der Herstellerfirmen nach Nachhaltigkeitskriterien platzieren. Die Kunden seien für das Thema empfänglich.
Auch im Bundeshaus ist «Fair Hightech» ein Thema. In diesem Frühling wird das Gesetz über die Beschaffung revidiert. Für IT und mobile Geräte gab der Bund 2013 fast 300 Millionen Franken aus. Die Grünen fordern, ethische Kriterien stärker zu berücksichtigen. Der Bund soll Geräte fortschrittlicher Anbieter bevorzugen und so eine Vorbildfunktion wahrnehmen.
Die haarsträubendsten Zustände in der Hightech-Lieferkette herrschen ganz am Anfang: beim Abbau in den Minen. Um daran etwas zu ändern, ist erst einmal Transparenz nötig. Bisher war kaum zurückverfolgbar, woher die Rohstoffe in Elektronikprodukten stammen. Verschwiegenheit war oberstes Gebot in der Rohstoffbranche. Doch der Markt bewegt sich – und zwar wegen des US-amerikanischen Dodd-Frank-Gesetzes. «Es hat in zwei Jahren mehr bewirkt als zehn Jahre Diskussionen über Transparenz», sagt Friedel Hütz-Adams, Rohstoffexperte bei der Stiftung Südwind in Bonn.
Seit April 2014 müssen in den USA börsenkotierte Firmen ausweisen, ob in ihren Produkten sogenannte Konfliktmineralien aus dem Bürgerkriegsland Kongo oder angrenzenden Staaten stecken. Als Konfliktmineralien gelten die auch in Smartphones enthaltenen Stoffe Zinn, Tantal, Wolfram und Gold: Wer sie verarbeitet, muss die Herkunft nachweisen. So will man verhindern, dass Kriegsparteien von den Erlösen aus den Minen profitieren.
«Bis vor kurzem hiess es in manchen Branchen, es sei unmöglich, den Weg der Metalle zurückzuverfolgen», sagt Hütz-Adams. «Wenn man die Firmen per Gesetz zwingt, geht es aber doch.» Der Aufwand freilich ist riesig. So stecken in einem Smartphone etwa 1000 Einzelteile aus 40 Metallen, darunter Kupfer (rund 15 Prozent), Silizium (rund zehn), Aluminium (rund sieben) und Eisen (rund drei). Sie werden über bis zu zehn Stationen auf verschiedenen Kontinenten weiterverarbeitet. Meist versuchen die Unternehmen, von ihren Zulieferern her zurückzuverfolgen, woher die eingekauften Rohstoffe stammen.
Der niederländische Smartphoneanbieter Fairphone dagegen wählt den direkten Weg zur Quelle. Bei Zinn und Tantal arbeite man mit «konfliktfreien» Minen im Kongo zusammen. Die weitere Verarbeitungskette wird kontrolliert. Die restlichen Fairphone-Metalle unterscheiden sich nicht von denjenigen konventioneller Geräte. Unter anderem deswegen nennen Kritiker Fairphone einen «Etikettenschwindel». Doch die Verantwortlichen aus Amsterdam betonen, sie böten kein wirklich «faires» Gerät an. In ihrem Blog beschreibt die Firma schonungslos die Zustände in kongolesischen Minen. Fazit: Immerhin profitieren keine Kriegsherren. Die Ehrlichkeit kommt gut an. Knapp 60 000 Fairphones wurden in anderthalb Jahren verkauft.
Die «Blutmetalle» aus Kongo dominieren die Debatte über Hightechrohstoffe. Dabei wird oft vergessen, dass Minen rund um die Welt grossen Schaden an Mensch und Umwelt anrichten. Auch bei der Goldförderung. Und hier ist die Schweiz direkt beteiligt: Bis zu 50 Prozent der weltweiten Goldproduktion finden hierzulande statt. Die Schweizer Goldraffinerien Argor-Heraeus, Metalor, Pamp und Valcambi stehen auf der Lieferantenliste von Apple. Bei einem Goldanteil im Smartphone von weniger als einem Prozent sind sie jedoch nicht die wichtigsten Zulieferer, und laut Experten arbeiten sie im Branchenvergleich auf hohem Niveau. Doch sie seien an fragwürdigen Geschäften beteiligt, sagen Kritiker.
Der Beobachter stellte den Schweizer Raffinerien schriftlich Fragen zur Herkunft ihres Goldes und zu den Standards in den Minen. Am offensten ist Michael Mesaric, Chef von Valcambi, die mehrheitlich einem US-Konzern gehört: Valcambi wisse «von jedem Gramm Gold», woher es stamme. Alle Schürfer arbeiteten nach den Standards der Branchenvereinigungen World Gold Council und London Bullion Market Association.
Dazu gehören die Einhaltung der Menschenrechte, der Ausschluss von Konfliktgold aus Kongo und das Verbot der Geldwäscherei. Das von Valcambi raffinierte Gold sei «eindeutig und klar identifiziert» und «sauber». Daran zweifelt die Schweizer Organisation Gesellschaft für bedrohte Völker: «Valcambi kauft wissentlich Gold aus Peru, das gegen den Willen der Lokalbevölkerung abgebaut wird.» Bei Protesten um die Yanacocha-Mine habe es fünf Tote gegeben. Zudem berge der Einsatz hochgiftigen Zyanids grosse Umweltrisiken. Valcambi verarbeite den Grossteil des Yanacocha-Goldes, gegen 50 Tonnen pro Jahr. Valcambi-Chef Mesaric widerspricht in allen Punkten. Einen Medienbericht, wonach Valcambi Gold kriminellen Ursprungs aus Kolumbien verarbeitet habe, dementiert er.
Auch die Raffinerien Argor-Heraeus und Metalor sehen sich Vorwürfen ausgesetzt: Gegen Argor-Heraeus läuft eine Untersuchung der Bundesanwaltschaft wegen des Handels mit kongolesischem Konfliktgold in den Jahren 2004 und 2005.
Metalor soll laut der Gesellschaft für bedrohte Völker illegal geschürftes Gold aus Peru verarbeitet haben. Beide Firmen weisen die Vorwürfe zurück.
Die angefragten Schweizer Goldraffinerien betonen, sie arbeiteten nach höchsten Branchenstandards, die Minen würden kontrolliert. Sie praktizierten «verantwortlichen Bergbau» und seien für Transparenz. Woher ihr Gold stammt, wollen sie nicht öffentlich machen; das sei vertraulich. Doch weshalb die Geheimniskrämerei – wenn die Minen ja sauber sind?
Die Verschwiegenheit könnte zum Eigentor werden, glaubt Wirtschaftsethiker Florian Wettstein: «Im heutigen Zeitalter der Transparenz ist alles Nichttransparente verdächtig.»
Doch der gesetzliche Druck steigt, denn die USA und die EU haben im Rohstoffsektor neue Transparenzvorschriften eingeführt – nicht nur bei Konfliktmineralien, sondern auch bei den Finanzströmen der Firmen.
Die Schweiz dagegen, der wichtigste Rohstoffhandelsplatz, setzt auf freiwillige Transparenz. Doch Freiwilligkeit reiche nicht, finden Kritiker, auch und gerade nicht bei den Menschenrechten. Zu deren Einhaltung bekennen sich alle Rohstofffirmen – offiziell.
Rechtsverbindlich ist das nicht. Menschenrechtsverletzungen in Drittweltländern sind kaum vor Gericht einklagbar. Das will eine Koalition von Nichtregierungsorganisationen, darunter Brot für alle und Fastenopfer, ändern. Ab Frühling sammeln sie Unterschriften für die Volksinitiative «Recht ohne Grenzen». Würde sie angenommen, wären Firmen mit Sitz in der Schweiz vor hiesigen Gerichten einklagbar, wenn Tochterfirmen von ihnen im Ausland Menschenrechte verletzen. Es wäre ein kleiner Schritt weg vom Rohstoffproblem – und vom Unbehagen am Handy.