«Andere davor bewahren, sich etwas anzutun»
Nadya und Candid Pfister haben ihre Tochter verloren. Nun verstärken sie ihr Engagement gegen Cybermobbing – als Teil der Anti-Hass-Organisation Netzcourage.
Veröffentlicht am 10. Mai 2021 - 11:51 Uhr
Beobachter: Ihre einzige Tochter hat Suizid begangen. Seither setzen Sie sich gegen Cybermobbing ein. Der Beobachter hat Ihnen dafür den Prix Courage 2020 verliehen
. Wie geht es Ihnen heute?
Nadya Pfister: Wir spüren noch immer einen grossen Rückhalt. Eine Mutter schrieb uns heute auf Facebook: «Ich habe auch Angst um meine Tochter, aber dank euch auch wieder Hoffnung.» Céline wäre dieses Jahr 18 geworden. Sie fehlt uns jeden Tag. Sie ist für nichts von uns gegangen, wegen Cybermobbing.
Sie kämpfen unter dem Hashtag #célinesvoice in sozialen Medien gegen Cybermobbing. Wie geht es weiter?
Candid Pfister: #célinesvoice wird zu einem Teil des Vereins Netzcourage von Jolanda Spiess-Hegglin. Ihre Arbeit gegen Hass im Netz
hat uns überzeugt. Ich arbeite seit April Teilzeit für Netzcourage.
Was wollen Sie damit erreichen?
Candid Pfister: Wir wollen gemeinsam etwas für die Jungen realisieren. Dazu gehört sicher Prävention und Aufklärung. Netzcourage unterstützt alle Opfer kostenlos, die sich melden.
Nadya Pfister: Wir wollen mit #célinesvoice das Thema Cybermobbing reflektieren und enttabuisieren. Jugendliche und Betroffene sollen wissen: «Ihr seid Célinesvoice.» Es wird ihnen geholfen, kostenlos und 24 Stunden am Tag. Netzcourage ist als gemeinnützig anerkannt, das ermöglicht es uns, Spenden zu sammeln, um konkrete Projekte zu verwirklichen.
Woher nehmen Sie die Kraft?
Candid Pfister: Die vielen Rückmeldungen, die wir erhalten, zeigen, dass wir mit unserem Engagement gar nicht aufhören können. Wir haben ja kein Kind mehr, das wir verlieren können. Keines, das wir retten können. Aber vielleicht können wir andere Jugendliche davor bewahren, dass sie sich etwas antun. Und die Mobber dazu bringen, mehr zu überlegen.
Nadya Pfister: Ich will etwas erreichen für die Jugendlichen, das bleibt. Ein neues Strafgesetz gegen Cybermobbing
, Aufklärung und Bewusstseinsbildung. Das Parlament muss einen Straftatbestand Cybermobbing einführen, als Offizialdelikt. Das, was wir mit den Strafverfolgungsbehörden durchmachen mussten, wünsche ich niemandem.
Würden höhere Strafen gegen digitales Mobbing helfen?
Candid Pfister: Schärfere Strafen bedingen eine bessere Prävention, das ist für uns klar. Deutschland und Österreich haben ihr Strafgesetz unlängst verschärft. Die Schweiz scheint es hingegen nicht eilig zu haben. Die Jugendlichen müssen merken, dass Cybermobbing kein harmloses Spiel ist.
Nadya Pfister: Mit dem Erzählen unserer Geschichte leisten wir präventive Arbeit. Wir sensibilisieren Mobber: «Weisst du, was du machst? Kannst du das verantworten?» Wir wollen mit Célinesvoice den jungen Menschen ins Herz reden. Damit sie im Netz nicht zu Mobbern werden. Und wenn doch, dass sie mit schärferen juristischen Konsequenzen rechnen müssen.
- Wer hat in den letzten Monaten besonders viel Zivilcourage gezeigt?
- Wer kann uns Vorbild sein?
Der Beobachter und Prix-Courage-Jurypräsidentin Susanne Hochuli suchen Frauen und Männer, die den diesjährigen Prix Courage verdienen. Menschen, die halfen, wo andere weggeschaut haben, die sich engagierten, ohne davon zu profitieren, die bewiesen, dass jede und jeder von uns die Welt ein Stück besser machen kann. Kurz: Menschen mit Mut.
Ihre Vorschläge können Sie per E-Mail an kandidaten@beobachter.ch einreichen oder per Brief an:
Redaktion Beobachter
Kandidaten Prix Courage
Anina Frischknecht
Flurstrasse 55
8021 Zürich
Einsendeschluss ist der 4. Juni 2021.
Prix Courage 2020
Die Sieger daheim überrascht
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