Ernährung: Fast Food aus der Flasche
Mit Nährstoffen angereicherte Milch- und Fruchtsaftdrinks zum Frühstück liegen im Trend. Doch Gesundheitsexperten warnen: Die Energiespender wirken nur kurzfristig und sind wahre Zuckerbomben.
Veröffentlicht am 14. Mai 2002 - 00:00 Uhr
Sie heissen «Morning Drink», «Fruit Breakfast» oder «Energy Milk». Und sie haben eines gemeinsam: Sie bieten sich als Mahlzeiten aus der Flasche an. Der Trend zur Flüssignahrung hat stark zugenommen und passt in unsere hektische Leistungsgesellschaft: Trinken statt essen spart Zeit. In Sekundenschnelle werden dem Körper die wichtigsten Nährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe und Nahrungsfasern zugeführt. Es bleibt also Zeit, etwas länger zu schlafen. Die Flasche wird nach dem Konsum einfach im Kehricht entsorgt, sogar das leidige Abwaschen entfällt.
Die Firma Wander hat mit Oclea bewusst ein Getränk für jenen Drittel der Schweizer Bevölkerung geschaffen, der angeblich aufs Frühstück verzichtet. Margret Steiger White, Leiterin des wissenschaftlichen Beratungsdienstes bei Wander, sieht das Produkt als sinnvolle Alternative zum Kaffee: «Für Morgenmuffel, die ohnehin nur einen Kaffee aus dem Automaten konsumieren, ist Oclea viel gesünder. Natürlich sollte aber niemand statt eines Frühstücks nur noch Oclea zu sich nehmen.»
Die Drinks sind in der Regel fettarm (maximal 1,5 Prozent Fettanteil), doch der Zuckergehalt reicht bis zwölf Prozent. Daher sehen Zahnärzte die Rückkehr zum Schoppen gar nicht gern. Professor Adrian Lussi, Abteilungsleiter der zahnmedizinischen Kliniken in Bern: «Gesüsste Drinks verursachen Karies. Deshalb muss auch nach einem Flüssigfrühstück eine gründliche Zahnreinigung erfolgen. Getränke auf Fruchtsaftbasis sind zudem sehr sauer. Sie können an den Zähnen Erosionen verursachen. Wer bereits solche Zahnschäden hat, sollte den Konsum saurer Getränke mit seinem Zahnarzt besprechen.»
Zudem stellt sich die Frage: Was passiert, wenn wir aufs Kauen verzichten? Kauen dient nicht nur der Nahrungszufuhr, sondern auch dem Abbau von Spannungen; es fördert den Speichelfluss, die Absonderung von Magensäften und stärkt die Muskulatur des Kauapparats. Diesbezüglich sieht Zahnmediziner Lussi wenig Gefahren: «Niemand ernährt sich ausschliesslich flüssig. Zumindest die anderen Mahlzeiten des Tages bestehen mehrheitlich aus fester Nahrung. Ausserdem haben Jugendliche häufig einen Kaugummi im Mund. Zahnfleischentzündungen entstehen nicht durch zu wenig Kauen, sondern durch schlechte Zahnhygiene.»
Verlust der Esskultur
Lehrer und Erzieherinnen sehen im Trend zur Flüssignahrung vor allem einen sozialen und einen kulturellen Verlust: Die gemeinsame Zeit mit der Familie wird immer kürzer. Wie soll ein Kind lernen, wie man sich am Esstisch benimmt und wie ein sinnvolles Frühstück aussieht, wenn der Vater die erste Mahlzeit des Tages während seiner Fahrt zur Arbeit in fünf Schlucken zu sich nimmt?
Kommt hinzu, dass ein Frühstück mit Vollkornbrot, Fruchtsaft, Milchprodukten oder einem Müesli Kindern und Erwachsenen zu deutlich besseren Leistungen während der Morgenstunden verhilft. Ein stark gesüsster Drink dagegen treibt den Blutzuckerspiegel kurzfristig zwar beträchtlich in die Höhe. Danach aber fällt er umso tiefer. Konzentrationsmängel sind die unausweichliche Folge.
Doch es gibt Mittel und Wege, trotz Zeitmangel ein sinnvolles Frühstück einzunehmen:
- Wenn Sie wirklich nur etwas trinken wollen, dann die gute alte Ovomaltine: Sie hat die gleiche Wirkung wie die trendigen Frühstücksgetränke, ist aber viel billiger und verursacht weniger Abfall.
- Ein Glas Wasser, schluckweise getrunken, bringt die Verdauung in Schwung und versorgt Sie mit Flüssigkeit. Kaffee entwässert den Körper. Deshalb sollte zu jeder Tasse ein Glas Wasser getrunken werden.
- Ein Fruchtsaft, eine Hand voll Dörrfrüchte und Nüsse bieten einen einfachen, vitamin- und mineralstoffreichen Start in den Tag.
- Zu einem richtigen Frühstück gehören ein Getreideprodukt (Flocken, Brot), ein Milchprodukt (Joghurt, Milch, Käse) und eine Frucht (auch Fruchtsaft oder Dörrfrüchte). Sie können die einzelnen Bausteine aber auch auf das Frühstück und eine Zwischenmahlzeit verteilen.
- Frische Früchte können Sie auch auf dem Weg zur Arbeit geniessen – ein wichtiger Schritt in Richtung «five a day», das heisst, fünfmal pro Tag Früchte, Gemüse oder Salat essen.
- Schwedenbrötchen, Reiswaffeln und Knäckebrot lassen sich gut am Arbeitsplatz lagern. Dazu Fruchtsaft oder etwas Käse – und Sie sind wieder im Schuss für die nächsten Arbeitsstunden.
- Wer morgens nichts oder zu wenig isst, hat abends einen Bärenhunger. Linienbewusste Menschen frühstücken deshalb richtig, zumal dies leistungsfähiger macht als eine halbe Stunde mehr Schlaf.
- Die meisten Frühstücksgetränke sind für eine ausgewogene Ernährung nicht nötig. Wenn Sie sie trotzdem verwenden: Denken Sie an die Zahnhygiene und nehmen Sie spätestens nach zwei Stunden etwas Festes zu sich. Ihr Blutzuckerspiegel wird es Ihnen danken.