Vor anderthalb Jahren wog die 1,60 Meter grosse Frau noch 60 Kilo. Dann verlor sie kontinuierlich an Gewicht, bis die Waage schliesslich nur noch 45 Kilo anzeigte. Ihre Appetitlosigkeit führte dazu, dass sie vor Schwäche plötzlich nicht mehr aufstehen konnte. «Ich brachte einfach nichts mehr hinunter», sagt die 87-jährige Anna Bähler (Name geändert).

Im Zürcher Stadtspital Waid stellte sich heraus, dass ein Pilz in der Speiseröhre schuld war. Jetzt hat die Patientin einen ausgewählten Menüplan, und neben dem Bett steht ein Behälter mit eiweiss- und energiereicher Trinknahrung: «Sie mästen mich hier richtig», sagt die Patientin lächelnd, «aber wenn das Gewicht einmal so weit unten ist, braucht es viel, bis es wieder hochkommt.»

Heute reden alle von Übergewicht. Doch für viele alte Menschen stellen sich ganz andere Probleme: Sie müssen darauf achten, die Lust am Essen nicht zu verlieren. «Bei Menschen ab 70 gilt nicht mehr Übergewicht als Risikofaktor, sondern Untergewicht», sagt Monica Rechsteiner, Leiterin Ernährungsberatung im Waidspital.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Manchmal bringen nicht erkannte Krankheiten die Kilos zum Schwinden. Auch bestimmte Medikamente können auf den Appetit schlagen. Oder schlecht sitzende Zahnprothesen machen das Kauen beschwerlich. Ausserdem geht nicht nur die Liebe durch den Magen, sondern auch die Trauer: Manche Menschen mögen nicht mehr essen, nachdem sie ihren Partner oder ihre Partnerin verloren haben.

Auch die ganz normalen Alterungsprozesse können zu Appetitverlust führen. Monica Rechsteiner erklärt das so: «Säuglinge und Kleinkinder reagieren vor allem auf innere Reize: Sie haben Hunger und wollen essen.» Später würden äussere Reize immer wichtiger; eine «gluschtige» Torte im Schaufenster, ein feiner Bratenduft in der Luft lassen Erwachsenen das Wasser im Mund zusammenlaufen. «Bei alten Menschen jedoch spielt oft beides nicht mehr», sagt Rechsteiner. Geruchs- und Geschmacksempfindungen nehmen ab, Hunger- und Durstgefühl sind weniger ausgeprägt. Ältere Menschen müssen deshalb viel mehr «mit dem Kopf» essen: die täglichen Mahlzeiten als ganz bewusst geplantes Ritual.

Wenn der Zeiger auf der Waage immer weiter unten zum Stehen kommt, sollte das ein Alarmsignal sein. «Viele Leute sind zunächst stolz darauf», meint Rechsteiner. Aber wenn jemand auf einmal ohne Anstrengung abnehme, sei das nie ein gutes Zeichen. Auch Angehörige sollten reagieren, wenn bei jemandem die Kleider plötzlich schlottern. Wer zu dünn ist, hat für den Notfall keine Reserve mehr. Untersuchungen in Schweizer Spitälern mit vielen älteren Patienten haben gezeigt, dass 30 bis 40 Prozent der Männer und Frauen beim Spitaleintritt mangelernährt sind.

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Das Spiegelei ist besser als sein Ruf

Ausser genug Kalorien und viel Vitaminen in Form von Obst, Gemüse und Salat ist es vor allem wichtig, ausreichend Eiweiss zu sich zu nehmen: Neben Milch, Joghurt, Käse am besten regelmässig auch etwas Fisch oder ein Stück Fleisch. Für all jene, die darauf keine Lust haben, hält die Ernährungsberaterin einen Trost bereit: Manche Nahrungsmittel, die gerade ältere Menschen gerne essen, seien besser als ihr Ruf. Zum Beispiel der gute alte Cervelat oder die Rösti mit Spiegelei - allgemein als Fettbomben verschrien, könnten sie bei Älteren gute Kalorien- und sogar Eiweisslieferanten sein: «Der Cervelat enthält 13 Gramm Eiweiss pro 100 Gramm, also gar nicht so viel weniger als Fleisch mit seinen 20 Gramm.» Auch die Kombination von Kartoffeln und Ei in der Rösti sei ausgezeichnet in ihrer Eiweiss-Wertigkeit.

Ist heute bei älteren Menschen vor allem Untergewicht ein Problem, könnte sich das bald einmal ändern. Denn auch übergewichtige Personen können mangelernährt sein, wenn sie das Falsche essen: zu wenig Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und Eiweiss, zu viel Zucker, Fett und Weissmehlprodukte.

Karin Blum, ebenfalls Ernährungsberaterin am Waidspital, sagt: «Das wird auf uns zukommen, wenn die jetzt noch jüngeren Generationen mit ihren ganz anderen Ernährungsgewohnheiten ins Alter kommen.»

So halten Sie Ihr Gewicht


  • Bewegung: Wer sich regelmässig bewegt, fördert neben dem Appetit auch die Verdauung.
  • Aperitifgetränke: Bittere Aperitifgetränke sind nicht nur ein gesellschaftliches Ritual, sondern sie wirken auch appetitanregend.
  • Zwischenmahlzeiten: Mehrere kleine Portionen über den Tag verteilt sind besser als wenige grosse.
  • Essen in Gesellschaft: Ein Restauratbesuch mit Bekannten oder ein Mittagstisch, den beispielsweise die Kirchgemeinde oder ein Gemeinschaftszentrum organisiert, kann helfen, das Essen schmackhafter zu machen.
  • Kontrolle des Gewichts: Stehen Sie einmal pro Woche auf die Waage.
  • Kalorienreiches Essen: Wenn Sie Mühe haben, Ihr Gewicht zu halten, verwenden Sie mehr fettreiche Produkte wie Rahm, Öl, Butter, Nüsse, Wurstwaren oder vollfetten Käse.