Wenn Beat Bolliger im «Walserhof» zu Klosters seine Gäste fertig bekocht hat, wenn Prinzen und anderes nobles Getier ihre Rechnungen bezahlt haben und ins Bett gegangen sind, dann holt der Chef de cuisine schon mal den Ferrari aus der Garage und startet, mitten in der Nacht und einfach zum Spass, zur kleinen «Lenzerheide-Rundfahrt». Schleicht sich von seinem Hotel fort, obwohl er da noch gefragt wäre: «Viele Gäste sähen es gern, wenn ich mich zu ihnen setzen würde. Aber wer will denn schon einen abgekämpften und verschwitzten Koch an seinem Tisch?»

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Bolligers lieben Boliden, vor allem die Männer in der Familie. Tochter Bettina ist die weibliche Ausnahme, die die Regel bestätigt. Sie begleitet ihren Vater hie und da zu Testfahrten auf Rennstrecken. Beide bekommen beim Thema Auto leuchtende Augen und zeigen mir Bilder jener Wagen, die sie schon fuhren. Trotz seiner Passion setzt sich Bolliger nur im Schutz der Nacht in seinen Schlitten: Zu bescheiden ist er, als dass er am Tag damit angeben würde.

Auch von seinen Golfferien in den USA oder der Einladung von Prinz Charles, einem seiner Stammgäste, erzählt er mit einem verlegenen Lächeln. Dabei war Bolliger immerhin Gast im Buckingham-Palast. Das hat ihn gefreut, wenn auch nicht sonderlich beeindruckt. Charles behandelt er wie alle anderen Menschen – nämlich normal. Als dieser einmal zu spät buchte, musste Seine Durchlaucht halt in Gottes Namen mit einem einfacheren Zimmer vorlieb nehmen.

Streng geheime Tricks
Beat Bolliger, der dieses Jahr von den Gault-Millau-Experten zum Koch des Jahres 2003 gekrönt wurde, schlägt uns ein exquisites Weihnachtsmenü vor und tut für uns das, was er zu Hause mit eiserner Konsequenz andern überlässt: Er stellt sich in seiner privaten Küche an den Herd. Damit er sich im ungewohnten Umfeld zurechtfindet, stehen ihm seine Frau und seine Tochter zur Seite. Sie sind es auch, die fortwährend hinter ihm aufräumen. Gabi Bolliger: «Er braucht eine Unmenge Werkzeug und ist es gewohnt, viel Personal um sich herum zu haben.»

Im Moment kann ich mir noch nicht vorstellen, wie aus den alltäglichen Zutaten ein 18-Punkte-Menü gezaubert werden soll. Kartoffeln und Rüebli sehen bei mir zu Hause im Rohzustand genau gleich aus. Und das Gemüse kocht Bolliger auch nur mit Wasser. Seine Tricks verrät er jedoch nicht. Wenn seine Frau kocht und ihn um einen Tipp bittet, bleibt er wortkarg. Erst danach, beim Kosten, gibt er seinen Kommentar ab und listet auf, was man anders, sprich: besser hätte machen können.

Wir sind an einem besonderen Tag zu Gast. Heute vor 32 Jahren haben Bolligers geheiratet, an einem der seltenen freien Tage in der Zwischensaison. Sie haben eine lange Zeit hinter sich – gemeinsam in einem Job, der keine klare Trennung zwischen Privat- und Berufsleben erlaubt: Stressfaktor hoch, Belastungsproben nonstop. «Ohne ein Maximum an gegenseitigem Vertrauen wäre diese Form von Zusammenleben und -arbeiten nicht möglich», sagen sie einstimmig. Sie seien glücklich und würden den Hochzeitstag noch immer geniessen. Dieses Jahr mit einem Nachtessen bei Horst Petermann, einem der Kollegen aus der Gilde der Starköche.

Begabung in die Wiege gelegt
Als Wirteehepaar ein geregeltes Familienleben zu führen ist schwer. Umso mehr pflegen Bolligers das gemeinsame Nachtessen um 18 Uhr, kurz vor dem Abendservice. Eine halbstündige private Insel in einem Leben, das an sieben Tagen pro Woche zu 100 Prozent im Dienst der Gäste steht. Um acht Uhr morgens gehts los, Feierabend ist erst gegen Mitternacht. Dazwischen liegt, neben dem Abendessen, lediglich am Nachmittag eine kurze Stunde Pause drin. Dann legt sich Bolliger in seinem «Täubelizimmer» zwischen Kochbüchern und Fachliteratur aus der Motorsportwelt kurz zur Ruhe.

Die Begabung fürs Kochen wurde Beat Bolliger in die Wiege gelegt. Die Familie ist seit Generationen im Gastgewerbe tätig. Die Grossmutter mütterlicherseits war Besitzerin des Hotels Albana in Davos, während der Grossvater für die Bauarbeiter der Parsennbahn eine Kantine führte. Die Kupfertöpfe aus dieser Zeit kommen noch heute für Risotto oder Polenta zum Einsatz.

Für die exklusive Küche ist die Infrastruktur aber eher sekundär. Kochen hat zwar viel mit Handwerk zu tun, auf Bolligers Niveau sogar mit Kunsthandwerk. Um zum Starkoch zu avancieren, braucht es jedoch zusätzlich eine Leidenschaft, die kaum zu beschreiben ist. Ich beobachtete Beat Bolligers Augen, als er die Konsistenz der Schokoladenmasse für den Kuchen prüfte, während er sie luftig schlug; schaute auf seine Hände, als er die Bohnen der Länge nach in hauchdünne Streifen schnitt; konnte miterleben, wie er unter grösster Konzentration arbeitete und dabei plötzlich wie in Trance zu summen begann. Da glaubte ich, etwas von seinem Geheimnis zu spüren.