Ein Hühnchen zu rupfen
Der Gastrojournalist Beat Wüthrich hat in seinen Kolumnen nie ein Blatt vor den Mund genommen. Privat ist er jedoch ein durchaus versöhnlicher Zeitgenosse.
Veröffentlicht am 29. März 2005 - 10:49 Uhr
Was auffällt im Riegelhaus im Zürcher Unterland: Hier siehts aus wie in einem Möbelgeschäft. Es gibt von allem reichlich: Sofas, Schränke, Truhen, Vorhänge, Nippes. Der Eindruck ist nicht falsch: Der Journalist Beat Wüthrich wohnt hier mit seinem Partner Rudi Ottleben, der als Berater für Inneneinrichtungen seine Produkte in den eigenen vier Wänden anbietet. Die Wohnung ist also gleichzeitig sein Ladenlokal. Herzlich willkommen: Hier ist alles zu kaufen.
Mein Gastgeber ist einer der gefürchtetsten Gastrokritiker des Landes. Jahrelang schrieb er in seiner «Weltwoche»-Kolumne über Restaurants und Köche, kritisierte zu grosse Speisekarten und zu kleine Portionen, schimpfte über bedruckte Tischsets, zerknüllte Senftuben und verdorrte Blumenarrangements, zog über unfreundliches Personal und unverschämte Preise her. Dazu testete er sich durch verschiedene kulinarische Welten. Er beurteilte Speisewagen, Fast-Food-Stände, Militärkonserven, deutsche Brote, französische Weine, japanische Brühen. Dabei schrieb er immer Klartext, wenn es etwas zu kritisieren gab. Oftmals machte Wüthrich seinem Namen alle Ehre.
Selbst gemachte Maggisuppe
Heute schlägt er beim «Sonntags-Blick» versöhnlichere Töne an. Ob es die Altersmilde ist, die den 53-Jährigen sanfter werden liess, oder die positivere Ausrichtung der Kolumne «Geniessen», sei dahingestellt. Nach wie vor spürbar ist seine Leidenschaft. Er ist mit Leib und Seele dabei, wenn er Rezepte und deren regionale und historische Hintergründe beschreibt.
Beat Wüthrich hat sich für heute etwas ausgedacht, das er noch nie gekocht hat. Zu tun gibts in der Küche nicht allzu viel. Er ist ein Freund der einfachen Küche. Die Zutaten sollen möglichst ungeschminkt zur Geltung kommen. Ich werde gebeten, alles ziemlich grob zu hacken. Unterdessen verschwindet der Koch im Garten, um – unter dem Schnee! – einen Zweig Thymian zu suchen.
Schon als Kind war Beat Wüthrich vom Kochen fasziniert. Wenn seine Mutter am Herd stand, sass er daneben und spielte ebenfalls Kochen. Und wenn mal niemand zu Hause war, gab er ein bisschen Maggiwürze in heisses Wasser und genoss seine selber gemachte Suppe.
Die erste Anstellung, die ihn mit der Gastronomie in Kontakt brachte, war bei Mövenpick, wo er für die Hauszeitung verantwortlich war. Der Grundkurs, den er dort absolvierte, ist ihm in bester Erinnerung: «Ich lernte in der Silberkugel, wie man ein Beefy brät.»
Der Mann ist in der Küche ruhig und konzentriert; was zu tun ist, weiss er auswendig. Kein Blick in ein Rezeptbuch, obwohl er auch davon reichlich hat. In der Wohnung füllen sie ein ganzes Zimmer, und noch mehr stünden in seinem Büro, sagt er. Selber hat er zwei geschrieben. Eines davon heisst «Reichtum der einfachen Küche» und versammelt Schweizer Rezepte aus allen Regionen.
Ein Glas Wasser zum Zmittag
Merkwürdig, dass Beat Wüthrich eine der urchigsten Schweizer Speisen nicht gerne hat: Rösti. «Dafür habe ich immer zwei Paar Cervelats im Kühlschrank, als Abwechslung zu den vielen Gourmetessen.» Tatsächlich testet er jede Woche ein Speiselokal in der Deutschschweiz und ist froh, wenn er während der Arbeit sein Mittagessen auf ein Glas Wasser beschränken darf.
Und da gibts noch die Hitparade der 100 besten Restaurants in der Schweiz, die Beat Wüthrich jährlich herausgibt. Die Rangliste berechnet er so: «Ich berücksichtige die Wertungen von Gault-Millau, Michelin und anderen Gastroführern. Und wenn es einen Stichentscheid braucht, fälle ich ihn nach persönlichem Gusto.» Die Liste ist ebenso beachtet wie gefürchtet. Immer wieder melden sich Wirte, die eine bessere Rangierung errechnet haben wollen, oder solche, die sich für die Lorbeeren bedanken.
In seltenen Fällen versuchte man auch, den Journalisten zu bestechen. «Das geht bei mir nicht», sagt Beat Wüthrich. «Nicht einmal zum Essen einladen lasse ich mich. In meinem Arbeitsvertrag ist festgehalten, dass jedes Testessen bezahlt wird.»
Nach seinem persönlichen Lieblingslokal befragt, nennt er eines, «das es nie in die Bestenliste schaffen wird»: Die «Rose» in Oberembrach. Dort gebe es die besten Salate, und alles sei frisch und selber gemacht. Alles industriell Vorgefertigte sei ihm suspekt, mindestens wenn er auswärts esse: «Zu Hause bin ich überhaupt nicht gegen Convenience-Food und probiere vieles davon aus.»
Etwas anderes ist es, wenn man die Vorarbeit selber leistet. In einer Kolumne beschrieb Beat Wüthrich, wie er an einem freien Tag diverse Fleisch- und Gemüsesuppen kochte und diese anschliessend in den Tiefkühler gab. Die heutige Pochierbrühe ist allerdings keine selber gemachte, wie er zugibt: «Ich habe ein Fertigprodukt genommen, damits schneller geht.»
Wir sitzen am Tisch, und ich darf feststellen: Das Experiment ist gelungen, das Huhn mit der schwarz-rot-grünen Sauce schmeckt vorzüglich. Einzig mit der Serviette bin ich unzufrieden: Sie ist schmutzig. Das würde ein Beat Wüthrich niemals durchgehen lassen, und so erlaube ich mir, zu reklamieren. Der Gastgeber entschuldigt sich und gibt mir die frische, die neben seinem Teller liegt. Wir hatten uns aus Versehen auf die falschen Plätze gesetzt.