Emil Bolli scheint ein begnadeter Motivator zu sein. Wie sonst lässt sich erklären, dass seine drei Kinder alle den Beruf des Kochs gewählt haben? Er scherzt: «Ich habe ihnen gesagt, sie könnten alles lernen - solange es Koch sei!» Bollis Motivationskünste sollen auch an der WM auf die Schweizer Spieler wirken, damit sie möglichst viele Tore schiessen.

Ich treffe Emil Bolli und seine Frau Yolanda in deren Ferienwohnung in Davos. Es ist Zwischensaison, der Himmel hängt tief, es regnet in Strömen. Yolanda Bolli tischt eine Apfelwähe auf: «16 Uhr, das ist bei den Fussballern immer Zeit für ein Zvieri.» Genau wie ich wird Bollis Frau anschliessend die Rolle des Commis übernehmen und helfen, wo Not am Mann ist.

Emil Bolli, Küchenchef des Hotels Bern in der Bundeshauptstadt, muss improvisieren können, wenn er bei Auswärtsspielen der Nati in unbekannte Hotelküchen kommt: «Das Wichtigste ist, die Küchenbrigade aufmerksam zu beobachten. Ich will herausfinden, wo es Defizite gibt, damit ich dort persönlich Hand anlegen kann.» Der 52-Jährige sieht sich am Herd als defensiver Spielermacher, der die Bälle verteilt: «Was Johann Vogel auf dem Rasen macht, das mache ich in der Küche.»

Das heutige Nachtessen orientiert sich der Spur nach am Menü der Spitzensportler. Den Spielern wird vor jedem Match immer das gleiche Essen serviert: eine halbe Grapefruit, eine Bouillon mit Gemüsestreifen, Tomatenspaghetti, ein Kalbssteak an Madeirasauce mit Kartoffelstock und Rüebli, danach Fruchtsalat. Das rituelle Mahl mit wenig Fett und ohne blähendes Beigemüse soll die Mannschaft optimal auf das Spiel vorbereiten.

Emil Bolli erklärt, wie die Abläufe in der Küche richtig geplant werden. Damit alles seine Richtigkeit hat, gibt es eine goldene Regel: «Mach eine saubere Mise-en-place, und wenn am Schluss nichts mehr übrig bleibt, hast du keine Zutaten vergessen.» Bolli hat aber festgestellt, dass ihm das Alter zusetzt: «Als Junger hatte ich alles im Kopf. Mit 40 begann ich, gewisse Sachen aufzuschreiben. Seit ich 50 bin, weiss ich manchmal nicht einmal mehr, wo ich den Zettel hingelegt habe.»

Köbi Kuhn ist bereits der sechste Trainer, mit dem Bolli zusammenarbeitet. Gress, Fringer, Jorge, Zaugg, Trossero - sie alle hat er erlebt und überlebt. Und die Spieler lieben ihn beziehungsweise seine Kreationen: Alex Frei die Minestrone, Philippe Senderos das Seezungenfilet, Pascal Zuberbühler die Müesli. Nach einem Spiel in Belgrad, bei dem «Zubi» nicht wusste, dass Emil Bolli angereist war, soll er das Frühstücksbuffet mit den Worten kommentiert haben: «Entweder wissen die hier wirklich, wie man Müesli macht, oder der Emil ist gekommen.»

Hauptaktionärin des Hotels Bern ist die Gewerkschaft Unia. Das entspreche ihm, sagt Emil Bolli. Zwar sehe er sich nicht als Sozialisten, aber Werte wie Respekt, Vertrauen und fairer Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seien ihm wichtig. Auch hier bietet sich der Vergleich mit den Spielern auf dem Fussballfeld an: Jeder muss das Beste geben, entscheidend für das Resultat ist aber die Teamarbeit.

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Die Spieler als Fans

Bollis Eltern führten einst das Restaurant Schäfli in Schwyz. Seine Mutter hätte den Gästen immer riesengrosse Schnitzel zu einem günstigen Preis serviert. Als der Sohn in der Kochlehre realisierte, dass die Schnitzel anderswo kleiner und teurer waren, nahm er im elterlichen Betrieb entsprechende Anpassungen vor. Die Gäste reagierten verärgert und meldeten der Serviertochter: «Sag dem jungen Bolli, er soll gefälligst wieder rechte Schnitzel machen!» Seither sei der Wunsch nicht mehr so stark, einen eigenen Betrieb zu führen, «in dem dir die Gäste eins zu eins sagen, was du zu tun hast».

Wir haben Teigwaren, Fisch und Fruchtsalat mit Panna cotta gegessen. Nach diesem Menü weiss ich, was Emil Bolli als Koch der Schweizer Fussballnationalmannschaft leistet: Er verführt die Spieler, so dass sie möglichst lange an seiner Seite bleiben wollen. Und das können sie auch - vorausgesetzt, sie schiessen Tore.


Rezepte

Die bisher im Beobachter erschienenen Artikel von Röbi Koller samt den dazugehörigen Rezepten finden Sie hier.

Quelle: Niklaus Spoerri