Achtung: Wenn diese Frau ihren Terminkalender aufsagt, kommt man so schnell nicht wieder zu Wort. Da sind Proben, Auftritte, Interviews, TV-Aufzeichnungen und Preisverleihungen, so weit das Auge reicht. Da kommt es vor, dass sie nach Pontresina fährt, um am nächsten Tag nach Leipzig zu reisen, dann zurück nach Zürich, weiter nach Frankfurt, wieder zurück in die Schweiz und schliesslich nach Berlin. Und das alles innerhalb einer Woche.

Erstaunlich, dass Nadja Sieger, so heisst die Clownin Nadeschkin vom Duo Ursus und Nadeschkin mit bürgerlichem Namen, uns vormittags um 11.30 Uhr so ausgeschlafen empfängt. Die Fabrik, die sie vor ein paar Jahren mit anderen Künstlern gekauft hat, steht am Rand von Dietlikon ZH, gefährlich nah bei Ikea, Media-Markt und ähnlichen Läden der Industriezone und trotzdem unmittelbar am Rand der Wiese mit Blick auf den Wald. Hier bewohnt sie zusammen mit ihrem Hund Mocca einen Loft mit den Ausmassen einer mittleren Turnhalle.

Ihr Privatleben ist ihr heilig
Nadja bittet den Fotografen, nicht die ganze Wohnung zu zeigen, denn sie habe manchmal Probleme mit der Öffentlichkeit. Den Applaus des Publikums liebe sie, aber das Drumherum mit Homestorys und privatem Klatsch bereite ihr Unbehagen: «Ich möchte manchmal gern den Schalter auf Aus stellen und meine Ruhe haben. Dazu gehört, dass ich mein Zuhause vor neugierigen Blicken schütze.» Das gilt auch für ihre neue Beziehung, über die sie nicht viele Worte verlieren möchte. Zu gut erinnert sie sich an das permanente Interesse der Journalisten an jedem ihrer Schritte, als sie noch mit Viktor Giacobbo liiert war.

Wir beschränken uns also auf die Küche, wobei auch hier Platz genug ist. Während Nadja sich um Teigwaren und Sauce kümmert, wasche ich den Salat. Salate gehören zu Nadjas Lieblingsspeisen. Die Zutaten dafür wählt sie nach Lust und Laune aus. Heute sind es geröstete Pinienkerne, Dattelstücke und Avocadowürfel. Und für das Dressing «einen unverschämt teuren Balsamicoessig, den ich mir beim Comestibles-Laden manchmal leiste».

Nadja Sieger wuchs bei ihrem Vater und unter der Obhut einer Haushälterin auf. In der Familie spielte sie den Buben. Während ihre Schwester bald gut kochen konnte, reparierte sie Velos und machte am Elektrischen herum. In der Freizeit spielte sie mit den Jungs im Quartier und stand beim Fussball im Tor. Was in der Küche zu tun ist, lernte sie erst in den Kochlagern der Schule. Wenn auch mit Ausnahmen: «Fleisch schaffe ich bis heute nur selten. Da es mir nicht so schmeckt, macht mich bereits das blosse Zusehen satt.»

Auch eine Perücke kann entzücken
Mit Ursus und Nadeschkin ist Nadja Sieger seit mehr als zehn Jahren zu einem festen Begriff in der schweizerischen Unterhaltungsszene geworden. Zu den vielen Verpflichtungen des Duos kommen die Soloprojekte der beiden. So schreibt Nadja eine Kolumne für die «Berner Zeitung», singt in einer Jazzband und hat soeben erste Gehversuche als Filmschauspielerin gemacht. Im TV-Streifen «Fremde im Paradies», der am 21. November auf SF1 gezeigt wird, spielt sie die Hauptrolle der Hausfrau Flora Stein, wohnhaft in einer anonymen Wohnsiedlung der Agglomeration. Flora Stein versucht ihrer Einsamkeit mit einer Affäre zu entfliehen und wird dabei prompt schwanger.

Im Film wird man kaum auf die Idee kommen, Flora Stein mit Nadeschkin zu verwechseln. Dank einer Perücke mit Pagenschnitt verändert sich Nadjas Aussehen so sehr, dass man sie kaum wiedererkennt. Erfahrungen mit dem veränderten Äusseren hat sie auch schon privat im Ausgang gesammelt: «Mit der Perücke schauen mir ganz andere Männer nach. Nadeschkin bekommt laute Zurufe von Jugendlichen, Flora Stein diskrete Blicke von älteren Herren.» Wenn schon das Abschalten nicht gelingt, so doch wenigstens ein Umschalten.

Aber wer ist denn Nadja Sieger ohne Perücke und ohne die freche Röhre, mit der sie Ursus permanent übers Maul fährt? Sie sagt von sich, dass sie neben der lauten und schrillen Seite, die durchaus zu ihr gehöre, auch ein feines Sensorium habe. So habe sie ihre Wohnung auspendeln lassen, um den Wasseradern ausweichen und besser schlafen zu können. Überhaupt sei sie, im Gegensatz zur Kunstfigur Nadeschkin, «auch mal still und nachdenklich – vor allem wenn ich meine Mutter besuche, die an Alzheimer leidet und vor meinen Augen zerfällt».

Eins aber kann und will sie sich nicht abgewöhnen: den Drang, sich zu bewegen. «Ich bin hypermobil und werde, auf einem Stuhl sitzend, schnell unruhig. Mindestens einmal pro Tag möchte ich schwitzen, und wenn ich mal anfange zu tanzen, vergesse ich alles.» Manchmal treibts Nadja Sieger mit der Bewegung so weit, dass sie ihre Bänder überdehnt oder Gelenke auskugelt. Während des Drehs zum Fernsehfilm musste sie wegen eines Bandscheibenvorfalls im Halsbereich fast dauernd eine Krause tragen. Das Positive dabei: «Ich war gezwungen, mich ruhig zu bewegen, was hervorragend zur Rolle passte.»

Die sechs P sind rundum gelungen
Die Teigwaren mit der lachsfarbenen Sauce aus fünf verschiedenen P (Pomodoro, Panna, Parmigiano, Prezzemolo, Pepe) sind gelungen. Das sechste P, die Pasta, ist al dente, die Sauce fein abgeschmeckt. «Ich könnte schon kochen», meint Nadja, «aber ich habe meistens nicht den Nerv dazu. Und wenn sich mal eine Gelegenheit gibt, lade ich lieber gleich zwölf Leute ein.» Dass wir heute in der Kleingruppe trotzdem in den Genuss ihres Menüs kommen, schätze ich umso mehr.

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