«Herr Preis» isst heiss
Im Büro überwacht Rudolf Strahm mit kühlem Kopf die Schweizer Preise. Zu Hause in der Küche kommt die heisse Sahara zu Ehren.
Veröffentlicht am 27. März 2006 - 15:54 Uhr
Der Preisüberwacher hat Besuch. Als ich im Haus in Herrenschwanden bei Bern ankomme, ist ein Techniker daran, Rudolf Strahms Steckdosen zu checken – eine Kontrolle, die sicherheitshalber alle zehn Jahre durchgeführt wird.
Er werde ein Wüstenmenü servieren, hat Strahm versprochen – ein Gericht, das er beim Kameltrekking in Nordafrika kennen gelernt habe: Couscous mit Gemüse und Lammfleisch. Das Fleisch hat er bereits mariniert, die Gemüse liegen hübsch assortiert auf der Platte.
Der Preisüberwacher behält Monopolbetriebe oder solche mit einer monopolähnlichen Stellung im Auge. Ein Anliegen sind ihm die Medikamentenpreise, die Gebühren im Gesundheitssektor sowie die Telefontarife. Der studierte Ökonom ist prinzipiell Verfechter des freien Marktes, aber Realist genug, um zu wissen, dass ein Mindestmass an staatlicher Kontrolle nötig ist, um Qualität und Transparenz für Konsumentinnen und Konsumenten zu sichern.
In der Küche sein eigener Herr
Beim Einkaufen nehme er die Preisüberwachung locker, sagt Strahm: «Ich weiss ungefähr, was die Lebensmittel kosten, denn ich haushalte allein.» Weil er beruflich stark engagiert sei, versuche er, in der Küche den Aufwand zu minimieren. Die Gemüsesuppe, die er vor zwei Tagen gekocht habe, müsse für drei Tage reichen.
Als Rudolf Strahm noch mit seinem Sohn unter einem Dach lebte, gab es Arbeitsteilung: «Weil Marc – im Gegensatz zu mir – den Kochunterricht besucht hatte, war er mir deutlich überlegen. Ich liess ihn also kochen und übernahm dafür den Abwasch und das Aufräumen.»
Ein Tag in der Woche ist aber immer für ein gutes Essen reserviert: Jeweils am Dienstag trifft sich Strahm mit Freunden – Frauen und Männern. Die Gastgeberrolle wechselt im Turnus, geplant wird ein Jahr voraus. Dieser «Zischtigsclub» besteht, in wechselnder Besetzung, seit 27 Jahren.
Was wir in Rudolf Strahms Küche komfortabel kochen, wird bei den Tuaregs unter viel einfacheren Bedingungen zubereitet. Bei den Vorräten scheiden gewisse Produkte aus; für einen Wüstentrip kommt nur in Frage, was länger haltbar ist. Das Fleisch wird eingepökelt, damit es nicht verdirbt, «aber es hat gegen Ende der Reise trotzdem einen eigenartigen Geruch», so Rudolf Strahm. Frisches Wasser wird teils in Ziegenhautsäcken mitgeführt. «Das riecht man – da darf man nicht heikel sein.»
Erinnerungen ans Eingemachte
«Monsieur Prix» wird über Ostern wieder in die Wüste reisen, diesmal nach Libyen. Mit ein paar Freunden organisiert er das Abenteuer von der Schweiz aus. Ohne Basisdemokratie: «Die Kerngruppe entscheidet, wohin die Reise geht. Wer mitkommt, erklärt sich damit einverstanden.» Auch in Strahms Küche gibt es kein Recht auf Mitsprache. Normalerweise nimmt er überhaupt keine Hilfe an – nicht einmal von seiner Partnerin Monika Urech, die er heute zum Mittagessen eingeladen hat.
In seiner Kindheit bekam Rudolf Strahm respektvollen und nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln eingeimpft. Er erinnert sich an Konservierungsmethoden wie Einsäuern, Dörren oder Einmachen. Die berühmten «Bülacher Gläser» mit den Gummiringen und den Schliessbügeln waren in Küche und Keller allgegenwärtig. Noch heute erhalte er von seinem Vater eingekochte Apfelschnitze; der 93-Jährige macht die Früchte nicht mehr in Gläser ein, sondern lagert sie in der Tiefkühltruhe.
Wir haben bald alles geschnetzelt, das Fleisch ist angebraten und gewürzt, das Gemüse wird dazugemischt. Die Couscous-Sauce schmort im Topf, während der Preisüberwacher sein Rezeptbuch zeigt – mit kulinarischen Kunststücken, die ihm im Lauf der Jahre begegnet sind, samt genauen Daten und Quellenangaben. Was heute serviert wird, hat Strahm am letzten Silvester zum ersten Mal gekocht; bei einer weiteren Couscous-Variante steht «1988, Hoggar-Gebirge». Er hat Zutaten und Zubereitungsart festgehalten und sogar einen Topf über dem Feuer gezeichnet.
Zum Couscous bietet Rudolf Strahm Salat an, auch wenn dies in der Wüste aus hygienischen Gründen undenkbar wäre: «Aber Salat ist gut und gesund», sagt er. «Zudem besitze ich ein gutes Saucenrezept von Manuela Reichenau Legnazzi, einer befreundeten Künstlerin.» Verführerische Düfte locken an den Tisch: Das Couscous schmeckt exotisch würzig – einfach perfekt. Dazu gibts quellfrisches Wasser, zum Dessert Apfelschnitze vom Vater.
Der Gastgeber stellt den Topf auf den Tisch. Kaum sitzt er, steht er wieder auf und geht in die Küche, um etwas zu holen – diskutiert dabei aber aufmerksam und engagiert. Der Steckdosenkontrolleur kommt mir in den Sinn. Ich bin mir fast sicher: Auch Strahm steht unter Strom.