Nudeln mit Schuss
Steht er auf der Bühne, kreischt Steve Lee ohrenbetäubend. Steht er aber am Herd, ist der Sänger von Gotthard ruhig und gelassen.
Veröffentlicht am 21. Juni 2005 - 14:30 Uhr
Wir beginnen im Garten. Angesichts seiner Bonsais kommt Steve Lee, der Sänger der Rockband Gotthard, ins Schwärmen. Prachtstück ist ein 30-jähriger Wacholder, der in natürlicher Grösse auf dem Garagendach gewachsen war. Der Hobbygärtner hat ihn geduldig und unter Anleitung eines Experten zur lebenden Miniaturskulptur geformt.
Steve Lee wohnt seit der Trennung von seiner Frau allein in seinem Haus in der Nähe von Lugano. Hier lebten seine Eltern, bevor sie nach Spanien auswanderten, hier verbrachte er einen Teil der Kindheit. Das Haus habe damals allein auf einer Wiese gestanden, erzählt Steve Lee. Einige Dorfbewohner hätten den Kopf geschüttelt wegen der verrückten Deutschschweizer, die sich so weit abseits installierten.
Karotten-Carpaccio mit Zitronensaft
Heute ist die Gegend ziemlich verbaut. Ein paar Fans wissen, dass hier Steve Lee wohnt. Manchmal lungern sie auf dem benachbarten Friedhof herum und fokussieren mit starken Teleobjektiven sein Grundstück. Ein verschwommenes Paparazzifoto, das Steve Lee in Shorts im Garten zeigt, wurde ihm jüngst bei einer Autogrammstunde zur Unterschrift vorgelegt.
Das Poster in der Küche illustriert Lees kulinarische Welt: Teigwaren oder, wie man hier sagt, «Pasta». Die Röhren, die heute auf den Tisch kommen, werden begleitet von einer roten Sauce, verschärft mit Peperoncini und einem Schuss Wodka.
Zur Vorspeise gibts ein Carpaccio von rohen Rüebli. Steve Lee schreibt der Rohkost gesunde Eigenschaften zu: «Dank dem Olivenöl kann unser Körper das Karotin besonders gut aufnehmen.» Die frische Zitrone, deren Saft er auf die Karotten tröpfelt, pflückt er vom eigenen Baum.
Lee hat die Küche selber umgebaut. Der Raum war früher sein Atelier – der Sänger ist gelernter Goldschmied. Heute repariert er nur ausnahmsweise Goldketten von älteren Nachbarinnen, wenn sie ihn darum bitten. Sonst steht er lieber am Herd, einem Prunkstück mit Fritteuse,
Lavagrill und extrabreiter Abzugshaube. Als Bub war Steve ein heikler Esser: Nur Salat, Poulet (ohne Haut!) und eben Pasta schmeckten ihm. Bloss gab es die nicht so häufig, denn die Mutter kochte währschaft deutschschweizerisch und bevorzugte Kartoffeln in allen Variationen.
Was Steve Lee bis heute nicht zu seinen Favoriten zählt, sind Fische und Meeresfrüchte. Wenn auf Gotthards Fernosttourneen Sushi als Vorspeise wie Hauptgang aufgetischt wird, hält sich seine Begeisterung in engen Grenzen.
Dafür ist er voller Bewunderung für die japanischen Fans: «Ich würde es mit verbundenen Augen merken, wenn du mich in Tokio auf die Bühne stellst. Das japanische Publikum klatscht und johlt ausschliesslich nach den einzelnen Liedern, um dann mucksmäuschenstill auf den nächsten Song zu warten.» Vor der Show sei es manchmal so andächtig ruhig, dass man sich vergewissern müsse, ob überhaupt jemand da sei.
Auszeichnungen und Schlitzohren
Ich sehe mir im Wohnzimmer die Gold- und Platinschallplatten an. Steve Lee erinnert sich an die erste: «Wir bekamen bloss eine kleine goldene CD und waren arg enttäuscht.» Seither sei in den Verträgen der Band festgehalten, die Auszeichnung müsse – wie früher – in Form einer Langspielplatte überreicht werden. Da habe man wenigstens etwas in der Hand.
Gotthards neustes Werk, soeben erschienen, heisst «Lipservice». Die Band hat dafür eine eigene Plattenfirma gegründet und kontrolliert erstmals in ihrer Karriere auch das Management. Enttäuschungen über frühere Partner und Zerwürfnisse mit ehemaligen Mitarbeitern zwangen sie dazu. Steve Lee ritzt sich symbolisch mit dem Daumennagel die Backe von oben nach unten, um damit auszudrücken: «Tagliati!» – Schlitzohren!
Wir haben Speckwürfel und Knoblauch angebraten, Pelati und Gewürze dazugegeben und mischen die Sauce mit den Penne. Der Zeitpunkt des Flambierens ist gekommen. Steve Lee gibt den Wodka in die Pfanne, ich bekomme das Okay zum Zünden. Es ist ein flaches Flämmchen, das sich über der Sauce ausbreitet. Aber wer weiss, vielleicht bleibt ein bisschen mehr unverdampfter Alkohol hängen?
Steve Lees Traumberuf: Fussballer
Beim Essen sprechen wir über den Alltag des Rockstars. Lee ist nicht als Partylöwe bekannt und gibt zu, er schlage selten über die Stränge. Denn mit der Stimme könne ein Sänger nicht spassen. Raucht er? «Nein, höchstens passiv – während meiner Stifti als Goldschmied: Ich war mit zwei Kettenrauchern in einem kleinen Atelier. Das hat mich für den Rest meines Lebens zum Nichtraucher gemacht.»
Und wie steht es mit Groupies? «Ich bin nach einem Konzert meist nudelfertig und ruhe mich aus, um für die nächste Show fit zu sein.» Über heisse Nächte könnten die Roadies besser Auskunft geben: «Wenn sich am Morgen die Tür des Crewbusses öffnet, steigen meist ein paar Mädchen aus.» Steve Lee grinst und fügt bei: «Aber die Jungs arbeiten ziemlich hart und haben es verdient!»
Steve Lee, den viele bewundern, weil er es geschafft hat, einen Traumberuf zu ergreifen, ist übrigens ein aufmerksamer und charmanter Gastgeber. Beim Espresso verrät er, dass er als Bub einen ganz anderen Traumberuf hatte: Fussballer. Aber sein Vater riet ihm davon ab: «Für einen Fussballer bist du zu wenig aggressiv!»
Zutaten für 4 Personen
- 500 Gramm Penne
- 200 Gramm Speckwürfel
- 1,5 Büchsen Pelati
- 2 Knoblauchzehen (fein gehackt)
- 1 Würfel Kräuterbouillon
- 1 Prise Peperoncini (getrocknet)
- 1 Deziliter Rahm, gehackte Petersilie
- 1 Deziliter Wodka
- eine Hand voll geriebener Parmesan
- Olivenöl, Salz, Pfeffer
Zubereitung
Speckwürfel mit wenig Öl anbraten. Den Knoblauch ein bisschen später dazugeben, den Bouillonwürfel hineinreiben. Pelati beifügen. 10 bis 15 Minuten köcheln lassen. Unterdessen die Penne knapp al dente kochen. Penne zur Sauce geben. Gut vermischen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken, Peperoncini, Petersilie, Rahm und Parmesan beifügen. Nochmal kurz aufkochen. Am Schluss Wodka hineingeben und nach ein paar Sekunden, wenn er aufgewärmt ist, vorsichtig flambieren.