«Nun schau dir diesen zarten Weissschimmel an», sagt Christoph Bruni feierlich. «So etwas findet man heute fast nirgends mehr», meint er und streichelt zärtlich die fragile Haut des kleinen Weichkäses, als handle es sich um ein junges Tier. Es ist eine Liebkosung der besonderen Art für ein ganz kostbares Produkt: seinen Hauskäse.

Bruni ist zu Besuch bei Peter Kappeler auf dem Zihlhof am Weissenburgberg. Auf dem kleinen Heimet ob Därstetten BE stellt der 60-Jährige mit seiner Frau Ursula Ziegen- und Kuhmilchkäse her. Kappeler produziert Quantitäten, bei denen Betriebswirtschafter die Augen verdrehen würden, aber in einer Qualität, bei der Käseliebhaber ins Schwärmen geraten. Wenn Christoph Bruni von Peter Kappelers Weichkäse spricht, scheint es, als schwebe er.

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«Heute wird fast jeder Weichkäse mit einem Zuchtschimmelpilz aus dem Labor geimpft, damit er schön weiss bleibt», erklärt Bruni. In seiner Stimme liegt nun Empörung. So beispielsweise der weltberühmte und allseits beliebte Camembert aus der Normandie: Seit Anfang des 20. Jahrhunderts werde er mit dem künstlich hergestellten Penicillium camemberti behandelt - dies obwohl die Spezialität ein Jahrtausend lang auch ohne künstliche Impfung ausgekommen sei.

Der Schimmel kam, um zu bleiben
Der Zuchtschimmel verhindert, dass sich andere Pilze ansiedeln. Oft ist es nur eine Frage der Farbe - graue, grüne oder auch blaue Schimmel wären dem Geschmack durchaus zuträglich. Das weiss Peter Kappeler. Er hat seinen eigenen, natürlichen Schimmel. Vor gut zwölf Jahren ist er zu ihm gekommen - spontan, einfach weil ihm das Klima in Kappelers kleinem Käsekeller gefallen hat. Nun züchtet ihn der Bauer und Käser in einem Salzbad.

Bruni hat Kappelers Tomme zu seinem Hauskäse erkoren. Und dies obwohl er milde Käse gar nicht sehr gut verkauft. «Die meisten Leute haben die geschmacklosen Industriekäse satt und wollen rezente Produkte», so Bruni. Aber Peter Kappeler ist eben eine Liga für sich.

«So ein Schwachsinn!»
Eigentlich ist Bruni ein Geschichtenerzähler. Er weiss von Wiesen und Matten zu berichten, von Bergen und Hügeln, von speziellen Schattenplätzen und Sonnenlagen, von Gras, Kräutern und Klee. Bruni beschreibt für seine Kunden die Kühe, Schafe und Geissen, die Milch für seine Ware liefern, er erzählt von den Bauern und Käsern und vom Leben auf dem Land. Bruni weiss um jedes Detail des Käsens und um dessen Bedeutsamkeit. Christoph Bruni ist Affineur, ein Käsespezialist.

«Er ist ein Lieferant, dem man nicht sagt, was man will, sondern von dem man sich sagen lässt, was man nehmen soll», sagt Urs Wandeler, Geschäftsführer des Hotels Schönbühl in Hilterfingen und ehemals Küchenchef des «Viktoria Jungfrau» in Interlaken, einer von Brunis Stammkunden. Über 100 Sorten Käse bietet Bruni in seinem Keller in einem Thuner Wohnquartier an, wo ihn seine Geschäftskunden aufsuchen und sich von ihm beraten lassen. Und da gibt es einiges zu entdecken.

So etwa einen dreijährigen Greyerzer Alpage, der eine weite Reise hinter sich hat, wie Bruni erzählt. Der Laib ist zur Reifung für ein Jahr in einen speziellen Käsekeller in den französischen Jura gebracht worden. Oder der Laguiole (siehe Nebenartikel «Rezept: Christoph Brunis Kartoffelstock mit Käse»), eine knapp 50 Kilo schwere Rarität aus dem Massif Central; der mürbe, süssliche Käse aus Aubrac wird nach einem Verfahren hergestellt, das schon die Römer gekannt haben. Er ist aus Hygienegründen aber fast nicht mehr erhältlich. Denn nach dem Käsen wird der Laib verschnitten, gemahlen und wieder gepresst; dabei kann es zu Lufteinschlüssen kommen, in denen Blauschimmel entstehen kann. Für EU-Hygienewärter Grund genug, die Produzenten zu drangsalieren. Obwohl die Pilze unbedenklich sind. «So ein Schwachsinn!», ruft Bruni.

Beim Thema Schimmel gerät der kleine Mann mit dem sanften Blick schon einmal in Wallung. «Heute werden die Käse mit chemischen Zusätzen behandelt, die bis zum Ablaufdatum unbedenklich sind, dann aber toxische Stoffe entwickeln», sagt er. Dies im Gegensatz zu natürlich hergestelltem Käse, der eigentlich nie gefährlich werde - auch wenn er bisweilen furchterregend aussehe. Wie etwa ein reifes Käsli von Peter Kappeler: Es ist von einem graublauen Schimmel überzogen - und schmeckt himmlisch.

1875 ist der Zihlhof gebaut worden. Schon Kappelers Vater und Grossvater haben hier Kühe und Ziegen gehalten. Es sei eine ideale Kombination für diese Hanglage, erklärt der Landwirt. Da sie gegen Süden exponiert ist, gedeihen viele Dornengewächse und anderes Unkraut. Was andernorts mit Chemie bekämpft werden muss, fressen hier die Ziegen weg. Das gibt eine gute Milch.

Die Geiss ist ein zähes Tier, und die Saanegeiss bringt am meisten Milch. Aber für heutige Verhältnisse ist es zu wenig. Gerade mal 30 bis 40 Käsli macht Peter Kappeler pro Woche mit seinen 15 Ziegen. Davon kann man auch im Simmental kaum leben. Darum bietet Kappeler nebenbei Melkmaschinen-Unterhalt in der Region an. Vor Jahren fasste er den Plan, einen Ziegenstall für über 100 Tiere zu bauen. Doch die Nachbarn wollten nicht mitmachen, also liess ers bleiben. «Es ist mir fast wohler so», meint er. Klein, aber übersichtlich.

Bruni dankt es ihm mit Treue und einem guten Preis. Dafür dürfe er auch Einfluss nehmen auf die Herstellung. So verarbeitet der Bauer auf Brunis Wunsch die Milch jedes Tieres einzeln; sie wird nicht gemischt, wie in der Industrie üblich. «Je mehr Tiere zu einem Käse beitragen, desto eintöniger sein Geschmack», sagt Bruni. Auch das Transportieren und Pumpen von Milch ist für den Käseguru tabu. Es sind dies die Dogmen eines irgendwie bescheidenen Spitzenprodukts.

Überhaupt spielt jedes Detail eine grosse Rolle bei der Herstellung von Kappelers kleinen Käsen. Das Wetter müsse er immer ganz genau im Auge haben, sagt der Bauer. Komme Föhn, müsse er die Milch weniger stark erhitzen, weil es im Keller wärmer werde; kündigt sich hingegen die Bise an, braucht der Tomme länger, bis er reif ist. «Er ist der Künstler, ich bin der Galerist», sagt Bruni lächelnd.

Drei Jahre Arbeit hinter jedem Laib
«Ah, da sind sie ja, die Juwelen», ruft er bei seinem nächsten Produzenten, bei Lorenz Kunz in Oey im Diemtigtal, seinem Lieferanten für Alpkäse. Auch diese Laibe begutachtet Bruni aufmerksam. Lange streicht er mit den Fingern über die harte, glatte, gelb-schwarz gesprenkelte Oberfläche und nickt schweigend.

Lorenz Kunz und seine Frau, die Musikerin Magdalena Schatzmann, gehören zu den Letzten in der Schweiz, die noch über offenem Feuer Käse herstellen. Aus Überzeugung: «Die Aschepartikel, die da gelegentlich ins Käsechessi fallen, geben zusätzliche Geschmacksstoffe», erklärt Kunz. Drei Jahre lang hat er diese Laibe, die nur im Sommer auf der Alp Ramsen hergestellt werden, mit einer Lake aus Salz, Kräutern, etwas Pfeffer und Weisswein eingerieben. «Eine so schöne Rinde sieht man selten», meint Bruni. Er ist sichtlich stolz, diesen Käse zu Markte fahren zu können - auch wenn dies nicht nur erfreulich ist.

«Immer und immer und immer wieder» gehe er auf den Markt, erzählt Bruni müde. Seit 1996 habe er kaum einen Tag ausgelassen. Jeweils um zwei Uhr muss er dienstags und samstags aufstehen, um vor sechs Uhr auf dem Berner Bundesplatz zu sein, wo um diese Zeit schon die ersten Kunden anstehen. Es gebe Tage, da gelinge es ihm bis zu Geschäftsschluss am Mittag nicht, alle seine Käse in die Auslage zu stellen, sagt er. «Manchmal frage ich mich, wofür ich das alles mache.» Aber dann trifft er wieder seine Produzenten, und alles ist klar: «Es ist extrem, was es ausmacht, wenn man seinen Kunden erzählen kann, woher die Produkte kommen und wie sie entstehen», sagt er. «Davon leben wir doch!», ruft er. Nun hellt sich das Gesicht des Geschichtenerzählers wieder auf.

Christoph Bruni ist ein Quereinsteiger. Während es in Frankreich eine geschützte Ausbildung zum Maître fromager gibt, ist der Affineur de fromage in der Schweiz eine Seltenheit - und wenn, dann sei er ein Affineur chimique, wie Bruni spottet; heute müsse ja alles ein bisschen schneller gehen. Fast alles, was er weiss, hat er sich selbst beigebracht und erprobt. So hat er beispielsweise mal die unterschiedliche Reifung von Brie getestet: Er kaufte zwei Laibe und lagerte den einen auf Kunststoff-, den anderen auf Strohmatten. Das Resultat habe sogar ihn überrascht, sagt Bruni. Der geschmackliche Unterschied sei frappant gewesen.

Die Nöte der Kleinproduzenten
Später, bei einem Glas Weisswein, schneidet Lorenz Kunz seine Käse-Juwelen auf. Den Dreijährigen hobelt er ganz dünn; in den fast durchsichtigen Blättern - sie sehen aus wie Pergament - sind weisse Punkte zu erkennen. Salzkristallisation vom Eiweissabbau, erklärt Bruni, Zeichen des Zersetzungsprozesses. Deshalb gilt: Je älter ein Käse, desto leichter verdaulich ist er. Wieder holt Bruni weit aus, kennt jedes Detail der Reifung und Lagerung von Hartkäse.

Es ist Mittag geworden. Eigentlich müsste Bruni schon lange weiter, die Tour hat erst begonnen. Aber nun sitzen die beiden Männer gemütlich an einem langen Tisch, essen diese köstlichen Alpkäse und diskutieren Überlebensstrategien der Kleinproduzenten, die kaum mehr ein Auskommen finden. Für eine Geschichte findet Bruni immer Zeit.

«Für ein einziges Käsli», sagt Bruni später im Auto und holt tief Luft, «für ein Käsli von Kappeler müsste man 50 Franken verlangen, wie für einen Spitzenwein», sagt er und streckt mahnend den rechten Zeigefinger in die Luft. Und fügt leise hinzu, dass es ihm ja in der Seele weh täte, wenn sich nur noch die Vermögenden solche Ware leisten könnten. Aber das extreme Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag seiner Produzenten stört ihn gewaltig. «Sie sind eben mehr als nur meine Lieferanten», sagt er. «Sie sind Vertrauenspersonen, Freunde.»