Samir: Die Küchenschätze des Irak
«Forget Baghdad» heisst Samirs neuster Film. Privat vergisst der Schweizer Regisseur keinen Moment seine irakischen Wurzeln – auch am Kochherd nicht.
Veröffentlicht am 18. März 2003 - 00:00 Uhr
«Kochen und gleichzeitig Auskunft geben? Machst du Witze? Am liebsten schliesse ich mich in die Küche ein, während meine Frau sich um die Gäste kümmert.»
Mein Gastgeber, der Filmemacher und Produzent Samir, meint es ernst. Wann immer ich Details über Zutaten, Zubereitung und Mengen erfahren möchte, winkt er ab: «Lass uns die Hausaufgaben hinterher machen.» In der irakischen Küche sind klare Angaben ohnehin fast unmöglich: Es wird generell zu viel gekocht. Denn erstens könnten noch unangemeldet Freunde hereinschneien, vor denen man sich nicht blamieren möchte. Und zweitens schmecken die Reste auch noch am folgenden Tag.
Samir lebt mit seiner Frau, die ebenfalls Regisseurin ist, in Zürich und ist zurzeit der «Schweizer Vorzeige-Iraki», wie er sich selber nennt. Wenn in Zeitungen oder im Fernsehen einer zum Krieg um Auskunft gebeten wird, steht meist er hin.
Warum fokussiert sich das Interesse so auf seine Person? «Ich kann, im Gegensatz zu vielen meiner Landsleute in der Schweiz, offen reden, da meine Verwandten aus dem Irak ausgewandert sind oder anders heissen.» Er bittet mich trotzdem, nicht seinen ganzen Namen zu erwähnen, um kein unnötiges Risiko einzugehen.
Dramaturgie der Zubereitung
Samir hat seine Einkäufe auf dem Tisch ausgebreitet, weiss aber noch nicht genau, was er kochen will. Worüber er sich aber jetzt schon freut: Er wird seine Lieblingsspeisen kochen. Zunächst gilt es, eine Dramaturgie in die Zubereitung zu bringen. «Es ist wie beim Filmen: Es braucht eine gute Vorbereitung, die ‹Mise en place› muss stimmen. Das Timing der Gerichte und ihre Gestaltung sind entscheidend.»
Der Mann arbeitet in einem schwierigen Metier. «Filmproduktionen sind in der Schweiz fast nicht zu finanzieren», sagt er. Es gebe keine entsprechende Tradition, Unterstützungsgelder seien schwierig zu bekommen, und an eine Eigenfinanzierung sei wegen des zu kleinen Markts kaum zu denken. «In den letzten zwölf Jahren konnte ich fünf eigene Filmprojekte nicht finanzieren.» Und wenn einmal eines zustande komme, dann nur dank Improvisation und Selbstausbeutung.
So auch Samirs neuster Film «Forget Baghdad», der zurzeit in verschiedenen Schweizer Kinos läuft. Es ist die Geschichte von vier jüdischen Irakern, die in den fünfziger Jahren aus ihrer Heimat nach Israel fliehen mussten. Sie erzählen von der inneren Zerrissenheit und den Widersprüchen in ihrer Biografie.
Samir, der aus einer schiitisch-kommunistischen Familie stammt und seit seinem sechsten Lebensjahr in der Schweiz lebt, weiss, was es heisst, zu einer Minderheit zu gehören. «Wir tragen mehrere, äusserst verschiedene Kulturen in uns. Wir sind wie Baklava: Die Süssspeise ist eine Schichtung aus Honig, Nüssen und Blätterteig, deren einzelne Elemente du nie mehr trennen kannst.»
Überraschender Gewürzmix
Die irakische Küche ist eine Mischung aus vielen Einflüssen aus allen Himmelsrichtungen des arabischen und mediterranen Kulturraums. Kreuzkümmel, Koriander, Limetten, Sultaninen: Exotische Gewürze und Zutaten in überraschenden Kombinationen lassen erahnen, dass hier Düfte und Geschmäcker gemischt werden, die mit den unsrigen wenig gemeinsam haben. «Darum koche ich weder Rösti noch ‹Zürigeschnetzeltes›, denn das gibt es in der Schweiz in jeder Beiz.» Samir hat sich für ein gefülltes Poulet und Kiime entschieden. Dazu gibts Taboulé, eine Art Zaziki und ein indisches Fladenbrot.
Samirs Partnerin, die selber kaum kocht, stattet uns einen Besuch in der Küche ab. Keine kulinarischen Diskussionen bitte – das wäre zu gefährlich. Die «Blick»-Schlagzeile an der Wand warnt: «Jede dritte Ehe scheitert in der Küche.» Nein, es geht um filmtechnische Fragen. Die beiden Regisseure diskutieren über Luminanz und Chromapegel wie andere Ehepaare über Salz und Pfeffer. Das sei nicht inszeniert, betonen sie. Samir versucht, sich in einer Detailfrage gegen seine Frau durchzusetzen, und unterstützt sein Fachwissen durch seine hierarchische Stellung: «Schliesslich bin ich der Produzent!» Er zwinkert mir zu, doch die Ironie überzeugt nicht ganz.
Nach knapp drei Stunden setzen wir uns an den Tisch. Das Menü duftet so verführerisch, dass mir fast schwindlig wird. Auch Samirs Frau freut sich, kann sich aber einen Seitenhieb nicht verkneifen: «Warum muss erst Röbi Koller kommen, damit du mir mal etwas Feines kochst?»
Wir füllen unsere Bäuche und kommen auf das Thema zurück, das Samir in diesen Tagen besonders beschäftigt: den Irak-Krieg. Der sonst stets fröhliche, gut gelaunte Gastgeber wird nun sehr nachdenklich und ernst: «Wie die politische und die wirtschaftliche Zukunft des Irak aussieht, darüber machen sich die Amerikaner kaum Gedanken. Der Krieg wird die Situation der Zivilbevölkerung nur noch verschlimmern. Es steht, nach 1991, eine weitere Katastrophe bevor.»