Kinder allein auf Achse
Wer seine Sprösslinge mit dem Verkehr früh vertraut macht und mit ihnen das Herumfahren übt, kann sie auch allein reisen lassen.
Veröffentlicht am 17. März 2009 - 08:16 Uhr
Als der damals zehnjährige Steven seiner Mutter vorschlug, allein zu den Grosseltern ins süddeutsche Ulm zu fahren, zögerte Conny Born. War der Junge für so eine Reise wirklich gewappnet? «Ich zweifelte, ob ich ihn allein auf eine dreieinhalbstündige Reise schicken könnte», erzählt die alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Aber der Junge traute sich die Fahrt wirklich zu. Er fuhr schon als Siebenjähriger allein mit dem Bus zum Fussballtraining. Die Mutter ging also das Wagnis ein, gab Steven Gameboy, Comics und ein Handy mit auf den Weg und setzte ihn in Waldshut in den Zug – mit einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch. «Aber es lief prima, er rief nur einmal an, um sich zu erkundigen, wie weit es wohl noch sei», sagt Born.
Zugreisen zu den Grosseltern, aber auch Busfahrten vom Musikunterricht zum Sporttraining oder von der Mutter zum getrennt lebenden Vater gehören zum Alltag mancher Kinder. Die meisten aber werden von ihren Eltern gefahren. Und die kommen deswegen manchmal ganz schön in Stress. Fragt sich, ob und ab wann man die Kleinen allein auf Achse schicken kann. «Das hängt stark von der Persönlichkeit des Kindes und von der Situation ab. Es gibt dafür kein generelles Grenzalter», sagt Erziehungswissenschaftler Marco Hüttenmoser, Koordinator des Netzwerks Kind und Verkehr. Mutter Conny Born teilt diese Erfahrung. Ihr siebenjähriger Sohn Thomas reist noch nicht allein durch die Weltgeschichte: «Er macht sich viel mehr Gedanken darüber, was alles schiefgehen könnte, und ist allgemein vorsichtiger als sein grosser Bruder Steven.»
Selbständiges Reisen lässt sich aber auch fördern. Entscheidend ist gemäss Marco Hüttenmoser zunächst die Vorbereitung auf den Verkehr ganz allgemein. Der Fachmann rät, sich Zeit zu nehmen, den Kindern sehr früh zu erklären, was auf der Strasse abläuft, und ihr Verhalten zu beobachten. «Solange ein Kind sich von einer Katze auf der anderen Strassenseite ablenken lässt, sollte man es nicht allein ins Verkehrsgetümmel schicken.» Zugleich gilt: Vorsicht ist gut, Angst dagegen hinderlich. «Kinder, die von ihren Eltern stets an der Hand genommen werden, sind später weniger selbständig», sagt der Experte.
Auch für das Alleinreisen mit Bahn, Bus oder Tram gilt: Übung macht den Meister. Hüttenmoser empfiehlt, die Strecke zuerst einige Male gemeinsam mit dem Kind zu fahren, ihm auf spielerische Art zu erklären, worauf es achten soll und wen es notfalls um Hilfe bitten kann. «Nach einigen Malen kann man das Kind zum Beispiel selber entscheiden lassen, wo man ein- oder wann man aussteigen sollte.» Ist der Nachwuchs sattelfest und traut sich die Fahrt allein auch selber zu, steht der Reise nichts im Weg.
Für längere Strecken sind ein Handy mit allen wichtigen Telefonnummern, Kleingeld und Unterhaltungsmedien und allenfalls ein Picknick im Gepäck ratsam. Klare Abmachungen, was bei Zwischenfällen zu tun ist, sind unerlässlich. Wer auf Nummer sicher gehen will, informiert vorher zusätzlich den Zugbegleiter oder den Buschauffeur. Marco Hüttenmoser ergänzt: «Und selbstverständlich sollte das Kind zum Bahnhof oder zur Haltestelle gebracht und am Ankunftsort abgeholt werden.»
Begleitung für Kinder
Wenn Bus und Zug von Kindern noch nicht allein benützt werden können, bietet der Verein Compagna (ehemals Verein der Freundinnen junger Mädchen) einen Begleitdienst an. Gegen ein Entgelt von 35 Franken für eine Stunde und 20 Franken für die zweite und dritte Stunde bringen Reisebegleiterinnen den Sprössling von A nach B, auch über die Landesgrenzen hinaus. Die Kinder werden – falls erwünscht –gar zu Hause abgeholt. Die Person, die das Kind am Zielort in Empfang nimmt, muss sich ausweisen.
Für Flugreisen bieten die meisten Fluggesellschaften Begleitdienste für allein reisende Kinder an. Dies kostet extra und muss vorher gebucht werden. Die Eltern übergeben die Kinder entweder am Check-in-Schalter oder beim Gate. Die Airlines sorgen dafür, dass sie sowohl am Boden als auch in der Luft stets betreut sind. Wichtig ist, dass Kinder nicht gleich den ersten Flug ihres Lebens allein bestreiten müssen.