Maschinen machen, was man ihnen sagt

Dieser Meinung ist auch Karin Känel: «Wenn man mehr Druck spürt, muss man halt mehr lernen.» Die 15-Jährige besucht die dritte Sekundarschulklasse der Mannschaftssportschule Birch in Zürich-Oerlikon. Pro Woche absolviert sie 14 Trainingsstunden in der Turnhalle, und über die Wochenenden und in den Ferien ist sie meistens mit ihrer Handballmannschaft unterwegs.

Es mag am intensiven Kontakt mit ihren Schul- und Sportkolleginnen liegen, dass in Karins persönlichem Sorgenbarometer nicht der Leistungsdruck, sondern das Thema «Konflikte mit Freunden und Kollegen» zuoberst stünde. «Wenn wir Zoff haben, nimmt mich das mit und beschäftigt mich mehr als der Druck in der Schule.» Anders als schulische Schwierigkeiten könne sie zwischenmenschliche Probleme nur zum Teil selbst beeinflussen und eigenständig lösen. «Da ist man von anderen abhängig.»

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Karin Känel weiss in vielem sehr genau, was sie will. In einem Jahr möchte sie mit der Lehre zur Polymechanikerin beginnen: «Maschinen finde ich cool, weil man ihnen sagen kann, was sie machen sollen.» Danach plant sie, die Polizeischule zu absolvieren, um im Diensthundewesen oder im Kinderschutz tätig zu werden. Und überdies möchte sie fliegen lernen: «Ich will die Welt von oben sehen.»

Neben Zielstrebigkeit ist ihr Pragmatismus eigen: Dass sich knapp ein Viertel der Befragten über den Sinn des Lebens den Kopf zerbrechen, ist für sie schwer nachvollziehbar. «Es geht doch mehr darum, herauszufinden, wie man sich das Leben so organisieren kann, dass es Spass macht.» Und wie macht man das? «Über Dinge, die mühsam sind, denke ich so lange nach, bis sie nicht mehr mühsam sind.» Nun lacht das Mädchen: «Ich bin philosophisch nicht begabt, aber eigentlich macht das Leben für mich allein gesehen schon Sinn!»

«Es geht doch mehr darum, wie man sich das Leben so organisieren kann, dass es Spass macht.» Karin Känel, 15, Sekundarschülerin

Quelle: Frédéric Meyer
Kaum Privates, keine Klischees

Damit tangiert sie einen Punkt, der in der Untersuchung deutlich wurde: «Eigene Sorgen und persönliche Herausforderungen stehen bei den jungen Menschen viel stärker im Zentrum als gesamtgesellschaftliche Probleme», stellt Beat Baumann, der Geschäftsleiter von lebenshilfe-net.ch, fest. Je näher das Problem der befragten Person geht, desto stärker sind die Wahrnehmung und die entsprechende Gewichtung. Inti Selcuk nickt: «Das ist doch klar, man ist sich schliesslich selbst immer der Nächste.» Überdies seien das doch auch die Themen, auf die man «wirklich selbst Einfluss nehmen» könne. Trotzdem hält er sich bedeckt, wenn die Fragen ins allzu Private gehen: «Über die Schule und den Leistungsdruck lässt sich leichter sprechen als über private Dinge, die nicht alle etwas angehen.»

Dass die entsprechenden Themen eher zurückhaltend genannt wurden, überrascht Beat Baumann weniger als zwei andere Untersuchungsergebnisse: Einerseits wurden sogenannte Klischeethemen wie Gewalt, Sucht oder sexueller Missbrauch selten genannt; auch Karin Känel und Inti Selcuk hätten keines der entsprechenden Felder angekreuzt, weil sie selbst damit bisher nicht konfrontiert waren. Anderseits fand Baumann erstaunlich, mit welcher Eindeutigkeit die Befragten bei Schulproblemen nicht dort Hilfe suchen, wo sie am unmittelbarsten wäre: bei den Lehrpersonen. Vielmehr wenden sie sich an Freunde, Partner, Geschwister und Eltern. «Mit den Lehrern ist es halt manchmal ein bisschen ein Zeugs», erklärt Karin Känel. Das erfahre sie immer wieder, wenn sie als Klassensprecherin in eigener Sache oder für Kollegen den Kopf hinhalte und die Dinge beim Namen nenne. «Das braucht Mut und manchmal auch Geduld, bis man richtig verstanden wird.»

«Zukunftssorgen» schlichen sich ein

Die Befragten waren auch aufgefordert, unter «andere Sorgen» eigene Ängste und Bedenken zu formulieren. Dabei nannte ein Viertel Zukunftssorgen. «Hätten wir diesen Punkt in die Liste aufgenommen, wäre er vermutlich im Mittelfeld vorgekommen», mutmasst Beat Baumann.

Karin Känel und Inti Selcuk hätten etwas anderes ins leere Feld geschrieben. Bei Inti Selcuk wären es familiäre Probleme gewesen. Er war fünf Jahre alt, als sich seine Eltern trennten und damit eine lange Zeit begann, in der er seinen Vater nicht sah. Das Leben in einem Frauenhaushalt bezeichnet Inti als «manchmal mühsam»; sein Vater fehlt ihm.

Karin Känel, die in einem intakten Elternhaus aufwächst, beschäftigt die «Oberflächlichkeit». Es empört sie, wenn Menschen ein Urteil fällen, bevor sie sich mit Dingen befassen. Das hat sie am eigenen Leib erfahren. Für ihr Alter ist sie mit einem Meter 50 eher klein. «Früher nahm mich die Reaktion der anderen oft mit» – so etwa die Tatsache, dass ihr in Turnhallengarderoben meist ein Kästchen in der untersten Reihe zugeteilt wurde, vor allem aber, «dass man mich häufig nicht für voll nahm». Inzwischen hat sie das akzeptiert: «Es gibt Dinge, die man ändern kann, andere kann man nicht ändern. Man sollte sich das Leben nicht zu schwer machen, sondern es so nehmen, wie es ist.»

Sorge Nr. 1: Über die Hälfte der Studienteilnehmer gaben an, unter Leistungsdruck in der Schule zu leiden.

Quelle: Frédéric Meyer

Liebeskummer? Drohende Arbeitslosigkeit? Mühe, sich zu orientieren? Eine jüngst durchgeführte Studie widerlegt die Vorstellung, die sich Erwachsene von den vorrangigen Sorgen junger Menschen machen. Im Auftrag des Internetportals lebenshilfe-net.ch führten Studierende der Fachhochschule Nordwestschweiz die Online-Untersuchung durch. Befragt wurden knapp 2000 16- bis 25-Jährige aus der Deutschschweiz: Schülerinnen und Schüler, Lehrlinge, Studierende und Arbeitende. Im Zentrum standen die Fragen nach den Hauptsorgen und den bevorzugten Gesprächspartnern. Die Auswahl von 31 Sorgenthemen, aus denen die Befragten je fünf auswählten, basierte auf Angaben von Jugendberatern und Beratungsstellen.

Obenaus schwang der Leistungsdruck in der Schule. Über die Hälfte der jungen Menschen hat damit zu kämpfen (siehe Grafik). «Dass uns die Schule mit allem Stress beschäftigt, ist selbstverständlich», sagt der 18-jährige Inti Selcuk. «Wir verbringen doch fast unsere ganze Zeit dort!» Nach der zweiten Sekundarschulklasse beschloss der junge Mann, die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium zu machen. Heute besucht er das neusprachliche Kurzgymi an der Kantonsschule Enge in Zürich und plant, in einem Jahr die Matura zu machen. Vorläufig ist er aber noch unschlüssig, wohin es ihn beruflich zieht. Bisher hat er alle schulischen Klippen gut umschifft, und der «Stress» sei ohnehin «vorwiegend selbst gemacht». Lernen sei nun mal mit Prüfungen verbunden, daran könnten auch die Lehrer nichts ändern, erklärt er. Von Seiten seiner Eltern erfährt er keinen zusätzlichen Druck: «Sie lassen mich in Frieden.»

Klicken Sie auf die Grafik, um sie zu vergrössern.

Quelle: Frédéric Meyer

Manchmal mehr, als ihm lieb ist. Inti Selcuks Eltern sind getrennt, der Kontakt zum Vater ist sporadisch. Inti und seine Schwester leben bei der Mutter, die viel arbeitet. Der junge Mann hat früh schon Selbstverantwortung übernommen und wichtige Entscheide allein gefällt. «Wenn man sich ein bisschen Mühe gibt und die Schule ernst nimmt, sollte es eigentlich reichen», weiss er. «Es ist manchmal schon etwas anstrengend, aber nicht extrem schlimm.» Inti Selcuk spricht von «Einstellungssache» und davon, sich «nicht hängenzulassen».