«Das kann nicht wahr sein», dachte Eliana Schönenberger. Luzian hatte wie gewöhnlich viel geweint. Sie war froh, dass ihr Mann am Feierabend mit dem Sohn im Tragtuch einen Spaziergang machte. «Er hat sich auf meinem Rücken sehr schnell beruhigt», sagt Urs Schönenberger.

Als die beiden nach einer Stunde zurückkehrten, wollte Eliana Schönenberger das Baby in die Wiege legen. «Ich konnte es nicht fassen», erinnert sie sich. «Luzian war tot.» Der Schock liess das Ehepaar Schönenberger wie in Trance funktionieren.

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Sie riefen Arzt, Nachbarn, Notfallwagen. Doch jede Hilfe kam zu spät. Die Reanimationsversuche der Sanitäter hatten keinen Erfolg. Luzian wurde nur gerade 30 Tage alt.

In der Schweiz wird eines von 2000 Kindern im ersten Lebensjahr Opfer des plötzlichen Säuglingstods, auch SIDS (Sudden Infant Death Syndrome) genannt. Die Kinder sterben lautlos und ohne Anzeichen von Beschwerden – meistens nachts oder während des Mittagsschlafs. Am grössten ist das Todesrisiko zwischen dem zweiten und vierten Lebensmonat. Knaben machen etwa 60 Prozent der Todesfälle aus.

Die genauen Ursachen des plötzlichen Kindstods sind nicht geklärt. Durch verschiedene präventive Massnahmen lassen sich die Gefahren jedoch minimieren. So sollten Babys nicht auf den Bauch, sondern auf den Rücken gelegt werden. Ebenfalls schädlich ist zu viel Wärme: Kleinkinder dürfen nicht zu warm angezogen oder übermässig zugedeckt werden. Zudem sollte man auf zu weiche Schlafunterlagen und zu viele Kuscheltiere verzichten.

Zu den grössten Gefahrenfaktoren gehört jedoch der Tabakkonsum. Bei rauchenden Schwangeren vervielfacht sich das Risiko des Kindstods um das Dreifache.

Verletzende Bürokratie
Mit dem Tod des kleinen Luzian brach für Eliana Schönenberger eine Welt zusammen. «In mir war eine grosse Leere, als ob mir jemand den Teppich unter den Füssen weggezogen hätte.» Zum menschlichen Leid kamen schmerzhafte administrative Untersuchungen: Stirbt ein Kind eines unerklärlichen Todes, folgen automatisch polizeiliche Ermittlungen.

«Zum Glück standen uns in diesem schweren Moment die Mitarbeiterinnen der Stiftung Begleitung in Leid und Trauer zur Seite.» Die Winterthurer Stiftung ist die einzige professionelle Hilfsorganisation dieser Art in der Schweiz. Peter Fässler und seine vier Mitarbeiterinnen sind rund um die Uhr im Kanton Zürich und in den angrenzenden Regionen tätig. Fässler: «Wir haben mit der Staatsanwaltschaft eine Vereinbarung. Die Zusammenarbeit mit den Spitälern und Behörden ist sehr gut.»

Eine zusätzliche Belastung für viele erschütterte Eltern ist die Forderung der Rechtsmedizin nach einer Obduktion. Das gerichtsmedizinische Institut möchte möglichst schnell den toten Körper untersuchen, um zuverlässige Hinweise auf die Todesursache zu gewinnen.

«Obwohl eine Obduktion auf den ersten Blick als herzloser Eingriff erscheint, hilft sie oft bei der Bewältigung von Schuldgefühlen», sagt Peter Fässler. «Für die Eltern ist es beruhigend zu wissen, dass sie nichts falsch gemacht haben und der Tod nicht zu verhindern war.»

Dank der Intervention von Peter Fässler durften Schönenbergers Luzian immerhin bis zum nächsten Tag mit nach Hause nehmen. Eliana Schönenberger: «Ich war in jener Nacht plötzlich so müde, dass ich nur noch schlafen und nichts mehr entscheiden wollte. Zum Glück insistierte Peter Fässler darauf, dass wir alles zuerst sorgfältig besprechen und unsere Wünsche formulieren konnten.»

«Die Beerdigung war eine regelrechte Erlösung für mich», sagt Urs Schönenberger. Die Tage zuvor habe er alles wie durch einen Schleier erlebt. Seine Frau bestätigt: «Den Sarg der Erde zu übergeben hat etwas Endgültiges.» Dennoch wurde Eliana Schönenberger nach der Beerdigung noch eine Zeit lang von Schuldgefühlen geplagt. «Ich fragte mich, ob ich mit Luzian nicht hätte nachsichtiger sein sollen.»

Der Knabe litt an Verdauungsbeschwerden und weinte viel. Weil Eliana Schönenberger auch ihre zweijährige Tochter versorgen musste, ging sie nicht immer sofort auf Luzians Klagen ein. «Hätte ich gewusst, dass Luzian nur 30 Tage leben würde, hätte ich die Prioritäten anders gesetzt.»

Viele Ehen zerbrechen
Der Trauerprozess wurde für die Eltern zur schweren Belastungsprobe. «Ich musste immer wieder über meinen Schmerz reden», sagt Eliana Schönenberger. In einer Selbsthilfegruppe fand sie neue Lebenskraft – und dank regelmässigen Besuchen bei Peter Fässler gelang es dem Ehepaar auch, die Familienstrukturen wieder ins Lot zu bringen. Das ist nicht immer der Fall: Gegen 80 Prozent aller Ehen scheitern nach dem Tod eines Kinds.

Heute haben die Schönenbergers drei gesunde Mädchen. «Ich wollte unbedingt wieder ein Kind», sagt Eliana Schönenberger. «Allerdings litt ich während der Schwangerschaft unter Angstzuständen, und nach der Geburt der Tochter kontrollierte ich immer wieder den Schlaf der Neugeborenen. Erst mit dem dritten Kind wurde ich etwas ruhiger.»

In den letzten zehn Jahren ist die SIDS-Rate zurückgegangen. Starben Anfang der neunziger Jahre rund 100 Babys jährlich, sind es heute noch 37. «Eine positive Folge diverser Aufklärungskampagnen», sagt die Zürcher Kinderärztin Daniela Ghelfi. Ganz aus der Welt schaffen lässt sich der plötzliche Säuglingstod jedoch nicht. Das Schicksal schlägt immer wieder zu – auch bei Familien, die alle Vorsichtsmassnahmen strikt befolgen.

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Dieser Beitrag erscheint in Zusammenarbeit zwischen Beobachter und schweizer Fernsehen DRS. Redaktionelle Verantwortung: Monika Zinnenlauf