«Es ärgert mich, wenn er seine Exfrau besucht»
Der grosse Ärger, wenn der Mann seine Exfrau und seine Kinder besucht.
Veröffentlicht am 24. Juni 2014 - 08:30 Uhr
Frage von Myrtha G.: «Ich ärgere mich, wenn mein Partner seine Exfrau und ihre gemeinsamen Kinder besucht und mir erzählt, wie schön sie es gehabt hätten. Liegt es daran, dass er keinen Schlussstrich gezogen hat?»
Da haben Sie eine unrealistische Erwartung. Einen solchen Schlussstrich gibt es nicht. Ihr Partner wird sein Leben lang der Vater der Kinder sein. Natürlich ist es quälend, wenn Sie sich immer wieder ärgern. Es ist aber auch unfruchtbar.
Der Ärger hört nur auf, wenn Sie akzeptieren können, dass Ihr Lebenspartner eine starke Bindung zu seiner früheren Familie hat. Dazu müssten Sie aufhören, sich daran zu orientieren, was Sie gern hätten (den klaren Schlussstrich), und locker und unvoreingenommen betrachten, wie Ihre Partnerschaftssituation wirklich aussieht. Vielleicht ergibt sich dann, dass Sie Ihren Partner bitten, nicht von den Besuchen zu erzählen. Oder umgekehrt: Sie möchten seine Kinder besser kennenlernen. Vielleicht spüren Sie auch plötzlich, dass es nicht die Beziehung ist, die Sie brauchen, um glücklich zu werden. Sobald man seine Lage gelassen anschauen und auf seine Gefühle achten kann, ergeben sich viele Handlungsvarianten für eine Konfliktsituation.
Es geht uns allen immer wieder so: Es quält uns ein immer wiederkehrender Ärger, oder unsere Gedanken drehen sich im Kreis. Wir geraten in eine emotionale Sackgasse, oder ein Streit flackert immer wieder auf. Anderseits gibt es auch jene Momente, in denen alles rund läuft, wir im Gleichgewicht sind und auf eine fruchtbare und effiziente Weise handeln.
Das liegt daran, dass unsere Seele nach zwei Prinzipien funktioniert. Eigentlich sind wir darauf angelegt, dass unser Leben harmonisch verläuft. Wir nehmen wahr, was ist, und verhalten uns so, dass es der Situation entspricht.
Manchmal bleibt dieses prima funktionierende Programm allerdings hängen – wie eine Software. Dann kann unser Hirn notfallmässig eingreifen und das Programm überschreiben, so wie man eine 7 mit einer 8 übermalen kann. Wenn zum Beispiel ein Lastwagen direkt auf uns zudonnert, braucht es den Befehl «Spring zur Seite!», der alles andere in unserem Kopf übertönt oder eben überschreibt.
Leider kann unsere Seele diesen Eingreifmechanismus auch dazu missbrauchen, allen unangenehmen Wahrheiten auszuweichen. Mit anderen Worten: Wir können uns etwas einreden, um uns zu schützen. Das hat allerdings mindestens zwei Nachteile. Erstens: Das Überschreiben braucht eine Menge Energie und führt zu einer Einengung der Wahrnehmung. Wer viel verdrängt, verliert an Lebenskraft und damit Lebensfreude und nimmt nicht mehr den ganzen Reichtum der Welt mit ihren Möglichkeiten wahr.
Zweitens wird man durch den Lauf des Lebens immer wieder an das Verdrängte erinnert, weil es eben eine Realität ist. Die unbewusste und automatische Methode des Überschreibens hilft uns, gefährlichen, belastenden oder schwierigen Situationen kurzfristig zu begegnen. Sie sorgt dafür, dass wir auch unter Druck handlungsfähig bleiben. Wenn wir sie zu oft anwenden, entfernen wir uns jedoch immer mehr von jenem Zustand innerer Ruhe und Konzentriertheit, der es uns erlaubt, automatisch optimal und elastisch auf alle Lebenssituationen zu reagieren, den man auch mit dem Wort Gelassenheit umschreiben kann. Gelassenheit kann man üben, so dass sie zur echten Lebenshilfe wird.
- Mutig die Konfliktsituation anschauen und benennen: «Was ist wirklich da?»
- Sich den dazugehörigen Gefühlen zuwenden: «Was spüre ich wirklich?»
- Das Wahrgenommene nicht bewerten, sondern so akzeptieren, wie es ist.
- Zugeben, dass man im Moment nicht weiterweiss.
- Geduldig warten, bis sich von selber zeigt, welche Schritte sinnvoll sind.
Angelika C. Wagner: «Gelassenheit durch Auflösung innerer Konflikte. Mentale Selbstregulation und Introvision»; Verlag Kohlhammer, 2011, 336 Seiten, CHF 45.90