«Gibts noch normale Männer?»
Ich gerate immer wieder an die gleiche Art von Männern und werde langfristig einfach nicht glücklich. Gibt es denn keine normalen Männer mehr?
Veröffentlicht am 3. April 2014 - 08:49 Uhr
Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:
Grundsätzlich ist die Auswahl unbegrenzt, alle möglichen Charakterzüge und Verhaltensweisen sind zweifellos irgendwo in Männern (und Frauen) vorhanden. Auffallend ist, dass Sie bei der Partnerwahl zweimal in einen Konflikt um Freiheit und Kontrolle geraten sind. Das nährt den Verdacht, dass es nicht nur an den Männern gelegen hat, sondern dass auch Sie Ihren Anteil am Problem mitbringen.
Niemand ist perfekt, und das wissen wir eigentlich auch. Wenn wir aber verliebt sind und glauben, den Partner fürs Leben gefunden zu haben, erwarten wir, dass dadurch alles viel besser wird und sich unser Leben nur positiv verändert. Der Geliebte erscheint uns dann genau als die Ergänzung, die wir für unser vollkommenes Glück noch gebraucht haben. Mit der Zeit aber zeigen sich durch das enge Zusammenleben unweigerlich alle neurotischen Ecken, auch die Ängste, Blockaden und Schwächen, die beide haben, und es kommt zu Konflikten. Das kann ein Ansporn zu einer gemeinsamen Entwicklung sein – oder aber auch in eine Sackgasse münden.
Vor bald 40 Jahren hat der Zürcher Psychiater Jürg Willi ein wichtiges Buch über Paarkonflikte geschrieben (siehe Buchtipp). Er machte die Beobachtung – und das kann jeder Paartherapeut bestätigen –, dass Paare nicht über unzählige Themen streiten, sondern dass in der Regel alle ihre Konflikte einer ähnlichen Melodie folgen. Es gibt in jeder Paarbeziehung Grundthemen, die immer wieder zu Zusammenstössen führen.
Willi hat weiter beobachtet, dass das Quälende darin liegt, dass die gemeinsamen Themen mit verteilten polaren Rollen ausgetragen werden. Wenn ein Paar – wie Sie und Ihre Partner –das Grundthema «Kontrolle und Freiheit» hat, übernimmt der eine kontrollierend die Verantwortung für die Beziehung, und der andere verkörpert die Freiheit. Schon bald entsteht ein Teufelskreis, in dem der Freiheitsdurstige argumentiert, er müsse sich befreien, weil er so stark kontrolliert würde, und der Kontrollierende argumentiert, er müsse so rigide kontrollieren, damit die Beziehung nicht auseinanderbreche. Willi nannte ein solches Muster eine Kollusion.
Die Lösung des Konflikts beginnt, indem man erkennt, dass beide Seiten – so unterschiedlich es auch auf den ersten Blick aussieht – im Grunde ein gemeinsames, aber unbewusstes Grundproblem teilen: Sie halten Freiheit und Sicherheit für unvereinbar. Gerade deshalb übernimmt einer die Rolle des Freiheitsdurstigen und der andere jene des Kontrolleurs. Die Heilung besteht darin, dass sich beide flexibel mal für den Erhalt der Beziehung einsetzen und mal für Freiheit. Oder dass sie ein Mittelmass zwischen Freiheit und Kontrolle finden, das beide angstfrei aushalten können.
Willi hat neben dieser häufigsten Kollusion, in der es um Kontrolle und Macht geht, weitere beschrieben: Oft ist etwa der eine der Star in der Beziehung und der andere bewundert nur. Oder einer benötigt Pflege und Zuwendung und der andere umsorgt ihn. Oder einer ist der dominante Durchsetzungsfähige, der andere Mitläufer.
Immer besteht in diesen Fällen die Gefahr einer derart starken Polarisierung, dass es für beide Betroffenen quälend wird. Und auch hier hilft es weiter, wenn jeder Partner beide Seiten eines Themas leben darf. Jeder soll führen dürfen, jeder sich mal lenken lassen, jeder soll umsorgt werden und jeder mal den andern umsorgen, jeder soll bewundert werden und jeder mal zum andern aufschauen – je nach Lebensphase oder Situation. Das bewusste Erkennen des Grundkonflikts einer Partnerschaft und eine flexible Rollenverteilung führen zu einer entspannteren, stabilen Beziehung.
Jürg Willi: «Die Zweierbeziehung. Das unbewusste Zusammenspiel von Partnern als Kollusion»; Verlag Rowohlt, 2012, 348 Seiten, CHF 16.90