«Ich brauche keine Freunde»
Frage: Mit meinem Partner bin ich oft unter Leuten. Ich wäre aber lieber entspannt zu Hause vor dem Fernseher. Obwohl ich keine Mühe habe, auf andere zuzugehen, habe ich - wie schon mein Vater - keine eigenen Freunde. Ist das ein altes Negativmuster? Mara G.
Veröffentlicht am 10. November 2008 - 14:40 Uhr
Wieso denn? Sie leben in einer glücklichen Beziehung und haben regen Kontakt zu den Leuten aus dem Umfeld Ihres Partners. Sie langweilen sich bei oberflächlichen Gesprächen, schätzen die Freiheit beim Alleinsein und sehen gerne fern. Alles bestens. Wieso wollen Sie sich ändern? Wie kommen Sie darauf, Sie seien nicht in Ordnung und hätten da ein Negativmuster?
Spüren Sie einen gesellschaftlichen Druck, viele Freunde haben zu müssen, immer aufgestellt und dynamisch zu sein? Mir scheint, dass in der Tat heute eine solche Norm besteht: Als erfolgreich gilt, wer viele Freunde hat, unablässig SMS bekommt oder schreibt und keinen Abend ohne Verabredung verbringt. Das kann allerdings nur bei oberflächlichen Beziehungen funktionieren. Dagegen ist zwar nichts einzuwenden, aber dass es auch Leute wie Sie gibt, die da nicht mitmachen können oder wollen und sich beim Small Talk langweilen, ist ebenso verständlich.
Vier Arten, mit Bindungen umzugehen
Forscher der Berliner Humboldt-Universität haben untersucht, wie Persönlichkeit und Beziehungsmuster zusammenspielen. Viele Menschen binden sich an einen Partner, andere bleiben Single. Einige haben einen grossen Freundeskreis, andere eher nicht. Manche pflegen enge Familienbeziehungen, andere dagegen sind stärker verbunden mit Bekannten oder Kollegen. Aber nicht nur die Auswahl der Beziehungspartner, auch die unterschiedliche Qualität von Beziehungen ist interessant. Es wurden vier verschiedene Stile gefunden, die sich durch folgende Aussagen charakterisieren lassen:
- «Es fällt mir leicht, meinem Partner gefühlsmässig nah zu sein, ich kann mich auf ihn verlassen, ich mache mir keine Gedanken darüber, dass ich allein sein könnte.» Das ist der sogenannt sichere Bindungsstil: Die Beziehung wird als sicher und zuverlässig erlebt.
- «Ich möchte zwar eine nahe Beziehung, aber ich finde es schwierig, meinem Partner zu vertrauen. Ich fürchte, verletzt zu werden, wenn ich ihn zu nahe an mich heranlasse.» Das ist der ängstliche Bindungsstil: Eine zu grosse Nähe zur Bezugsperson wird gemieden aus Angst, verlassen oder verletzt zu werden.
- «Ich merke, dass mein Partner weniger Nähe will als ich. Ohne enge Beziehung geht es mir nicht gut, aber ich frage mich, ob mich mein Partner so schätzt wie ich ihn.» Beim besitzergreifenden Bindungsstil klammert man sich an den Partner oder versucht, ihn zu kontrollieren.
- «Mir geht es auch ohne enge Beziehung gut. Unabhängigkeit und Selbständigkeit sind wichtig für mich. Ich möchte keine gegenseitigen Abhängigkeiten.» Wer den abweisenden Bindungsstil pflegt, hält den Partner auf Distanz, um unabhängig zu bleiben.
Eine Persönlichkeit, verschiedene Stile
Traditionelle Bindungsforscher und Vertreter der Psychoanalyse gingen davon aus, dass der Bindungsstil in der frühen Kindheit durch die Beziehung zu den Eltern geprägt und zu einem Teil der Persönlichkeit würde. Die Forscher der Humboldt-Universität beobachteten jedoch, dass die Bindungsstile stark beziehungsspezifisch sind. So kann zum Beispiel die Beziehung einer jungen Frau zum Liebespartner besitzergreifend, gleichzeitig diejenige zu den Eltern abweisend und die zur Freundin sicher sein. Und vor allem: Kein Stil muss als Negativmuster verurteilt werden.