«Er ist ein Eigenbrötler»
Frage: Mein Mann ist ein Eigenbrötler und am liebsten allein. Manchmal frage ich mich, wieso er überhaupt geheiratet hat, denn er ist eigentlich Single geblieben. Mir fehlen Nähe und Wärme aber je länger, je mehr. Wieso kann ich ihn nicht stärker an mich binden? Anna F.
Veröffentlicht am 14. April 2008 - 15:20 Uhr
Weil Ihr Mann kein Kuscheltier aus Plüsch ist, das man im Griff haben kann, sondern eine eigenständige Persönlichkeit. Man kann Mitmenschen nicht manipulieren, aber man kann durchaus eine Wirkung erzeugen, wenn man seine Gefühle und Wünsche deutlich ausdrückt, ohne Vorwürfe oder Druck zu machen. Erstens ist es erleichternd und gut fürs Selbstbewusstsein, und zweitens ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Mitmensch ein Verhalten, das uns weh tut, ändert, gerade weil man ihm die Freiheit dazu lässt. Sagen Sie also Ihrem Partner immer wieder, was Ihnen fehlt. Aber auch wenn er Ihnen näherkommt, wird er nie dasselbe Bedürfnis nach Nähe haben wie Sie. Menschen sind eben verschieden.
Oft ist gerade der Gegentypus anziehend
Der deutsche Psychoanalytiker Fritz Riemann hat eine Typologie entwickelt, die Ihr Problem erklärt. Er unterscheidet vier Persönlichkeitstypen.
Der «schizoiden» Persönlichkeit sind Selbstentfaltung und Selbstwerdung am wichtigsten. Sie hat Mut zur Ehrlichkeit und lebt danach. Es handelt sich eher um Kopfmenschen. Angst haben sie vor der Hingabe, davor, sich auszuliefern und abhängig zu werden. Sie sind deshalb eher bindungsscheu, vermeiden Nähe, können wenig Gefühl zeigen und besitzen wenig Einfühlungsvermögen. Im Unbewussten dagegen verbirgt sich meist eine grosse Sehnsucht nach Hingabe.
Die Charakterisierung passt gut zu Ihrem Ehemann, in Ihrem Wesen steht eher die Gegenposition im Vordergrund. Diese wird von der sogenannt «depressiven» Persönlichkeit verkörpert: Ihre Stärken sind Warmherzigkeit, Einfühlungsvermögen und Anhänglichkeit. Sie schätzt mitmenschliche Nähe und ist mehr als andere auf einen Partner angewiesen. Solche Menschen haben Angst davor, aus dieser Geborgenheit herauszufallen. Zum Problem kann diese Tendenz werden, wenn man es ihretwegen versäumt, ein eigenständiges Ich zu entwickeln. Im Unbewussten besteht dann eine Sehnsucht nach mehr Selbständigkeit.
Diese unbewussten Positionen sind oft die Ursache dafür, dass man sich vom Gegentypus angezogen fühlt. Anfangs sind sie faszinierend, plötzlich können einen die Charakterunterschiede dann aber stören und zu einer grossen Herausforderung für die Beziehung werden.
Der dritte Typus ist die «zwanghafte» Persönlichkeit. Diese strebt nach Dauer, sucht das Bewährte zu bewahren und fühlt sich im Bekannten, Vertrauten wohl. Ihre Stärken sind Zuverlässigkeit, Prinzipientreue und Sparsamkeit. Im Unbewussten verbirgt sich die Angst vor der Vergänglichkeit, der Veränderung, dem Tod.
Gegenbild dazu ist die «hysterische» Persönlichkeit. Sie strebt nach Veränderung. Ihre Stärken sind Phantasie, Leidenschaft und Freude am Wagnis. Angst haben diese Menschen aber vor dem Endgültigen und Unausweichlichen. In ihnen schlummert oft die Sehnsucht nach Dauer und Stabilität.
Selten entspricht der Charakter genau einem der vier Typen. In der Regel sind alle Tendenzen mit unterschiedlicher Gewichtung gemischt vorhanden.
Buchtipp
Fritz Riemann: «Grundformen der Angst»; Reinhardt-Verlag, 2006, 216 Seiten, Fr. 27.90