Der volle Schmerz
Beziehungsschmerz bei Erwachsenen ist ein Tabuthema. Dabei wäre es hilfreich, darüber zu sprechen.
Veröffentlicht am 30. März 2016 - 11:06 Uhr
Auch andere Mütter haben schöne Töchter und Söhne! Diesen Spruch muss sich oft anhören, wer unter einer Trennung oder unter unerwiderter Liebe leidet. Nach dem Motto: Ein paar Tage leiden ist ja in Ordnung, aber dann, bitte schön, reiss dich zusammen. Du bist doch kein Teenager mehr!
Liebeskummer bei Erwachsenen ist ein Tabu. Betroffene sprechen nicht gern darüber. Und wenn, dann nur anonym: «Ich schäme mich noch heute dafür, dass ich wegen einer Männergeschichte so tief ins Loch fallen konnte», sagt Corinne Hausammann*.
Dabei hatte für sie alles wunderbar angefangen. Auf einer Datingplattform lernte die 30-Jährige einen sympathischen Mann kennen. Sich verlieben, ein Paar werden und zusammenziehen – all das ging innerhalb weniger Monate über die Bühne. «Ich dachte, ich hätte den Richtigen gefunden. Wir sprachen bereits über Kinder.» Bis er eines Tages heimkam und ihr sagte, er liebe sie nicht mehr. So schnell, wie er bei ihr eingezogen war, war er wieder weg.
Da begann bei Corinne Hausammann «die Katastrophe», sagt die Fitnesstrainerin. An Arbeit war nicht zu denken. Sie verkroch sich im Bett und versank im Tränenmeer. Nachts lag sie stundenlang wach. «Ich ging immer wieder die Situationen durch, von denen ich dachte, ich hätte ganz anders reagieren müssen. Dann hätte er mich bestimmt behalten.»
Wer Liebeskummer hat, durchläuft mehrere Phasen, sagt die Psychologie. Zuerst wollen die Verschmähten nicht wahrhaben, dass der Partner sie verlassen hat. Sie versuchen ihn mit unzähligen Nachrichten und Anrufen zurückzugewinnen: «Wir finden eine Lösung, das ist doch nur eine Krise!»
Wenn sich das Ende der Liebe nicht mehr leugnen lässt, kommt die Wut. «Das Leben ist so unfair zu mir!» Dann kann sogar ein Liebeswahn entstehen, sagt Gregor Hasler, Chefarzt für Sozialpsychiatrie bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern. Dabei sind die Betroffenen felsenfest überzeugt, dass die Liebe gegenseitig ist, die geliebte Person das aber nicht offen zugeben will. Wenn Liebeskranke ihre Wut nicht im Griff haben, könne es gefährlich werden: Drohungen, Stalking oder gar Mord.
«Ich hatte eine depressive Episode. Und das ist etwas Ernstes. Punkt.»
Corinne Hausammann*, 30
Viel häufiger ist jedoch, dass es in der zweiten Phase zu einer depressiven Episode kommt. Laut Hasler vor allem bei Frauen. Männer neigten eher dazu, süchtig und aggressiv zu werden. «Ich habe auch schon oft Männer gesehen, die aus Liebeskummer weinen.» Hilfe von Profis kann nötig werden, wenn der Kummer nicht abklingt oder wenn jemand starke Aggressionen gegen sich oder den Verflossenen hegt, sagt Hasler.
Corinne brauchte Hilfe. Sie blieb in der Trauerphase stecken – und fühlte sich allein. Ihre Eltern konnten nicht verstehen, dass sie wegen so etwas wie Liebeskummer nicht mehr arbeiten konnte. Sie gaben ihr zu verstehen, sie müsse sich durchbeissen. Sie hätten Schlimmeres erlebt in ihrem Leben. «Ich fühlte mich dadurch noch minderwertiger», sagt Corinne. Die Rettung war ihre Psychologin: «Sie nahm mich ernst und sprach Klartext: Ich hatte eine depressive Episode. Und das ist etwas Ernstes. Punkt.»
Die Therapie zeigte tatsächlich Wirkung. Corinne konnte wieder essen, schlafen – und an etwas anderes denken als an ihren Exfreund und ihre Trauer. «Ich nahm schöne Momente viel intensiver wahr als vorher. Als würde ich die Welt mit neuen Augen sehen.»
Die Ursache für den Aufstieg auf Wolke sieben und den tiefen Fall in die Depression sind Hormone. Wenn wir verliebt sind, machen sich massenhaft Glückshormone in unserem Gehirn breit. Man ist sozusagen auf Dopamin – wie auf einer aufputschenden Droge. Alles scheint erreichbar, die Kräfte scheinen unendlich: «Lass uns gemeinsam ans Ende der Welt segeln!»
Wenn dann aus der Liebe nichts wird, versiegen die Glückshormone schnell. Zugleich werden Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. Das führt zu Entzugserscheinungen.
Eine Studie der US-Anthropologin Helen Fisher bestätigt, dass Liebeskummer einer Drogensucht gleicht. Bei einer Zurückweisung der Liebe sind im Gehirn Regionen aktiv, die mit einer Kokainsucht in Verbindung gebracht werden. Der Körper reagiert auf den Verlust mit Schlafstörungen. Viele verspüren zudem keinen Appetit, sind antriebsschwach und fühlen eine innere Unruhe. Extrem wird es, wenn sich eine Störung des Immunsystems oder gar der Herzfunktion einstellt – Stichwort: Broken-Heart-Syndrom.
Corinne hat nach einigen Monaten den Ausstieg aus dem Liebeskummer geschafft. «Heute kann ich die schwierige Zeit von damals auch positiv sehen», sagt sie. Für sie sei das Alleinsein nach der Beziehung eine Chance gewesen. Sie habe die Zeit genutzt, um über ihre Fehler nachzudenken. «Und so achte ich in der jetzigen Beziehung mehr auf mich und gebe mich nicht mehr völlig auf.»
*Name geändert
Sechs Tipps: Was tun, wenn man verlassen wird?
- Alles wegwerfen, was an die Partnerin oder den Partner erinnert.
- Facebook und Whatsapp meiden oder die entsprechende Person sperren. Wer ständig am Leben des Expartners teilhat, kann die Beziehung niemals hinter sich lassen.
- Leute treffen, die gut tun. Wenn die Eltern überfordert sind, sich an andere Vertraute wenden.
- Auf die Gesundheit achten: Das Immunsystem ist durch die psychische Belastung angeschlagen. Das heisst: gesund essen, genügend Schlaf und Sport.
- Manchen hilft es auch, über ihren Kummer zu schreiben. Damit konfrontiert man sich nochmals mit dem Verlust, aber in einer kontrollierten Art und Weise.
- Achtsamkeitsübungen, zum Beispiel in Form von Yoga oder Meditation, können helfen, den Fokus von der geliebten Person zurückzunehmen und wieder auf sich und die eigenen Bedürfnisse zu achten.